Innenentwicklung in der Gemeinde Walddorfhäslach
© Gemeinde Walddorfhäslach

Innenentwicklung: Maßarbeit statt Schema F

Dettingen unter Teck und Walddorfhäslach sind Musterbeispiele dafür, wie es gelingt, Ortskerne aufzuwerten. Wer genauer hinsieht, merkt: Schema F funktioniert nicht, und von heute auf morgen geht es schon gar nicht. Vielmehr sind maßgeschneiderte Lösungen gefragt, das Gespür für den Ort – und viel Geduld.

Die Innenentwicklung von Walddorfhäslach im Projekt „Neue Ortsmitten“ ist ein herausragendes Beispiel für nachhaltige Stadtplanung. Unter der Leitung von Bürgermeisterin Silke Höflinger, die seit 2004 im Amt ist, hat die Gemeinde wesentliche Fortschritte erzielt, die sowohl den dörflichen Charakter bewahren als auch modernen Städtebau integrieren. 

Schweinemastbetrieb ebnet Weg zur städtebaulichen Neugestaltung

Ein entscheidender Moment in diesem langjährigen Prozess war das Jahr 2014, das Höflinger als „historisches Ereignis“ bezeichnet. Zu diesem Zeitpunkt gelang es der Gemeinde nach jahrzehntelangem Bemühen, den Schweinemastbetrieb, der zentral im Ort lag, aufzukaufen und somit den Weg für die städtebauliche Neugestaltung zu ebnen. Seit den 1970er-Jahren hatten ihre Vorgänger immer wieder versucht, den Betrieb aus dem Kern auszusiedeln. 

Soziale und kulturelle Einrichtungen sollen den Ortskern attraktiver machen

Ein wesentliches Ziel des Projekts bestand darin, den Ortskern attraktiver zu gestalten und neue öffentliche Räume zu schaffen. Die Stadt sanierte mehrere denkmalgeschützte Gebäude, darunter die ehemalige Gaststätte „Ochsen“ und die ehemalige Molkerei, vollständig und integrierte sie in die Neugestaltung des Ortskerns. Diese Gebäude bieten nun Platz für soziale und kulturelle Einrichtungen wie ein Senioren- und Altenpflegewohnheim, eine Kindertagesstätte, ein Ärztehaus und eine Bücherei. Die Kombination von Alt und Neu ermöglicht es, den historischen Charakter des Ortes zu bewahren und gleichzeitig moderne Bedürfnisse zu erfüllen.

Hindernisse auf dem Weg 

An Herausforderungen mangelte es auf dem Weg zum Ziel nicht. Vor allem der Denkmalschutz machte Höflinger und ihren Mitarbeitenden zu schaffen. Auch der Erwerb privater Grundstücke gestaltete sich oft zäh – aber letztlich sei er der entscheidende Schlüssel gewesen, um die Planungshoheit über den Ortskern zu erringen, so die Bürgermeisterin. Über Jahre hinweg kaufte die Gemeinde stetig Flächen und Gebäude auf. 

Öffentliche Plätze sollen die Ortsmitte beleben

Ein weiteres zentrales Element des Projekts war es, öffentliche Plätze zu schaffen, die das soziale Leben der Gemeinde bereichern. Der Rathausplatz, der Molkereiplatz und der Notariatsplatz wurden neugestaltet und dienen nun als Treffpunkte für Feste, Märkte und Konzerte.

Je mehr Angebot wir schaffen, je attraktiver wir den Ortskern gestalten, desto mehr binden wir die Menschen an den Ort.

