Stadtentwicklung nach Corona
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Wie Corona die Stadtentwicklung verändert

Die Lebensgewohnheiten ändern sich durch die Corona-Pandemie. Zwei Expertinnen sagen: Stadtplanung muss darauf frühzeitig reagieren. Die Städte und Gemeinden können die neuen Strukturen positiv mitgestalten, müssen auf dem Weg jedoch einige Hürden nehmen.

Seit Beginn der Pandemie müssen die Kommunen ein Feuer nach dem anderen löschen: Abteilungen müssen zusammen arbeiten, um die nötigen Kontrollen leisten zu können. Kaum ist das Ordnungsamt aufgestockt, lodert schon das nächste Feuer. Ein Anruf nach dem anderen von besorgten Eltern geht ein, sie brauchen eine Notbetreuung für ihre Kinder.

Stadtentwicklung muss neue Bedürfnisse berücksichtigen

Während die Kommunen die akute Lage im Griff haben, muss auch schon für die Zukunft geplant werden. Denn klar ist: Die Veränderungen, die die Corona-Pandemie angestoßen hat, werden unser Leben in den Städten und Gemeinden nachhaltig beeinflussen. Davon gehen Experten fest aus. Das betrifft auch die Stadtplanung. Sie sollte frühzeitig auf die neuen Bedürfnisse reagieren. Denn vieles hat sich in den letzten Monaten verändert: Die Menschen sind weniger mobil. Sie gehen lieber ins Restaurant um die Ecke und fahren nicht mehr so weit zum Einkaufen. Ihr Leben spielt sich stärker im eigenen Heim und im eigenen Viertel ab. Home-Office und Fernunterricht haben die Anforderungen an den eigenen Wohnraum verändert. Es braucht ausreichend Platz, um gleichzeitig eine Videokonferenz mit den Kollegen und das Lernen der Kinder zu ermöglichen. Diese Struktur hat sich in der Pandemie als notwendig herausgestellt. Experten plädieren dafür, die in den vergangenen Monaten geschaffenen Strukturen beizubehalten. Denn: Die nächste Krise – ob medizinisch, ökologisch oder politisch – könnte nicht lange auf sich warten lassen.

Was bedeuten Resilienz und Nutzungsflexibilität

Schon lange sprechen Stadtplaner von dem „resilienten“ Leben im Quartier. „Die Corona-Pandemie ist kein Startschuss, sondern ein Beschleuniger für den Wandel“, sagt auch Susanne Dürr, Professorin an der Fakultät für Architektur und Bauwesen der Hochschule Karlsruhe. „Wir wissen schon lange, dass es nicht allein ausreicht, das Wohnen zu betrachten, sondern dass es bei unserer Stadtplanung stärker um das Leben gehen muss. Dass die Verbindung zwischen Arbeit, Freizeit und Familie neue Strukturen braucht.“ Und das meint sowohl die Stadt als auch das Zuhause.

Zum einen brauchen wir eine resiliente Stadt, in der jeder seine Versorgung in greifbarer Nähe hat. In der alle wichtigen Bedürfnisse in 15 Minuten zu Fuß erreichbar sind. Zum anderen brauchen wir Wohnformen, die eine größere Nutzungsflexibilität erlauben. Das funktionalisierte Wohnen der letzten 100 Jahre, das jedem Raum nur eine Funktion zuweist, ist nicht mehr zeitgemäß.

Susanne Dürr, Professorin an der Fakultät für Architektur und Bauwesen der Hochschule Karlsruhe 
Susanne Dürr über Stadtentwicklung nach Corona (c)Felix Kästle

Das Quartier ersetzt die Stadt

Die Stadtentwicklung in Quartieren zu denken, ist in der Forschung lange Thema und wird bei neu geplanten Stadtteilen häufig schon praktiziert. Bäder, Schulen, jegliche Lebensnotwendigkeiten sollten in den Quartieren erreichbar sein. Das wird jeodch zunächst schwer realisierbar sein. „Für Städte, die schon vor der Pandemie mit der Abwanderung des Einzelhandels zu kämpfen hatten, wird es eine schwere Zeit werden“, sagt Stadtentwicklungsexpertin Cordelia Polinna. „Mein Wunsch wäre natürlich, dass dort, wo Leerstände entstehen, Kitas, Bibliotheken und andere wichtige öffentliche Einrichtungen die Lücken gewinnbringend für die Gesellschaft füllen werden. Aber ob es derzeit finanziell möglich sein wird, die nötigen Investitionen dafür zu tätigen, gilt es abzuwarten.“ Denn den Leerstand neu zu nutzen, kann große Kosten mit sich bringen. Einkaufszentren und große Kaufhäuser etwa sind wenig durchlässig konzipiert, um Kunden bewusst durch die Gänge zu leiten. „Für andere Nutzungsformen ist das wenig sinnvoll“, sagt Polinna.

Chancen für Coworking-Spaces und Kunstprojekte in der Innenstadt?

