Mobilitätsstation mit Lastenrad in Offenburg
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Interkommunale Mobilitätsprojekte: Mobilität kennt keine (Gemarkungs-)Grenzen

Sie ist ein probates Mittel, um das löchrige ÖPNV-Angebot im Ländlichen Raum zu kompensieren und gleichzeitig eine Waffe im Kampf gegen den Klimaschutz: die interkommunale Zusammenarbeit. Beispiele aus dem Ortenaukreis und dem Schwarzwald-Baar-Kreis zeigen auf, warum Vernetzung immer wichtiger wird.

„Nachhaltige Mobilität funktioniert nur, wenn man sich vernetzt“, sagt Tobias Uhrich, Bürgermeister von Neuried, im Gespräch mit die:gemeinde. Was er damit meint: Mobilitätskonzepte verlieren viel Effektivität, wenn sie an der Gemarkungsgrenze enden und dort nicht von ähnlichen Konzepten anderer Kommunen aufgenommen werden können. Dass Neuried zusammen mit neun anderen Kommunen das Mobilitätsnetzwerk Ortenau gegründet hat, ist deshalb angesichts Uhrichs Vorstellung einer vernetzten Mobilität nur konsequent. Zu dem interkommunalen Zusammenschluss gehören neben Neuried auch Appenweier, Friesenheim, Gengenbach, Kehl, Lahr, Offenburg, Rheinau, Schutterwald und Willstätt. Dazu kommen Oberkirch, Achern, Schwanau und Seelbach als sogenannte assoziierte Partnerkommunen. Als Dreh- und Angelpunkt sind sogenannte Mobilitätsstationen vorgesehen, an denen Bürgerinnen und Bürger Fahrräder und Autos ausleihen werden.

„Wer in Neuried ein Auto ausleiht, muss es dann eben nicht mehr zwingend auch wieder in Neuried abstellen, das ist der große Vorteil des Konzepts“, erklärt Tobias Uhrich.

Tobias Uhrich, Bürgermeister der Gemeinde Neuried

Tobias Uhrich über das Mobilitätsnetzwerk Ortenau

In Neuried sind sieben Mobilitätsstationen geplant. Da die Gemeinde fünf Ortsteile hat, bekommt jeder Ortsteil mindestens eine Station. An manchen wird es Fahrräder geben, an den größeren sowohl Räder als auch Elektro-Autos. Für die Räder zahlen Nutzer eine jährliche Gebühr von 49 Euro. Die erste halbe Stunde radeln sie kostenlos, jede weitere halbe Stunde kostet einen Euro. Parallel arbeite der Landkreis an einem Ausbau des Radwegenetzes, sagt Uhrich.

Uhrich: "Jede weitere Gemeinde ist gut für das Netzwerk"

Im kommenden Jahr könnten die ersten Stationen in Betrieb gehen. „Zunächst gründen die teilnehmenden Kommunen eine Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR), danach gehen wir in die Umsetzung“, so Uhrich. Eine AöR würde es den Kommunen ermöglichen, gemeinsame Ausschreibungen vorzunehmen und gemeinsam Fördergelder zu beantragen. Bei den zehn Kommunen muss es aber nicht bleiben. Uhrich setzt auf einen Schneeballeffekt. „Wir sind froh, als eine der ersten Gemeinden mit dabei zu sein. Jede weitere Gemeinde, die sich anschließt, ist gut für das Netzwerk“, sagt er. Und fürs Klima. Denn Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind für Uhrich wichtige Gründe gewesen, dem Netzwerk überhaupt erst beizutreten.

Mobilität muss neu gedacht werden. Unser Netzwerk ist dabei ein Puzzleteil von vielen. Doch auch anderes ist wichtig. So haben wir darüber nachgedacht, einen Bürgerbus einzuführen. Vielleicht wird es im Ort auch bald ein Mitfahrbänkle geben. Insgesamt müssen wir die Menschen auch dazu bewegen, zu zweit oder zu dritt ins Auto zu steigen.

Martin Holschuh, Bürgermeister der Gemeinde Schutterwald

Martin Holschuh über das Mobilitätsnetzwerk Ortenau

Auch für Martin Holschuh stand der Klimaschutz ganz oben bei der Entscheidung, Teil des Netzwerks zu werden. Holschuh ist Bürgermeister von Schutterwald, das nur sechs Autominuten von Neuried entfernt liegt. Die Gemeinde engagiere sich seit vielen Jahren im Bereich Klimaschutz, so Holschuh im Gespräch mit die:gemeinde. „Aus einer Energiepotentialstudie, die im Vorfeld eines Klimaschutzkonzepts erstellt wurde, ergab sich, dass gerade der Bereich Verkehr einen signifikanten Anteil am Gesamtenergieverbrauch der Gemeinde aufweist. Eine Radwegekonzeption in der Gemeinde wurde parallel zum Netzwerk, das den überregionalen Radverkehr betrachtet, in Auftrag gegeben. Die Gemeinde setzt die Maßnahmen nun schrittweise um. Mittlerweile gilt zudem nach jahrelangen Anstrengungen auch auf den überregionalen Straßen und Hauptdurchgangsachsen innerhalb der Bebauung weitgehend und größtenteils Tempo 30“, so Holschuh.