Silke Höflinger, Bürgermeisterin der Gemeinde Walddorfhäslach

Silke Höflinger über Innenentwicklung in Walddorfhäslach

Auch die Mobilität muss bedacht werden

Ein wichtiger Aspekt, der ebenfalls in den Planungen berücksichtigt wurde, ist die Verkehrssicherheit. Durch die Neugestaltung der Verkehrsführung und die Einrichtung eines Kreisverkehrs sowie die Reduzierung der Geschwindigkeit auf 30 km/h wurde die Verkehrslage entschärft. Zudem wurde ein barrierefreier Zugang zum öffentlichen Nahverkehr geschaffen und Ladesäulen für Elektroautos und E-Bikes tragen zur nachhaltigen Mobilität bei.

Wie finanziert Walddorfhäslach die Neugestaltung?

Das Gesamtprojekt kostete mehr als 35 Millionen Euro. Finanziert hat es die Gemeinde zum Teil aus Mitteln des Landessanierungsprogramms, aber auch durch den Verkauf von Bauplätzen in einem neuen Wohngebiet, das parallel zum städtebaulichen Projekt entwickelt wurde. Die Gemeinde selbst war mit etwa 65 Prozent Kostenanteil Hauptinvestorin. 

Innenentwicklung in Walddorfhäslach erhält Anerkennungspreis

Der Erfolg des Projekts spiegelt sich auch in der Anerkennung wider, die Walddorfhäslach für seine Bemühungen erhalten hat. Das Projekt wurde für den Staatspreis Baukultur Baden-Württemberg nominiert und erhielt schließlich einen Anerkennungspreis. Dies sei eine große Ehre gewesen, so Höflinger, denn es zeige, dass die Gemeinde einen wertvollen Beitrag zur nachhaltigen Innenentwicklung geleistet habe.

Innenentwicklung braucht Motivation und Ausdauer

Die Bürgermeisterin betont, dass der Erfolg solcher Projekte auf einer langen Ausdauer und einem festen Willen beruhe. Man müsse kreativ vorgehen und bereit sein, neue Pfade zu beschreiten. Kraft, Geduld, Ausdauer, Zuversicht und Weitblick gehörten ebenfalls zum Arsenal. „Man muss hartnäckig sein und einen langen Atem haben“, sagt sie. Im Fall Walddorfhäslachs haben sich diese Eigenschaften ausgezahlt. Die Neugestaltung des Ortskerns darf als zukunftsweisendes Beispiel für die Verbindung von Tradition und Fortschritt gelten, bei dem ein hoher sozialer und kultureller Mehrwert für die Gemeinschaft erzielt wurde. 

Dettingen unter Teck setzt auf langfristige Planung

Auch Rainer Haußmann ist überzeugt, dass Stadtentwicklung einen langen Atem voraussetzt. „Wir drängen die Menschen nicht, sondern machen Angebote, die sie im eigenen Tempo annehmen können“, sagt der Bürgermeister von Dettingen unter Teck. Schnellschüsse gehören nicht zur Strategie, die Dettingen zu einer Modellkommune im Bereich der Innenentwicklung gemacht hat. Haußmann ist seit über 28 Jahren im Amt und betont die Bedeutung von langfristiger Planung und konsequenter Bürgerbeteiligung, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern, ohne die Identität des Ortes zu gefährden. Ein zentrales Konzept dabei ist das „K und K“-Prinzip: Konzept und Kommunikation – Dettingen verbindet langfristige Konzepte mit intensiver Bürgerkommunikation, um eine nachhaltige Innenentwicklung zu ermöglichen. 

Dabei stehe die Freiwilligkeit im Vordergrund: Die Bürgerinnen und Bürger sollen entscheiden, ob und wie sie ihre Grundstücke nutzen. Dieser Ansatz soll laut Haußmann Konflikte vermeiden, die Akzeptanz fördern und eine vertrauensvolle Basis für die Zusammenarbeit zwischen Gemeinde und Bevölkerung schaffen. Diese Herangehensweise habe für eine langsame jedoch nachhaltige Entwicklung des Ortskerns gesorgt.

Städtebau braucht eine ganze Generation, um zu wirken.

