Prototypenbau bei dem Modellprojekt "Junges Wohnen"
© Studiengesellschaft für Projekte zur Erneuerung der Strukturen

„Junges Wohnen“ eröffnet neue Perspektiven

Wie schaffen es Kommunen im Ländlichen Raum, jungen, gut ausgebildeten Menschen ein attraktives Wohnangebot zu machen? Dieser Frage gingen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Modellprojekts „Junges Wohnen“ nach. Doch sie wirft viele Folgefragen auf: die nach Perspektiven für ausgedünnte Ortskerne zum Beispiel oder die nach dem Umgang mit Leerstand und in die Jahre gekommenen Liegenschaften.

Für Brigitte Hehr besteht kein Zweifel: Das Projekt „Junges Wohnen“ war in Dornstadt ein Erfolg. In der knapp 9.000-Einwohner-starken Gemeinde im Alb-Donau-Kreis ist Hehr für kommunale Liegenschaften zuständig. Sie weiß, dass die Zukunft viele Veränderungen mit sich bringt, wenn es darum geht, wie wir leben und wohnen. Tendenziell wandern vor allem junge Menschen aus kleinen Kommunen wie Dornstadt ab, selbst dann, wenn sie in boomenden Regionen liegen. Wie lässt sich das verhindern? „Es wäre natürlich schön, wenn die jungen Leute nach dem Studium wieder zurückkommen würden. Aber es ist andererseits klar, dass sie nicht wieder in ihre Kinderzimmer ziehen. Und ein Haus bauen will auch nicht gleich jeder“, fasst Hehr zusammen. Ganz davon abgesehen, dass selbst die, die es wollen, immer seltener die Möglichkeit dazu haben werden. Schließlich sind die Flächen endlich und im Namen des Umweltschutzes werden immer weniger neue Baugebiete ausgewiesen.

Scheunenumbau in Dornstadt

Die Zauberworte lauten also Umbau und Neunutzung und genau darum ging es im Projekt „Junges Wohnen“. In Dornstadt zum Beispiel ist ein Privateigentümer mit an Bord, der seine geräumige Scheune mit Gewölbekeller zum Umbau freigegeben hat. WGs und Werkstätten könnten hier einziehen. Doch bevor es ans Praktische geht, ging es zunächst primär darum, sich Inspirationen zu holen. „Vor allem die Exkursion nach Österreich hat uns die Augen geöffnet und wichtige Impulse gegeben“, berichtet Brigitte Hehr. Aus dem Nachbarland hatten sich die Verantwortlichen die Inspiration für das Modellprojekt geholt. Dort besuchte die baden-württembergische Delegation unter anderem einen Supermarkt, der komplett ohne Personal auskommt. Sie begutachtete ein Co-Working-Areal in einer alten Gießerei und konnte ein altes Krankenhaus, das sich in einen Treffpunkt für Familien und Kinder verwandelt hat und gleichzeitig Kneipen und ein Technologielabor beherbergt, besichtigen.

Wird Mischform aus Wohnen und Arbeiten genehmigt?

Als besonders wertvoll empfand Brigitte Hehr auch die Tipps und Hinweise der Architektinnen und Architekten der Projektentwicklungsgesellschaft, die Teil des Projekts war und die auf die Neunutzung alter Gebäude spezialisiert sind. Auch bei den Dornstädter Bürgerinnen und Bürgern stieß das Vorhaben auf Interesse, dem Aufruf der Gemeinde zu einem Resonanzworkshop folgte ein Dutzend überwiegend junger Leute. Ob das Vorhaben in Dornstadt umgesetzt wird, werden die nächsten Monate zeigen. Derzeit liegt die Bauvoranfrage des Eigentümers der Immobilie beim Landratsamt. Dort prüfen Fachleute unter anderem, ob es planungsrechtlich zulässig ist, in dem Haus eine Mischform aus Wohnen und Arbeiten zu etablieren.

Projekt soll Bewusstsein für die vielen Möglichkeiten im Ländlichen Raum schaffen

Die Umsetzung der Ideen obliegt den Kommunen, zum Projekt gehörte zunächst einmal die Bewusstseinsbildung für das Thema Junges Wohnen und damit für die Offenheit gegenüber alternativen Wohnformen. Es ging darum, attraktive und innovative Wohnformen für junge Leute im Ländlichen Raum gedanklich zu ermöglichen. Es ging um die Frage, wie die Entwicklung von Ortskernen gelingen kann. Wie Leerstände in Wohnhäusern, Pfarrhäusern, Schulen, Hallen und Scheuen beendet werden können. Wie man alte, denkmalgeschützte Gebäude umnutzen kann und welche Möglichkeiten der Förderung es gibt. Schließlich kreiste das Projekt auch um die Frage, wie Fachkräfte im Ländlichen Raum zu halten sind. 

Modellkommunen tauschen untereinander kreative Ideen aus

In allen Gemeinden wurde in den regelmäßigen Fokusgruppentreffen eine gemeinschaftliche Nutzung angestrebt und gedanklich entwickelt. Ab dem dritten Treffen gab es Präsenzveranstaltungen, die den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ermöglichten, sich gegenseitig Tipps und Ratschläge zu geben. „Das hat allen Spaß gemacht, weil eine kreative Stimmung spürbar war und alle an etwas Neuem gearbeitet haben“, sagt Ingrid Engelhart, Projektleiterin der Studiengesellschaft für Projekte zur Erneuerung der Strukturen. Teil des Modellprojekts waren außerdem Resonanzworkshops mit jungen Erwachsenen, die eine Online-Befragung beinhalteten. Die Ideen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer flossen wiederum in die Planung der kommunalen Akteure ein. Die Antwort auf die spannende Frage der Umsetzung muss noch warten. 

