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Bertelsmann-Studie: 57.600 Kitaplätze fehlen im Land

Auch zehn Jahre nach Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kitaplatz (2013) wird Baden-Württemberg diesen nicht für jedes Kind erfüllen können. Zu diesem Ergebnis kommen die Autoren einer Studie der Bertelsmann Stiftung. Der Gemeindetag sieht seine Position durch die Studie bestätigt.

Folgende Zahlen hat die Bertelsmann Stiftung in ihrem aktuellen Ländermonitor frühkindliche Bildungssysteme veröffentlicht: 57.600 Kitaplätze fehlen im kommenden Jahr in Baden-Württemberg. 16.800 Fachkräfte müssten die Kommunen einstellen, um den Bedarf zu decken. Das würde laut Stiftung 700 Millionen Euro pro Jahr kosten, wobei Betriebs- und Baukosten noch nicht eingerechnet sind. 

Bertelsmann-Expertin: Nichterfüllung in doppelter Hinsicht untragbar

Die Nichterfüllung des Rechtsanspruchs ist laut der Expertin für frühkindliche Bildung bei der Bertelsmann Stiftung, Kathrin Bock-Famulla, in doppelter Hinsicht "untragbar": Erstens würden die Eltern bei der Betreuung der Kinder nicht unterstützt; zweitens würde Kindern ihr Recht auf professionelle Begleitung in ihrer frühen Bildung verwehrt. Insgesamt fehlen laut Ländermonitor im kommenden Jahr knapp 384.000 Plätze; die überwältigende Mehrheit davon in den alten Bundesländern (362.400), nur wenige dagegen in den neuen (21.200), wo es bereits zu DDR-Zeiten üblich war, dass Mütter arbeiten und Kleinkinder in Krippen betreut werden.  

Betreuungszeiten teils stark eingeschränkt 

Und damit nicht genug. Denn die Konzentration auf die fehlenden Plätze lenkt von der Tatsache ab, das auch die bestehenden die Eltern oft nur unzureichend entlasten. Viele Kindertagesstätten bieten nur eine eingeschränkte Betreuung an, schließen teilweise bereits am frühen Nachmittag. Besonders im Ländlichen Raum sind sie dazu noch sehr teuer. Auch in Großstädten müssen die Kitas aufgrund des Fachkräftemangels oft früher schließen. Von einer echten Betreuung kann da oft nicht die Rede sein. 

Große Lücke trotz hoher Investitionen von Land und Kommunen 

Dabei hat das Land das Angebot in den vergangenen Jahren bereits stark ausgebaut. Seit dem Jahr 2008/2009 hat sich die Zahl der Erzieherinnen und Erzieher in Ausbildung verdoppelt. Die Studie zeigt außerdem, dass die Betreuungsqualität im Südwesten hoch ist. Auf eine Erzieherin oder einen Erzieher kommen in den Krippen, wo Null- bis Dreijährige betreut werden, im Schnitt 2,9 Kinder. Im Kindergarten bei den Drei- bis Sechsjährigen sind es 6,5 Kinder pro Fachkraft. Trotzdem: Nicht weniger als 45 Prozent der Kinder werden in Gruppen betreut, deren Größe nicht den wissenschaftlichen Empfehlungen entspreche, kritisieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Bertelsmann. 

Gemeindetag: Flexibilisierung auch im Sinne der Qualität 

Der Gemeindetag sieht sich durch die Ergebnisse der Studie in seiner Haltung bestätigt: „Der Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme 2022 bestätigt den baden-württembergischen Kitas nun ein weiteres Mal die im Bundesvergleich beste Betreuungsqualität. Dies ist ein großer Erfolg der Kita-Träger und damit in einem besonderen Maße auch der Städte und Gemeinden. Dabei wird diese gute Qualität nun ausdrücklich auch für eine Zeit bestätigt, in der die pandemiebedingten Flexibilisierungsmaßnahmen bezüglich Mindestpersonalschlüssel und Höchstgruppenstärke gegolten haben. Das ist ein klarer Beleg dafür, dass diese Flexibilisierung ein auch im Sinne der Qualität verantwortlicher Weg war", kommentiert Präsident Steffen Jäger. 

Jäger: Wiederaufnahme der Flexibilisierung zwangsläufiger Schritt 

Zugleich bestätige die Studie aber auch, was die Kommunen schon lange sagen würden. „Angesichts des immensen Fachkräftemangels kann mit den geltenden Standards für viele tausend Kinder aktuell kein frühkindliches Bildungsangebot gemacht werden. Wenn man aber in einem theoretischen Beispiel die Fachkraft-Kind-Relation aus dem Freistaat Bayern auf Baden-Württemberg übertragen würde, ergäbe sich ein rechnerisches Mehr von rund 90.000 Plätzen. Deshalb ist es aus unserer Sicht die naheliegende und fast zwangsläufige Schlussfolgerung dieser Studie, die bis zum 31.8.2022 geltenden Flexibilisierungsmöglichkeiten wieder zu eröffnen." 

Jäger: Lockerung der Höchstgruppenstärke richtiger Schritt 

Deshalb, so Jäger, sei es richtig, dass Ministerpräsident Kretschmann eine Lockerung der Höchstgruppenstärke in Aussicht gestellt habe, so Steffen Jäger weiter. „Denn kurzfristig können in Baden-Württemberg keine zusätzlichen 16.800 Fachkräfte gewonnen werden, der Facharbeitsmarkt ist vollkommen leergefegt. Und bis die Maßnahmen zum Quer- und Direkteinstieg greifen braucht es einfach eine gewisse Zeit. Dass damit aber die gute Betreuungs- und Bildungsqualität in Baden-Württemberg nicht gefährdet wird, bestätigt uns nun die Bertelsmann-Studie." Ergänzend solle man ernsthaft prüfen, wo pädagogische Fachkräfte von Bürokratie und Dokumentationspflichten entlastet werden könnten. „Auch das ist eine klare Analyse der kommunalen Ebene", sagt Jäger.