Lärmaktionspläne sollen die Lärmbelastung von Bürgerinnen und Bürgern deutlich senken
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Lärmaktionspläne: Für Tempo 30 vor den VGH

Lärm ist in Städten und Gemeinden in ganz Baden-Württemberg Thema. Lärmaktionspläne sollen die Lösung sein. Doch wie effektiv sind sie? In Wäschenbeuren und Uhldingen-Mühlhofen hat man positive Erfahrungen gemacht. Oft müssen die Kommunen jedoch lange kämpfen, um ihre Maßnahmen bei den Landratsämtern durchzubekommen. Die Gemeinde Uhldingen-Mühlhofen ist vor den Verwaltungsgerichtshof gezogen, um eine Tempo-30-Zone durchzusetzen - und hat Recht bekommen.

"Ich bin seit fast 40 Jahren Bürgermeister und in der ganzen Zeit hat mich Lärm im Straßenverkehr beschäftigt - mal mehr, mal weniger", erzählt Karl Vesenmaier, Bürgermeister der Gemeinde Wäschenbeuren. Denn mitten durch die Gemeinde führt die Bundesstraße 297. "Die Lkw nutzen das Bundesstraßengeflecht bei uns, um von der A8 auf die A7 zu wechseln", berichtet der Bürgermeister. "Der Verkehr erdrückt einen regelrecht." Rund um das Jahr 2000 gab es Überlegungen den Verkehr durch eine Umgehungsstraße zu beruhigen. Auch eine Machbarkeitsstudie war in Auftrag gegeben worden. "Damals ist es nicht dazu gekommen und heute denkt man über derart Vorhaben anders", sagt Karl Vesenmaier. "Man möchte möglichst wenig in die Landschaft eingreifen." In der Folge hat die Gemeinde auf anderem Wege versucht, die Lärmbelastung durch den Verkehr zu mindern. So hat sie etwa den innerörtlichen Teil der B297 umgestaltet. Neben einem neuen lärmmindernden Fahrbahnbelag, wurde die Fahrbahnbreite reduziert, die Gehwege verbreitert und Radwege markiert. Im erweiterten Ortskern wurde ganztägig Tempo 30 eingeführt. An der B297 wurden ein fester Blitzer und drei Geschwindigkeitsanzeigetafeln installiert.

Lärmaktionsplan soll in Wäschenbeuren die Lösung sein

All die Maßnahmen reichten jedoch nicht aus, um den Lärm ausreichend zu mindern. Der Gemeinde war klar: Es muss ein Konzept her. Um auf einer guten Faktengrundlage über weitere Schritte entscheiden zu können, hat man technische Lärmmessungen vornehmen lassen. Und Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung haben eigene Zählungen im Stundentakt vorgenommen. Aufgrund der erhobenen Daten hat die Gemeinde eine Entscheidung gefällt: 2015 wurde ein Lärmaktionsplan bei einem Ludwigsburger Ingenieurbüro in Auftrag gegeben, den der Gemeindetag 2016 beschlossen hat. Dieser macht verschiedene Vorschläge. So etwa, dass die komplette Ortsdurchfahrt der B297 in der Nacht Tempo-30-Zone und das Tempolimit angrezend an die Ortsdurchfahrt auf maximal 70 km/h reduziert werden soll. Zudem rät das Ingenieurbüro dazu die Geschwindigkeitsüberwachung zu intensivieren.

