Spatenstich für ein nachhaltiges Gewerbegebiet in der Gemeinde Schlier
© Gemeinde Schlier

Nachhaltiges Gewerbegebiet in Schlier - Unternehmen verstehen die Vorteile

Grüne Dächer, Außenflächen mit Wildblumenwiesen und naturnahen Hecken, Grünzüge zur Ansiedlung heimischer Arten – all das klingt nicht nach einem Gewerbegebiet, wie man es aus der eigenen Erfahrung kennt. Doch genau so ist eines der ersten nachhaltigen Gewerbegebiete geplant, das in Schlier nun Bauplätze für Unternehmen vergibt.

Eine hohe Versiegelungsrate und ein noch höherer Flächenverbrauch – das ist die Schattenseite von Gewerbegebieten. Während sie wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung von Städten, Gemeinden und ihrem Umland sind, sind sie gewöhnlich gleichzeitig lebensfeindliche Orte, die nicht nur von Tieren, sondern auch von Menschen gemieden werden. 

Nachhaltiges Gewerbegebiet in Schlier soll Alternativen aufzeigen

Doch Alternativen sind möglich. Das zeigt die kleine Gemeinde Schlier, die eines der ersten nachhaltigen Gewerbegebiete überhaupt geplant hat. Von 2018 bis 2020 hat die Gemeinde bereits ein klimaneutrales Baugebiet mit einem kalten Nahwärmenetz entwickelt. Nun, da die Planung eines Gewerbegebietes anstand, war für die Gemeinde völlig klar: „Es kann kein Gewerbegebiet von der Stange sein“, wie Bürgermeisterin Katja Liebmann sagt. „In der heutigen Zeit können wir uns das nicht mehr leisten. Deshalb haben wir das Gewerbegebiet Wetzisreute-Ost nach Gesichtspunkten des Klimaschutzes geplant.“ 

Hier entsteht das nachhaltige Gewerbegebiet Wetzisreute-Ost
Hier entsteht das nachhaltige Gewerbegebiet Wetzisreute-Ost. (c)Gemeinde Schlier

In der Gemeinde gab es zuvor kein reines Gewerbegebiet. Doch sowohl Unternehmen in der Gemeinde als auch aus den Nachbargemeinden hatten Bedarf für eine Erweiterung ihres Firmengeländes angemeldet. Die Entwicklung des nachhaltigen Gewerbegebiets begann im Frühjahr 2021. Schlier wandte sich an die Bodensee Stiftung, die sich bereits mit dem Thema auseinandergesetzt hatte. „Die letzten anderthalb Jahre standen wir in intensivem Kontakt mit der Stiftung“, erzählt Liebmann. Zusätzlich waren zwei Planungsbüros am Prozess beteiligt sowie der Landschaftserhaltungsverband Ravensburg und die Energieagentur Ravensburg. Dabei war es allen Beteiligten wichtig, eine pragmatische Lösung zu finden, die für eine 4.000-Einwohner-Gemeinde funktionieren kann. 

Nachhaltige Energieversorgung ist schwer planbar

„Es war schnell klar, dass die Energieversorgung über Nahwärme bei einem Gewerbegebiet schwierig zu planen sein würde“, erinnert sich Liebmann. „Wir können vorher nicht einschätzen, welche Unternehmen sich ansiedeln werden und wie ihr Energiebedarf aussehen wird. Daher haben wir stärker darauf gesetzt, das Gewerbegebiet biodivers und nachhaltig zu planen. Orientiert haben wir uns an ersten nachhaltigen Gewerbegebieten in Bocholt und Vorarlberg.“ Das bedeutet, dass es für das Gewerbegebiet besondere Vorgaben im Bebauungsplan gibt, aber auch dass die Gemeinde eine eigene Förderung beschlossen hat, die nachhaltige Bauweisen belohnt.

Es sind neue Wege bei der Bauleitplanung nötig, um Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu integrieren. Das haben wir als Gemeinde in die Hand genommen.

Katja Liebmann, Bürgermeisterin der Gemeinde Schlier

Katja Liebmann über ein nachhaltiges Gewerbegebiet in Schlier (c)Gemeinde Schlier

So ist im Bebauungsplan festgeschrieben, dass auf 75 Prozent der Dachflächen extensive Gründächer zu realisieren sind. Diese helfen das Gewerbegebiet zu kühlen und Starkwasserereignisse abzupuffern. Die Grünflächen bieten gleichzeitig wertvolle Habitate für trockenheitsliebende Arten. Für die PV-Pflicht kann die Begrünung ebenfalls positive Effekte haben: Die Kombination in Form eines Solargründachs kann durch den Kühlungseffekt den Stromertrag steigern. Alle anfallenden Niederschläge müssen auf den Grundstücken versickert werden. Hierfür helfen nicht nur die Gründächer, sondern auch die Verkehrswege zweiter Ordnung und Stellplätze, die versickerungsoffen gestaltet werden müssen sowie die Anlage von naturnahen Retentionsflächen. Für die Außenflächen ist eine naturnahe Gestaltung zum Beispiel in Form von heimischen Blumenwiesen und naturnahen Hecken vorgeschrieben. 

