Erstorientierungskurs zur Integration von Flüchtlingen mit unsicherer Bleibeperspektive
© vhs Geislingen an der Steige

Integration lokal leben

14. Juni 2021
Die Integration ist eine wichtige und gleichzeitig komplexe Aufgabe für unsere Gesellschaft. Umgesetzt wird sie in den Städten und Gemeinden. Die Volkshochschulen spielen hier eine bedeutende Rolle. So etwa die VHS Geislingen an der Steige, die den ersten Erstorientierungskurses für Asylbewerber mit unklarer Bleibeperspektive im Land durchgeführt hat. Olga Grimm und Sandra Schneider berichten.

Die Bevölkerung in Deutschland wird seit Jahrzehnten immer diverser und vielschichtiger. Unterschiedliche Positionen in Bezug auf soziale, kulturelle, ökonomische und weitere Fragen treffen aufeinander und können zu Spaltungen führen. Gleichzeitig bilden sie eine Grundlage für eine lebendige Demokratie und ein potenzialorientiertes Miteinander. Ob dieses Miteinander gelingt, zeigt sich am deutlichsten vor Ort: Fühlen sich Menschen in der Gemeinde willkommen und können sie an allen Lebensbereichen gleichberechtigt teilhaben? Gibt es Barrieren beim Zugang zu Bildung, Vereinen und Jobs entsprechend der Qualifikation? Wird auch die Willkommenskultur gefördert, indem zum Beispiel Wissen über Herkunftsländer vermittelt oder Ursachen für Migration erklärt werden?

Olga Grimm über Integration bei der VHS
Olga Grimm ist Fachreferentin Sprachen und Integration beim vhs-Verband Baden-Württemberg

Volkshochschulen engagieren sich bei der Integration

Seit rund 70 Jahren engagieren sich die Volkshochschulen im Integrationsbereich. Dabei werden die Zugewanderten ebenso in den Blick genommen wie die aufnehmende Gesellschaft. In ihrer Tradition als erste Anlaufstelle halten sie neben den Integrationskursen umfassende Angebote bereit, um Zugewanderte auf ihrem Integrationsweg zu begleiten und sie zur Eigenverantwortung zu befähigen. So profitieren jedes Jahr rund 200.000 Migranten von Deutsch-, Integrations- und Orientierungskursen, Einbürgerungstests und Sprachprüfungen sowie zahlreichen Integrationsprojekten. Gleichzeitig bieten die Volkshochschulen der Aufnahmegesellschaft die Möglichkeit, ihre interkulturellen Kompetenzen zu schulen sowie im geschützten Raum in einen wertschätzenden und faktenbasierten Dialog zwischen den Weltanschauungen einzutreten. Hierzu werden jährlich vhs-Angebote zur interkulturellen Bildung von rund 430.000 Teilnehmenden mit und ohne Migrationshintergrund genutzt.

Wie die Integrationsarbeit vor Ort konkret umgesetzt wird, zeigt ein Beispiel aus einem BAMF-geförderten Erstorientierungskurs für Asylbewerber mit unklarer Bleibeperspektive (EOK) an der Volkshochschule Geislingen an der Steige.

Leiterin Sandra Schneider berichtet:

Sprudelnd erzählt die Kursleiterin Giovanna Weitz von den Teilnehmenden ihres Erstorientierungskurses für Asylbewerber mit unklarer Bleibeperspektive (EOK) – ein schöner Moment nach fast drei Monaten Lockdown im Frühjahr 2020. Sie berichtet vom Zusammenhalt, was die Teilnehmenden dazugelernt haben und wie dankbar sie für diese Chance sind. Alle Teilnehmenden haben keinen Zugang zu BAMF-Integrationskursen und müssten noch lange warten, bis ihr Aufenthaltsstatus so weit geklärt ist, dass ihnen die Teilnahme an Integrationskursen als Nicht-EU-Bürger ermöglicht wird. Sie kommen aus dem Iran und Irak, aus Guinea, Nigeria, Indien, Afghanistan und Gambia. Sie leben jetzt hier und müssen alltägliche Situationen wie Arztbesuche, Einkäufe und den Kindergartenbesuch meistern sowie die Werte unseres Zusammenlebens in Deutschland kennenlernen.

Sandra schneider über Integration bei der VHS Geislingen an der Steige
Sandra Schneider ist Leiterin der vhs Geislingen an der Steige

So war der Erstorientierungskurs an unserer vhs ab dem 2. März 2020 ein zeitnahes Angebot, wurde jedoch am 17. März durch die Pandemielage unterbrochen. Alle Beteiligten – Teilnehmende, Kursleiterin und auch ich in der Planung des Kurses – standen vor der Herausforderung, den Kurs vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Online waren die Teilnehmenden schlecht zu erreichen und die Digitalisierung der vhs steckte im März 2020 noch in den Kinderschuhen.

Teilnehmer des Erstorientierungskurses für Asylbewerber mit unklarer Bleibeperspektive von Giovanna Weitz auf Exkursion.
Teilnehmer des Erstorientierungskurses für Asylbewerber mit unklarer Bleibeperspektive von Giovanna Weitz auf Exkursion.

Das unermüdliche Engagement und die Empathie der Kursleiterin haben die Teilnehmenden in den ersten Tagen zusammengehalten. Kontakte per Telefon und Messenger-Diensten, persönliche Treffen mit jeweils einem Teilnehmenden, bei denen Arbeitsmappen übergeben wurden, oder der Versand von Offline-Materialien per Post haben die ersten Wochen überbrückt. Bald war klar, dass der Kurs für eine lange Zeit nicht in Präsenz zurückkehren kann. Der Weg zur Lernplattform „vhs-Lernportal“ war für viele der Teilnehmenden eine Hürde, aber mit öffentlichem WLAN konnten sie dort arbeiten und der Anteil der Offline-Materialien wurde reduziert. Anfang Juni war die Freude groß, als sich die Gruppe als Ganzes wiedersah. Hygienekonzepte, Abstand und Masken im Unterricht gehörten ab sofort zum Alltag. Aber auch Exkursionen in die nähere Umgebung, auf den Wochenmarkt in der Altstadt oder als Stadtrallye zu den Ämtern und Institutionen, waren wieder möglich und gestalteten nicht nur den Unterricht abwechslungsreich, sondern vermittelten auch niederschwellig wichtige Informationen, zum Beispiel wo sich verschiedenste Ansprechpartner in der Stadt befinden. Somit erhielten die Teilnehmenden praktische Informationen für das Leben in Geislingen bis hin zur Mülltrennung. Der Kurs wurde im Oktober 2020 erfolgreich abgeschlossen.

Es freut mich, dass unsere Volkshochschule es geschafft hat, den ersten EOK im Land zu starten – unser sehr engagiertes Team hat damit wieder einmal bewiesen, dass es enorm schnell auf neue Aufgaben reagieren und diese erfolgreich umsetzen kann.

Frank Dehmer, Oberbürgermeister der Stadt Geislingen an der Steige

Mit dem Wissen um die hohe Motivation und die Zuverlässigkeit der Teilnehmenden wurde eine Fortführung des Kurses diesmal mit Mitteln der Verwaltungsvorschrift Deutsch beim Landratsamt bewilligt. Nun ist die Gruppe kurz vor dem Abschluss des zweiten Kurses - Zwar wieder im Lockdown, aber schon erfahren mit der Situation und in Vorfreude auf ihre erste Zertifikatsprüfung.