30er Zone scheitert am Landratsamt

Während die Kommune stetig weiter an einer Lärmminderung im Verkehr gearbeitet hat, ist sie mit verschiedenen Maßnahmen aus dem Lärmaktionsplan an anderen Verwaltungsebenen gescheitert. Denn es gibt keine eigenständige Rechtsgrundlage für die Anordnung von Lärmminderungsmaßnahmen in Lärmaktionsplänen. Ob es zu der Umsetzung von Maßnahmen eines Lärmaktionsplans kommen soll, prüft die zuständige Fachbehörde - bei kreisangehörigen Städten und Gemeinde ist das das Landratsamt. "Wir waren in einem langen Konflikt mit dem Landratsamt über mehrere Maßnahmen", erinnert sich Vesenmaier. "So konnten wir zum Beispiel eine Ausweitung der 30er-Zone nicht durchsetzen". Dabei sei man sich im Gemeinerat längst einig, dass diese Maßnahme zu einer substanziellen Lärmminderung führen würde. Nun ist der Lärmaktionsplan der Gemeinde fünf Jahre alt. Nach fünf Jahren müssen die Pläne erneuert werden. Der Bürgermeister sieht darin eine große Chance für die Gemeinde. "Die Rechtsgrundlage für verschiedene Maßnahmen, die wir durchsetzen müssen, hat sich in der Zwischenzeit verbessert", so Vesenmaier. Bevor ein neuer Lärmaktionsplan in Auftrag gegeben wird, soll auch die Bürgerschaft wieder eingebunden werden. "Wir wollen natürlich erst einmal herausfinden, ob die Bürger sich nach wie vor weitere Maßnahmen, wie etwa eine 30er-Zone in der Nacht wünschen", sagt Karl Vesenmaier. "Für einen neuen Lärmaktionsplan zahlen wir rund 10.000 Euro und die nehmen wir nur in die Hand, wenn die Bürger das auch wollen."

Den Lärmaktionsplan der Gemeinde Wäschenbeuren finden Sie hier.

Warum werden Lärmaktionspläne erstellt?

Rechtsgrundlage der Lärmaktionspläne ist die EU-Umgebungslärmrichtlinie 2002/49/EG, die den Umgang mit Geräuschimmissionen regelt. Werden gewisse Lärmbelastungen im Bereich der Wohnbebauung überschritten, müssen entsprechende Maßnahmen zur Lärmminderung umgesetzt werden. Doch woher weiß ich, wie hoch die Lärmbelastung für die Einwohnerinnen und Einwohner ist? In Baden-Württemberg gibt es eine regelmäßige landesweite Umgebungslärmkartierung. Die aktuellste Lärmkartierung stammt aus dem Jahr 2017. Die Lärmkarten zeigen die Lärmbelastung von Hauptverkehrsstraßen, Haupteisenbahnstrecken und Großflughäfen sowie in Ballungsräumen auch die sonstigen relevanten Lärmquellen wie zum Beispiel Industriegelände. Für die Lärmkartierung von Hauptverkehrsstraßen ist die LUBW zuständig, für die Kartierung in den Ballungsräumen rund um Stuttgart und Freiburg, sind die jeweiligen Städte zuständig. Zeigt sich, dass die Lärmbelastung für die Einwohnerinnen und Einwohner zu hoch ist, müssen die Kommunen Lärmaktionspläne erstellen beziehungsweise in Auftrag geben. Bereiche mit Lärmbelastungen über 65 dB(A) LDEN und 55 dB(A) LNight liegen in einem gesundheitskritischen Bereich und sind daher auf jeden Fall zu berücksichtigen. Hinweise und Hilfsstellungen zur Erstellung von Lärmaktionsplänen hat das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg herausgegeben. Diese finden Sie hier.

Uhldingen-Mühlhofen zieht für die 30er Zone vor Gericht

In der Gemeinde Uhldingen-Mühlhofen wurde der erste Lärmaktionsplan bereits 2013 verabschiedet. Ähnlich wie in Wäschenbeuren war auch in Uhldingen-Mühlhofen Teil des Lärmaktionsplans eine Tempo-30-Zone in der Nacht. Auch hier hatte der Landkreis als zuständige Verkehrsbehörde den Plan der Gemeinde abgelehnt. Die Begründung: Die Lärmbelastung in den betroffenen Gebieten liege zwei Dezibel unter der nächtlichen Grenze, die Lärmschutzmaßnahmen begründet. Die Gemeinde entschied sich vor Gericht zu ziehen.