Kommune pflegt eigene Grünflächen im nachhaltigen Gewerbegebiet

Die Bodensee-Stiftung hat einen Handlungsleitfaden erarbeitet, der verschiedene naturnahe Gestaltungsmöglichkeiten erklärt. Daraus können sich die Unternehmen nach ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten geeignete Maßnahmen für ihr Firmengelände aussuchen. Auch die kommunalen Grünflächen im Gewerbegebiet, wie das große Retentionsbecken, werden naturnah angelegt und gepflegt. Naturnahe Grünzüge sollen nicht nur die Durchgängigkeit für verschiedene Tierarten sicherstellen, sondern auch die Aufenthaltsqualität für Kundinnen und Kunden sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhöhen und das Gebiet angenehm in das Landschaftsbild einfügen. „Dadurch haben wir als Kommune natürlich auch Mehrkosten“, sagt Katja Liebmann. „Doch ich bin überzeugt, das wird sich anderweitig für uns auszahlen.“

Bonussystem gibt Unternehmen Anreize noch nachhaltiger zu sein

Bei den naturnahen kommunalen Flächen und den Auflagen für die Unternehmen im Bebauungsplan bleibt es allerdings nicht. Um Unternehmen einen Anreiz für eine nachhaltigere Bauweise zu geben, hat die Gemeinde Schlier für das Gebiet ein Bonussystem entwickelt. In fünf Kategorien können Unternehmen mit einer entsprechenden Planung Punkte sammeln und damit Geld sparen: Mit dem Erreichen der Bonusstufe 1 beziehungsweise 2 kann der Grundstückspreis um fünf beziehungsweise zehn Euro pro Quadratmeter reduziert werden. „Wir haben schon mitbekommen, dass sich verschiedene Unternehmen zusammentun wollen, um gemeinsam Ziele erreichen zu können“, erzählt Liebmann. „Zwei Unternehmen möchten zum Beispiel gemeinsam eine Holzschnitzelanlage bauen.“ So sollen Unternehmen zusätzlich motiviert werden, flächensparend und energieeffizient zu bauen, ökologischere Baumaterialien zu verwenden sowie Gebäudegrün zu integrieren. Für die Entwicklung des Bonussystems konnte sich Schlier an einem ähnlichen System in der Stadt Bocholt bedienen.

Nachhaltiges Gewerbegebiet im Gemeinderat lange diskutiert

Im Gemeinderat hatte es zu Beginn des Projekts einige Diskussionen um den Nachhaltigkeitsaspekt gegeben. Es kam die Frage auf, ob man den Unternehmen damit zu viel aufbürdete. „Natürlich ist es möglich, dass sich manche Unternehmen nicht bei uns bewerben, weil sie die Auflagen nicht erfüllen wollen“, räumt Liebmann ein. „Aber ich bin überzeugt, dass es bei so großen Infrastrukturprojekten heute nicht anders geht.“ In einer Gemeinderatssitzung wurde ein Hochschulprofessor zugeschaltet, der sich mit nachhaltigem Bauen beschäftigt und den Gemeinderätinnen und -räten ein fundiertes Bild von den Möglichkeiten und Grenzen geben konnte. Am Ende unterstützte eine Mehrheit des Gemeinderats das Ziel eines nachhaltigen Gewerbegebiets. „Alle Unternehmen, die sich bisher beworben haben, haben das akzeptiert und wollen die Auflagen erfüllen“, so die Bürgermeisterin. „Und man muss auch bedenken, dass nicht unbegrenzt Gewerbeflächen zur Verfügung stehen.“

So geht es mit dem nachhaltigen Gewerbegebiet weiter

Die Gemeinde hat im August die Preise für die Bauplätze festgelegt. In einem ersten Schritt ist sie auf die ortsansässigen Unternehmen und einige Firmen in Nachbarkommunen zugegangen. Zehn Unternehmen haben sich daraufhin um Bauplätze beworben. In einem nächsten Schritt wird die Kommune in die größere Vermarktung der Bauplätze einsteigen. Insgesamt geht sie davon aus, 30 bis 40 Unternehmen im Gewerbegebiet ansiedeln zu können – je nach Art der Unternehmen und deren Platzbedarf. „Bisher haben sich hauptsächlich Handwerksbetriebe beworben und auch ein Supermarkt möchte sich ansiedeln“, erzählt Katja Liebmann.