Ideenfindungsworkshop des Modellprojekts "Junges Wohnen"
Ideenfindungsworkshop

Wie geht es mit "Junges Wohnen" nun weiter?

Wie weit aber sind die sechs Kommunen bislang gekommen? Die eine Antwort darauf gibt es nicht. Die einen haben bereits konkrete Schritte eingeleitet, andere stecken noch in der Planung. Beispiel Riedlingen: Die Stadt will sich mit ihrem Projekt noch in diesem Jahr für das Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum (ELR) bewerben, ein Programm des Ministeriums für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz. Dort stand die Umwandlung des ehemaligen Rathauses in der Dorfmitte zur Debatte. In Abstimmung mit den Verantwortlichen vor Ort will man das Projekt nun angehen. 

Modellprojekt "Junges Wohnen" in Riedlingen

Weitere Projekte in der Kernstadt und in den Ortsteilen seien denkbar, sagt Wolfgang Weiß vom Riedlinger Stadtbauamt. Für ihn besteht kein Zweifel an der Notwendigkeit, konventionelle Wohnformen zu überdenken. „Wir sind überzeugt, dass Wohnen flexibler gestaltet werden muss“, sagt Weiß. Die Alterung der Bevölkerung und der Fachkräftemangel im Ländlichen Raum machten es erforderlich, als Kommune für junge Leute attraktiv zu bleiben oder es wieder zu werden. Ein wesentlicher Faktor, den Städte und Gemeinden selbst in der Hand hätten, sei die Schaffung von interessantem und flexiblem Wohnraum. Auch in Herbolzheim sind die Planungen weit fortgeschritten. In Bettringen, einem Stadtteil von Schwäbisch Gmünd, soll spätestens im Herbst ein Nutzungskonzept für das Alte Pfarrhaus präsentiert werden. Kirche, Ortschaftsrat und ein Bürgerverein hatten sich am Modellprojekt beteiligt. Im Gespräch ist eine Mischnutzung aus Begegnungsort und Wohnungen für junge Menschen. 

Modellprojekt "Junges Wohnen" in Schwäbisch Gmünd
Das Alte Pfarrhaus in Schwäbisch Gmünd

Von der Planung zur Umsetzung

„Wir sind mit den Modellkommunen sehr weit gekommen, aber von der Planung bis zur Umsetzung ist es ein großer Schritt“, sagt Engelhart. Denn bevor Baumaßnahmen ergriffen werden können, geht es ans Eingemachte. Baurechtliche Fragen und Fragen der Finanzierung sind komplex und voller Tücken. Dazu kommen einzelfallbezogene Hürden, wenn beispielsweise Eigentümerinnen oder Eigentümer privater Wohngebäude ihr zunächst zugesagtes Engagement einstellen oder nur zögerlich weiterverfolgen. Die angestrebte Bewusstseinsbildung jedenfalls hat gut funktioniert. „Durch das Modellprojekt hat das Thema Junges Wohnen im Ländlichen Raum erst an Wahrnehmung gewonnen und somit mehr Aufmerksamkeit erhalten“, sagt Wolfgang Weiß. In Riedlingen hätten sich neben dem Ortschaftsrat vor allem Jugendliche für das Modellprojekt interessiert. Fest steht: Die sechs Teilnehmerkommunen wollen ihre während des Projekts gesammelten Ideen und Erkenntnisse weiterentwickeln. 

Folgeprojekt und Online-Plattform

Im Rahmen eines Folgeprojekts treffen sie sich deshalb in den kommenden Monaten regelmäßig zum Austausch. Was hat geklappt? Was nicht? Welche Herausforderungen gibt es, wo hakt es noch? Der Austausch untereinander ist wertvoll und wird deshalb fortgeführt. Zudem soll eine Exkursion an Orte in Baden-Württemberg stattfinden, wo bereits leerstehende Gebäude wie Scheunen und Rathäuser erfolgreich umgebaut worden sind. Nicht nur das: Das Interesse am Modellprojekt „Junges Wohnen“ sei unerwartet groß gewesen, Anfragen habe sie bundesweit erhalten, sagt Ingrid Engelhart, von Ministerien und Kommunen anderer Bundesländer. Die Erkenntnisse aus Baden-Württemberg werden deshalb gebündelt und allen Interessierten auf einer Online-Plattform zur Verfügung gestellt, die das Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz aufgebaut hat. Auf der Website soll es um konkrete Fragen gehen: Was bedeutet es für den Umbau, wenn Gebäude unter Denkmalschutz stehen? Ist es sinnvoll, eine Genossenschaft zu gründen, um ein Wohnprojekt zu realisieren? Auch Fragen zu Fördermodellen sollen behandelt werden. Das Projekt hat also viel in Bewegung gebracht. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob die Praxis mit den guten Ideen Schritt halten kann.

Die Online-Plattform zum Modellprojekt „Junges Wohnen“ finden Sie hier