Realisierungsphase der Mobilitätsstationen

Das Ziel bestehe nun darin, den Verkehrsanteil von Sharing-Angeboten zu erhöhen und damit einen Beitrag zu einem umwelt- und klimafreundlichen Verkehr zu leisten. Ein großer Vorteil des Netzwerks besteht aus Sicht Holschuhs in Synergieeffekten. „Jede Kommune hat in bestimmten Themenfeldern bereits Erfahrungen gesammelt, die an andere Mitglieder des Netzwerks weitergegeben werden können. Von diesem Wissenstransfer profitieren alle. Ich freue mich, dass der Gemeinderat den Wert des Netzwerks erkannt hat und in der letzten Gemeinderatssitzung grünes Licht gab, die Zusammenarbeit auch weiter fortzusetzen und der geplanten Anstalt öffentlichen Rechts beizutreten.“ Drei Jahre haben die Mitglieder sich nun mit konzeptionellen Grundlagen beschäftigt, haben in regelmäßigen Netzwerktreffen Wissen aufgebaut und ausgetauscht. Nun steht die Realisierungsphase an, von 2023 bis 2025 sollen die Mobilitätsstationen eingerichtet werden. Dann wird sich zeigen, wie groß das Interesse der Menschen an den Angeboten ist und wie klimafreundlich sich der Verkehr in der Ortenau entwickelt.

In Offenburg stehen die Mobilitätsstationen des Mobilitätsnetzwerk Ortenau bereits.
In Offenburg stehen die Mobilitätsstationen bereits.

Während der Erfolg des Mobilitätsnetzwerks Ortenau noch nicht absehbar ist, hat sich das interkommunale Projekt Spurwechsel der Gemeinden Deißlingen, Niedereschach und Dauchingen mittlerweile fest etabliert. Vor acht Jahren ging das geförderte Projekt an den Start. Es funktioniert so: Jede der drei Gemeinden wurde mit einem Elektro-Auto ausgestattet, das Bürgerinnen und Bürger entweder selbst mieten oder als Bürger-Taxi in Anspruch nehmen können. Als Taxi wird es von Ehrenamtlichen gefahren.

Projekt Spurwechsel kann Erfolge vorweisen

Das Ziel des Projekts Spurwechsel bestand von Anfang an darin, den Bürgerinnen und Bürgern ein stabiles Mobilitätsangebot in einer Region zu gewährleisten, in der der öffentliche Nahverkehr kaum existiert. Zielgruppe waren ältere Menschen. Die Resonanz spricht für sich: Seit 2014 konnte man einen kontinuierlichen Anstieg der Fahrten verzeichnen. „Bis einschließlich März 2020 wurden mehr als 6.400 Fahrten durchgeführt und über 200.000 Kilometer rein elektrisch zurückgelegt, was einer CO2-Einsparung von rund 35 Tonnen entspricht“, sagt Hauptamtsleiter Andreas Meyer aus Niedereschach, der stellvertretend für alle drei beteiligten Gemeinden spricht, gegenüber die:gemeinde.

Kommunen wollen das Angebot weiter ausbauen

Pro Monat hätten die ehrenamtlichen Bürgerinnen und Bürger durchschnittlich 100 Fahrten absolviert. „Die höchste Auslastung konnten wir im Oktober 2018 verzeichnen. In diesem Monat wurden mehr als 180 Fahrten durchgeführt“, sagt Meyer. Die hohe Nachfrage ermutigte die drei Kommunen, das Angebot auszuweiten und die Anzahl der Fahrzeuge zu verdoppeln. Es steht sogar im Raum, noch weitere Autos anzuschaffen. Doch dabei gäbe es eine große Herausforderung zu meistern: genügend ehrenamtliche Fahrerinnen und Fahrer zu finden und die Fahrten logistisch zu koordinieren. „Da wir unsere Kapazitätsgrenzen allerdings noch nicht erreicht haben, wurden diese Überlegungen noch nicht vertieft“, sagt Andreas Meyer. Während das Bürger-Taxi immer stärker boomt, spielt die Vermietung der Autos mittlerweile eine untergeordnete Rolle beim „Spurwechsel“.

Corona hat eine Zäsur für den Spurwechsel dargestellt

Ohnehin müssen die Verantwortlichen nun erst einmal abwarten, wie sich die Nachfrage weiterentwickelt. Denn auch für das Projekt stelle die Pandemie eine tiefe Zäsur dar. Mit dem ersten Lockdown im März 2020 stellten die Gemeinden den Fahrdienst vorübergehend ein. „Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass gerade ältere Personengruppen ein höheres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben. Eine große Anzahl an Fahrgästen, aber auch unserer Fahrerinnen und Fahrer, gehört zu der Altersgruppe 60+, welche es besonders zu schützen galt“, erklärt Meyer. Immerhin: Seither haben die Verantwortlichen den Fahrbetrieb wieder aufgenommen – der „Spurwechsel“ lebt also weiter.