Rainer Haußmann, Bürgermeister der Gemeinde Dettingen unter Teck 

Rainer Haußmann über die Innenentwicklung in Dettingen unter Teck

Haußmann ist davon überzeugt, dass Städtebau Zeit braucht. Den städtebaulichen Rahmenplan etwa hat die Gemeinde bereits 1999 entwickelt. Dieser Plan, der auf einer detaillierten Analyse der örtlichen Gegebenheiten basiert, hat sich vielfach bewährt und ist bis heute gültig. „Städtebau braucht eine ganze Generation, um zu wirken“, so Haußmann. Geduld und Weitsicht seien essenzielle Voraussetzungen für eine erfolgreiche Entwicklung. So profitieren die Gemeinde und die Einwohnerinnen und Einwohner.

28 neue Wohnungen in Mischnutzungsanlage

Ein Paradebeispiel ist eine Wohnanlage mitten im Ort. In dieser Mischnutzungsanlage entstanden 28 Wohnungen, eine Apotheke sowie ein Ladengeschäft für den Verein Forum Altern, der sich um die älteren Menschen im Quartier kümmert. Diese Kombination aus Wohnen und sozialem Engagement belebt den Ortskern und fördert den Zusammenhalt in der Gemeinde.

Innenentwicklung als behutsame Anpassung 

Haußmann erklärt, dass Innenentwicklung in Dettingen nicht als Zwang zur Verdichtung, sondern als behutsame Anpassung an den bestehenden Ortskern verstanden wird. „Wir lassen die Kirche im Dorf“, sagt er. So werden Konflikte vermieden, da die Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, aktiv in die Entwicklung des Ortes eingebunden zu sein und deren Tempo selbst bestimmen zu können.

Planung sei zudem nur dann sinnvoll, wenn sie auch marktgerecht sei. In Dettingen zeige sich das beispielhaft an der Ansiedlung eines Drogeriemarkts. Obwohl Dettingen mit seinen knapp 6.300 Einwohnerinnen und Einwohnern eigentlich zu klein für einen großen Drogeriemarkt wäre, gelang es der Gemeinde durch die Schaffung der passenden Rahmenbedingungen, wie integrierte Lagen und kombinierte Nutzungen, ein deutschlandweites Unternehmen anzuziehen. Das Projekt wurde ein Erfolg, weil es den Marktbedingungen entsprach, so Haußmann.

Innenentwicklung darf nicht in übermäßige Verdichtung umschlagen

Auch den richtigen Maßstab zu finden, um die Identität des Ortskerns zu bewahren, ist laut Haußmann wichtig. Innenentwicklung dürfe nicht zu übermäßiger Verdichtung führen. In Dettingen wurde dies durch maßvolle und durchdachte Planungen erreicht. „Es geht nicht darum, jede Lücke zu füllen, sondern darum, die Potenziale der Innenentwicklung sinnvoll zu nutzen“, sagt Haußmann. Das Ziel sei es, junge Familien in den Ortskern zu bringen und eine zukunftsfähige Gemeinde zu schaffen, ohne den Ort durch überdimensionierte Bauprojekte zu verändern.

Haußmann kritisiert, dass die Landespolitik zunehmend versuche, den Kommunen Vorschriften zu machen und ihnen zu wenig Freiraum lasse. „Die kommunale Selbstverwaltung ist eine der Stärken Baden-Württembergs“, sagt Haußmann, „und wir müssen dafür kämpfen, dass sie erhalten bleibt.“ 

Nur durch individuelle Lösungen, die auf die jeweiligen Bedürfnisse der Gemeinden abgestimmt sind, könne eine nachhaltige Entwicklung gelingen. Die Einführung von Flächenbudgets oder der „Netto-Null“ hält er für den Holzweg. Das Rasenmäherprinzip behandle Ungleiches gleich. „So kann eine individuelle und organische Gemeindeentwicklung im Land nicht gelingen“, sagt Haußmann.