VGH stärkt die kommunale Selbstverwaltung

Das zuständige Verwaltungsgericht ging zunächst davon aus, dass es der Gemeinde an der notwendigen Klagebefugnis fehlt, weil sie mangels einer eigenen Rechtsposition die Umsetzung der von ihr festgelegten Lärmminderungsmaßnahme generell nicht einklagen könne. Das sah der Verwaltungsgerichtshof jedoch anders: In seinem Urteil spricht er der Gemeinde das Recht zu, vom Land die Umsetzung der festgelegten Lärmminderungsmaßnahme einzufordern. Eine klare Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. Die Straßenverkehrsbehörde sei nach § 47d Abs. 6 i. V. m. § 47 Abs. 6 Satz 1 BImSchG an die Festlegungen in Lärmaktionsplänen gebunden. Sie könne insbesondere nicht das Planungsermessen der Gemeinde durch ihr eigenes ersetzen. Die Bindung bestehe nur dann nicht, wenn die Anordnungsvoraussetzungen des Straßenverkehrsrechts nicht erfüllt seien oder die Festlegung im Lärmaktionsplan nicht ordnungsgemäß erfolgt sei.

VGH: Städte und Gemeinde haben die Planungshoheit

Der Verwaltungsgerichtshof weist in einer Pressemitteilung zu dem Urteil auch noch einmal darauf hin, dass die Kommunen mit ihren Lärmaktionsplänen verschiedene Kriterien zu erfüllen haben. So müsse etwa eine hinreichende Abwägung der durch die festgelegte Maßnahme betroffenen Belange Dritter, hier also der Verkehrsteilnehmer beachtet werden. Die Lärmminderungsmaßnahme müsse unter Berücksichtigung dessen insbesondere auch verhältnismäßig sein. Weitergehenden Bindungen unterlägen die Gemeinden aber nicht. Sie müssten auch kein Einvernehmen mit den Straßenverkehrsbehörden herstellen. Die Weigerung, eine im Lärmaktionsplan rechtmäßig festgelegte Lärmminderungsmaßnahme umzusetzen, verletze mit der Planungshoheit ein der Gemeinde im Rahmen der Selbstverwaltungsgarantie zustehendes Recht. Die Lärmaktionsplanung betreffe mit der Bewältigung des Umgebungslärms eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft, auch wenn dieser maßgeblich vom Durchgangsverkehr (mit-)verursacht werde. Es könne offenbleiben, ob daneben auch der europarechtliche Effizienzgrundsatz die Annahme einer eigenen Rechtsposition der Gemeinden verlange.

Das Land begrüßt das Urteil des VGH

Der Verwaltungsgerichtshof ließ wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Urteils eine Revision zum Bundesverwaltungsgericht zu. Auf diese verzichtete das Land jedoch. „Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg weitet deutlich die Handlungsspielräume von Städten und Gemeinden für den Lärmschutz aus", kommentiert Verkehrsminister Winfried Hermann die Rechtssache. "Durch das Urteil wird die Lärmaktionsplanung der Gemeinden gestärkt, so dass die Zahl von etwa 250.000 Straßenlärmbetroffenen in Baden-Württemberg noch effektiver als bisher gemindert werden kann.“

In Uhldingen-Mühlhofen ist nun eine ganztägige 30er Zone im Gespräch

Nach dem Urteil wurde im Oktober 2018 die 30er-Zone in der Nacht in Uhldingen-Mühlhofen umgesetzt. Dominik Männle kam zwar erst 2020 ins Bürgermeisteramt, kann über den Ist-Zustand jedoch sagen: "Die 30er Zone in der Nacht hat für die Lärmminderung wirklich etwas gebracht." Von der Bürgerschaft höre er nun, dass man sich die 30er Zone auch am Tag wünsche. Die Gemeinde erwägt bereits bei einer Erneuerung des Lärmaktionsplans eine ganztägige 30er Zone festzuschreiben.

Den Lärmaktionsplan der Gemeinde Uhldingen-Mühlhofen finden Sie hier.