Spielgruppen oder Kita-Plätze? Boris Palmer schlägt vor, ukrainische Kinder nicht für Kita-Plätze zu berücksichtigen.
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Können Spielgruppen den Kita-Kollaps verhindern?

Sollten die ukrainischen Kinder, die im letzten Jahr nach Baden-Württemberg gekommen sind, einen gleichberechtigten Zugang zu den knappen Kita-Plätzen haben? Mit einer Kontroverse meldet sich Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer zur Diskussion um den massiven Fachkräftemangel an baden-württembergischen Kitas.

In einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ äußert sich Boris Palmer zum zunehmenden Fachkräftemangel an den Kitas. In Tübingen hatte der Gemeinderat zuvor entschieden, dass 50 Kita-Gruppen zukünftig nur noch bis 13:15 Uhr betreut werden. Der Tübinger Gemeinderat reagierte mit dieser Entscheidung auf den Personalmangel in den Kitas vor Ort.

Palmer: Ukrainische Kinder benötigen Kita-Platz weniger dringend

Boris Palmer äußert im Interview einen Lösungsvorschlag für das Problem der fehlenden Kita-Plätze: Kinder, die im letzten Jahr aus der Ukraine nach Baden-Württemberg gekommen sind, sollten zunächst nicht bei der Vergabe von Kita-Plätzen berücksichtigt sondern vielmehr in Spielgruppen untergebracht werden. Neuankömmlinge in Tübingen benötigten die Betreuung in einer Kita weniger als beispielsweise eine alleinerziehende berufstätige Mutter, so der Oberbürgermeister.

Was ist eine Spielgruppe?

Das Instrument der Spielgruppe gibt es in Baden-Württemberg schon lange. Dabei sind zwei Formen möglich:

Nicht-erlaubnispflichtige Spielgruppen

Wird eine Spielgruppe weniger als zehn Stunden in der Woche betrieben, muss für diese keine Betriebserlaubnis eingeholt werden. Wird eine Spielgruppe über zehn Stunden in der Woche betrieben, kann sie maximal drei Monate lang ohne Betriebserlaubnis geführt werden. Diese Spielgruppen können privat oder über einen Träger geführt werden. Jeder kann hier als Betreuungsperson eingesetzt werden – Eltern, Ehrenamtliche und andere Freiwillige.

Erlaubnispflichtige Spielgruppen

Wird eine Spielgruppe über mehr als drei Monate länger als zehn Stunden in der Woche betrieben, muss für diese eine Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII eingeholt werden. Bei Spielgruppen für Kinder unter drei Jahren liegen dann etwa diese Regeln vor:

  • Es dürfen maximal zehn Kinder betreut werden
  • Es muss während der gesamten Öffnungszeit eine Fachkraft nach § 21 LKJHG und eine weitere, im Umgang mit Kindern geeignete Kraft, anwesend sein
  • Es müssen mindestens 2,2 Quadratmeter Platz pro Kind vorhanden sein. Auch bezüglich Sanitärbereich, Außengelände, Verpflegung gibt es räumliche Voraussetzungen
  • Gesundheits- und Veterinäramt, Bauamt, Unfallkasse und alle beteiligten Behörden können Vorgaben machen, die eingehalten werden müssen

Viele Spielgruppen existieren bereits

Bereits im letzten Jahr wurden landauf, landab Spielgruppen für ukrainische Kinder eingerichtet, die keine Plätze in den Kitas vor Ort bekommen konnten. Die Idee, diese Form der Betreuung zu nutzen, ist damit nicht neu. Sie wird auch von vielen anderen Stellen als vorübergehende Lösung akzeptiert.

Spielgruppen als "zusätzliche Betreuungsform"

So sagt etwa der Gemeindetag Baden-Württemberg: „Spielgruppen für ukrainische Kinder als zusätzliche Betreuungsform können sinnvoll sein, weil sie den Kindern den Kontakt zu anderen Kindern ermöglichen und die Eltern stundenweise entlasten können.“ Ähnlich äußern sich auch das Kultus- und das Migrationsministerium sowie die SPD- und die FDP-Fraktion des Landtags.

Kultusministerium: Spielgruppen sind Notlösung

Doch gleichzeitig gelte es zu bedenken: „Langfristig muss die Integration das Ziel sein. Das heißt, dass Kinder mit Fluchterfahrung wie alle Kinder den Zugang zur frühkindlichen Bildung haben und die Möglichkeit bekommen, die deutsche Sprache und Kultur zu erlernen, um hier gut anzukommen“, wie es Gemeindetagspräsident Steffen Jäger ausdrückt. Das Kultusministerium spricht bei den Spielgruppen von einer Notlösung.

Gravierender Fachkräftemangel in den Kitas

Dass diese Notlösung in der politischen Diskussion bei vielen Seiten auf Akzeptanz stößt, liegt in dem gravierenden Fachkräftemangel im Bereich der Kita-Betreuung begründet. Schon vor Ausbruch des Ukrainekriegs war dieses Problem deutlich spürbar. Der Kita-Monitor der Bertelsmann Stiftung sagte damals für das Jahr 2023 einen Mangel von 16.800 Fachkräften beziehungsweise 58.000 Kita-Plätzen vorher. Die Ankunft von 150.000 Ukrainerinnen und Ukrainern seit Kriegsbeginn hat den Mangel an Kita-Plätzen dabei noch einmal verstärkt.

Forderung: Flexible Handlungsoptionen für Städte und Gemeinden

„Die Städte und Gemeinden brauchen als Aufgabenträger flexible Handlungsoptionen und langfristige Lösungen, die eine verlässliche frühkindliche Bildung und Betreuung ermöglichen“, fordert der Gemeindetag Baden-Württemberg. „Die Befristung von Maßnahmen zur Bewältigung der Herausforderung bis 31. August 2023 hilft an der Stelle nicht weiter. Spielgruppen wie oben beschrieben, können für den Anfang die Kitas entlasten, aber auch sie sind für die Kinder keine langfristigen Optionen.“

Gemeindetag: "Ohne Abstriche steht das System Kita vor dem Kollaps"

Klar sei, dass eine Ganztagsbetreuung zu den bisher definierten Vorgaben nicht für alle Kinder im Kita-Alter zu machen ist. Es brauche daher eine Diskussion zu der akuten Mangelsituation mit klaren Regelungen, wie mit dieser umgegangen werden kann. „Wenn Abstriche bei den Öffnungszeiten, bei den Gruppengrößen und Betreuungsschlüsseln, an den Betreuungsformaten oder an den Erwartungen und Anforderungen an die pädagogischen Fachkräfte politisch wie gesellschaftlich nicht möglich sind, steht das System Kita vor einem Kollaps“, so der Kommunale Landesverband. „Ohne Abstriche kann es nicht funktionieren. Ein ‚Weiter so‘ führt faktisch in vielen Kommunen dazu, dass nur einer geringeren Anzahl an Kindern ein Betreuungsangebot gemacht werden kann. Wir brauchen einen ernsthaften Dialog darüber, wie mit den tatsächlich verfügbaren und den realistisch verfügbar zu machenden Ressourcen die bestmögliche Lösung gestaltet werden kann. Darum geht es den Kommunen: Um das Gelingen der Aufgabe.“