„Der Sanierungs- und Umbaubedarf ist riesig.“ Daher sei es wichtig, dass die Städte und Gemeinden in den nächsten Jahren mit den nötigen Mitteln ausgestattet werden, um in eine solide, zukunftsorientierte Stadtentwicklung investieren zu können. Bei den Immobilien in der Stadt sei im Falle vieler Leerstände jedoch auch damit zu rechnen, dass die Mietpreise sinken. „Das eröffnet die Möglichkeit, mit neuen Nutzungsformen zu experimentieren, die nicht von Tag eins profitabel sein müssen“, sagt Polinna. „Auch in kleinen Kommunen können Coworking-Spaces ihr Glück versuchen, soziale Initiativen und Kunstprojekte bekommen eine Chance in die Innenstadt und damit ins Blickfeld zu rücken. Innovative Ansätze könnten die Bürger besser erreichen.“ Diese Entwicklung kann von den Städten und Gemeinden unterstützt werden. „Um die jetzigen Entwicklungen in positive Bahnen zu leiten, hat der öffentliche Raum eine Schlüsselfunktion“, sagt Cordelia Polinna. „Er muss viel Sicherheit und Aufenthaltsqualität bieten. Dann bietet er das richtige Umfeld für neue Unternehmen und Projekte.“ Wie soll das ideale Stadtquartier aussehen? Die Menschen wollen dort einen schönen Tag verbringen. Sie wollen mit den Kindern zu Fuß zur Eisdiele gehen können, nachdem sie sie von der Kita abgeholt haben. Sie wollen mit Freunden in schöner Kulisse einen Kaffee trinken und danach in einem Laden neue Kleidung anprobieren. Oder ein Atelier besuchen.  „Dafür können die Städte mit attraktiven öffentlichen Plätzen einen Grundstein legen.“ Auch die Möglichkeit, Immobilien aufzukaufen und zu moderaten Mieten anzubieten, sollten Kommunen in Erwägung ziehen.

Auch das Wohnen verändert sich

Doch zu den resilienten Quartieren gehört nicht nur die Nahversorgung, wie soziale und kulturelle Einrichtungen in der unmittelbaren Nähe vorzuhalten. Es gehört auch ein Wohnungsbestand dazu, der sich an die Bedürfnisse der diverser gewordenen Gesellschaft anpasst. „Wir können schon seit vielen Jahren beobachten, dass die meisten Lebensformen in Deutschland nicht mehr in dem Maße um die Kernfamilie zentriert sind, wie es früher üblich war“, sagt Dürr. „Aber nicht nur das private Leben hat sich verändert: Die Flexibilisierung von Arbeitszeit und -ort wird immer größer und hat durch Corona noch einmal eine Beschleunigung erfahren.“ Dazu kommt der demografische Wandel, der es nötig macht, mehr Möglichkeiten des altengerechten und Mehrgenerationenwohnens anzubieten. Auch Notwendigkeiten wie mehr Nachhaltigkeit sind im Wohnbau zu bedenken. Doch der größte Teil des Bestands im Wohnbau stammt aus der Nachkriegszeit. Der standardisierte Bestand beruht auf Mustern und Erkenntnissen, die den heutigen energetisch, technisch und gesellschaftlich nicht mehr entsprechen. Passend zur größeren Flexibilität in unseren Leben brauche es auch eine größere Nutzungsflexibilität in unserem Lebensraum, so Dürr.

Neue Wohnformen: Satelliten- und Cluster-Wohnungen

Es brauche eine größere Bandbreite an Wohnungsgrößen und Raum, der auch gemeinschaftlich genutzt werden kann. Bekannte Beispiele sind Satelliten- und Cluster-Wohnungen. Hier hat jeder Bewohner sein eigenes Apartment, doch bestimmte Räume werden gemeinschaftlich genutzt. Dazu gehört typischerweise die Küche, häufig ein Garten, aber auch Räume, die keiner speziellen Nutzung zugeordnet sind, die für gemeinsames Sport treiben genauso genutzt werden können wie als Werkstatt. „Diese Wohnformen sollten bei Neubauten unbedingt berücksichtigt werden“, sagt Dürr. „Allerdings reicht das nicht aus, denn: ‚Die Stadt von 2030 ist zu 98 Prozent gebaut‘, wie es so schön heißt.“ Die Abriss- und Neubauquote ist nicht so hoch, dass darüber die Zusammensetzung der Wohnsubstanz entscheidend verändert werden kann. Also muss auch der Bestand durch neue Grundrisse verändert werden. „Das können Städte und Gemeinden anstoßen, indem sie mit Baugemeinschaften, Genossenschaften, Bürgervereinen, aber auch mit progressiven Wohnungsbaugesellschaften zusammenarbeiten, die diese Philosophie in ihre Arbeit bereits integriert haben“, rät Dürr. „Aber Kommunen können diese Entwicklung auch selbst mit städtischen Wohnungsbaugesellschaften vorantreiben.“

Zahlen stehen auf Veränderung

Das Bild unserer Kommunen wird sich verändern. Durch die Corona-Pandemie hat sich diese Entwicklung beschleunigt. „Wie stark sich die Strukturen in den Städten wirklich verändern werden, können wir allerdings noch nicht sicher sagen“, gibt Cordelia Polinna zu bedenken. „Vieles hängt noch davon ab, wie lange die Pandemie anhält und ob es weitere Lockdowns geben wird.“ Die Zahlen stehen schon heute auf Veränderung: Laut Dehoga fürchten 62 Prozent der Unternehmen im Gastgewerbe in Deutschland um ihre Existenz. Auch der stationäre Handel erholt sich nur langsam von der Zwangsschließung. Laut einer KPMG-Umfrage bei 315 Vorstandschefs internationaler Unternehmen gaben 69 Prozent der Befragten an, dass sie davon ausgehen, in Zukunft dank digitaler Zusammenarbeit weniger Büroflächen zu benötigen. All das zeigt: Nach der Corona-Pandemie werden unsere Städte und Gemeinden nicht mehr aussehen wie zuvor.