Tübinger Modell nach einer Woche - Was sagen die Verantwortlichen?
© Adobe Stock

Wie läuft das Tübinger Modell?

Die Inzidenz-Zahlen in Deutschland steigen weiter - Die dritte Welle ist in vollem Gange. Während Bund und Länder den Lockdown verlängert haben, versucht die Stadt Tübingen einen anderen Weg: Seit einer Woche können Menschen dort wieder einkaufen, Essen gehen und das Theater besuchen - Sofern sie einen negativen Corona-Test vorweisen können. Die Verantwortlichen sind hoffnungsvoll, dass das Modell Erfolg hat.

Testen, um Freiheiten zu genießen - So lautet die Devise in Tübingen seit dem 16. März. Das kommunale Modellkonzept "Öffnen mit Sicherheit" - entwickelt von der Pandemie-Beauftragten Lisa Federle und Oberbürgermeister Boris Palmer - wird dort für drei Wochen getestet. Bisher wurden täglich 4.000 bis 7.000 Menschen getestet und konnten mit dem Tübinger Modell so einige neue Freiheiten genießen.  

"Tübinger Tagesticket" eröffnet viele Möglichkeiten

Doch wie funktioniert das Modell genau? Die Stadt hat acht Teststationen aufgebaut. Dort kann sich jeder testen lassen und erhält bei einem negativen Testergebnis ein Zertifikat - genannt "Tübinger Tagesticket". Mit diesem können Geschäfte, Außengastronomie, Kinos und Theater besucht werden. Das "Tübinger Tagesticket" ist allerdings zusätzlich auch an Stellen nötig, die in anderen Kommunen ohne vorherigen Test genutzt werden können - bei Friseuren und anderen körpernahen Dienstleistungen. Wer in einer Teststation positiv getestet wird, muss im Anschluss sofort einen PCR-Test machen lassen. 

Allgemeinverfügung macht die Öffnung möglich

Die Stadt hat bei der Landesregierung beantragt, das Konzept als kommunales Modellprojekt testen zu dürfen. In wenigen Tagen wurde der Antrag genehmigt. Eine Allgemeinverfügung des Oberbürgermeisters regelt seither, dass der Einzelhandel im Stadtgebiet ebenso wie die Außengastronomie und die Kultur während der Geltungsdauer des Modellversuchs ohne Terminvereinbarung geöffnet bleiben können, auch wenn die Inzidenz im Kreis über den Wert von 50 steigt. Derzeit ist die Stadt davon weit entfernt. Vor Beginn des Modellprojekts habe man bei einer 7-Tage-Inzidenz von 24 gelegen, knapp eine Woche später bei 29, sagt Boris Palmer gegenüber dem Deutschlandfunk.

Über 7.000 Menschen an einem Tag getestet

Doch wie sind die ersten Tage des neuen Modellprojekts verlaufen? Unter der Woche wurden in der 90.000-Einwohner-Stadt täglich etwa 4.000 Tests durchgeführt. Am Samstag waren es über 7.000. Das sei die eigentliche Schwierigkeit an dem Modell, so Palmer: Zum einen muss ausreichend geschultes, ehrenamtliches Personal gefunden werden - Am Samstag waren in Tübingen knapp 100 Menschen für die Testungen im Einsatz. Zum anderen müssen schnell viele Tests besorgt werden. Um schnell handeln zu können, habe die Stadt ihre Tests über einen privaten Unternehmer kaufen lassen, sagt Palmer im Deutschlandfunk. Ansonsten hätte man zunächst eine Ausschreibung machen müssen, die langwieriger gewesen wäre. 

Notfallplan für zu großen Ansturm auf die Stadt

Am Samstag hat das Tübinger Modell auch viele Interessierte von außerhalb, teilweise aus anderen Bundesländern, angezogen. Sollte es im Rest von Deutschland wieder zu einem härteren Lockdown kommen, könnte sich das Phänomen noch verstärken. Doch für diesen Fall hat die Stadt bereits eine Notlösung, wie Palmer erklärt: Nimmt der Andrang überhand, werden Tests auf Einwohner des Landkreises Tübingen beschränkt. Ohne Zertifikat können Menschen von außerhalb auch die neuen Freiheiten in der Stadt nicht mehr nutzen. 

Wann müsste das Tübinger Modell abgebrochen werden?

Einen Abbruch des Experiments möchte Palmer von einem Vergleich mit anderen Kommunen abhängig machen. Wenn die Zahlen stiegen, müsse man zwar über einen Abbruch nachdenken, wenn der Anstieg allerdings deutlich geringer wäre als bei Kommunen, die deutlich weniger Lockerungen durchgeführt haben, zeige dies, dass die Strategie weiterhin sinnvoll ist. 

Uni entwickelt Handlungsempfehlungen für andere Kommunen

Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet von der Universität Tübingen. Die Universität wird alle verfügbaren Daten auswerten und aus dem Gelernten konkrete Handlungsempfehlungen für andere Kommunen und die Landesregierung entwickeln. 

Mehr Normalität und neue Perspektiven

„Das sind genau die innovativen Ideen, die wir in der Pandemie dringend brauchen", sagte Winfried Kretschmann, als die Landesregierung das Modellprojekt noch vor der Landtagswahl genehmigte. "Wir erhoffen uns von dem Projekt, dass wir damit einen Weg finden, den Menschen etwas mehr Normalität zu ermöglichen. Den Branchen, die besonders vom Lockdown betroffen sind, eröffnen wir damit hoffentlich neue Perspektiven – all das ohne Abstriche bei der Sicherheit eingehen zu müssen. Es ist wertvoll, mit diesem Projekt einen neuen, innovativen Weg einzuschlagen und seine praktische Umsetzbarkeit zu prüfen.“

"Mehr normales Leben, ohne auf Sicherheit verzichten zu müssen"

Thomas Strobl über das Projekt: „Testen ist eines der Instrumente, die aus dieser Krise führen, die den Menschen wieder mehr von ihrem alten Leben zurückgeben können. Diese Pandemie hat den Bürgerinnen und Bürgern schon unendlich viel abverlangt. Sie brauchen Hoffnung, sie brauchen Perspektive. Dieses Modellprojekt gibt Hoffnung und kann Perspektiven eröffnen. Wir wollen damit dazu beitragen, die richtige Balance zu finden: mehr normales Leben, ohne auf Sicherheit verzichten zu müssen. Denn klar ist, die Gefahr durch Corona ist nach wie vor riesengroß. Wir passen freilich auf, die bisherigen Erfolge nicht zu verspielen.“