Gemeindeentwicklungskonzept sorgt in Linkenheim-Hochstetten etwa für eine Dirtbike-Strecke
© Gemeinde Linkenheim-Hochstetten

Gemeindeentwicklungskonzepte - Ein Kompass für Bürger und Verwaltung

Strategische Grundsatzentscheidungen treffen, die viele Jahre verbindlich und gültig sind – das ermöglichen Gemeindeentwicklungskonzepte. Der Weg dorthin ist intensiv, manchmal mühsam und funktioniert nur im Dialog mit den Bürgern. Hat man sich aber erst einmal auf eine Ausrichtung verständigt, erleichtert das die Arbeit der Verwaltung ungemein.

Gemeindeentwicklungskonzepte (GEK) sind zunächst mit viel Arbeit verbunden. Sind sie jedoch einmal verabschiedet, können sie den Gemeinden auch sehr viel Arbeit ersparen. Davon ist Michael Möslang überzeugt, Bürgermeister der Gemeinde Linkenheim-Hochstetten im Landkreis Karlsruhe. Dort hat man im September 2018 ein solches Konzept auf den Weg gebracht. „Man nimmt viele Fragen und potenzielle Konflikte kommender Jahre in den Prozess auf und schafft dadurch einen klaren Erwartungshorizont – zum einen bei der eigenen Verwaltung, aber eben auch bei den Bürgern und bei den Stakeholdern“, sagt Möslang im Gespräch mit die:gemeinde. Besonders vorteilhaft ist aus Möslangs Sicht, dass man im Zuge eines GEK viele „Ob“-Fragen vorneweg klärt.

Gemeindeentwicklungskonzepte ersparen Rechtfertigung bei jedem Projekt

So stellt man sich in Linkenheim-Hochstetten künftig nicht mehr die Frage, ob man sich für einen Ausbau der Bundesstraße 36 stark macht – im Rahmen des GEK haben Bürger und Verwaltung diese Frage bereits bejaht. Sind die Grundsatzfragen geklärt, muss sich dann nur noch um das „Wann“ und das „Wie“ gekümmert werden. Als Möslang 2015 zum Bürgermeister von Linkenheim-Hochstetten gewählt wurde, gab es kein strategisches Entwicklungskonzept – weder für die ganze Gemeinde noch für einzelne Abteilungen. „Die Überlegung war deshalb, die Sache grundständig anzugehen“, sagt Möslang. Einen weiteren Anlass bot der Generationenwechsel, der sich in der Gemeinde derzeit vollzieht.

In neue Projekte muss ich nicht mehr mit einer Rechtfertigung einsteigen, sondern kann auf die grundständige Entscheidung verweisen. Das wird auch akzeptiert.

Michael Möslang, Bürgermeister der Gemeinde Linkenheim-Hochstetten

Michael Möslang über Gemeindeentwicklungskonzepte

Dieter Schneckenburger, Bürgermeister der Gemeinde Bötzingen im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald, hat ebenfalls gute Erfahrungen mit dem GEK gemacht. Ich würde jedem sagen: „Macht es, es ist wichtig!“, so Schneckenburger. Sinnvoll sei zum Beispiel die umfassende Bestandsaufnahme, die stets am Anfang der Konzepte steht und die man auch als Inventur einer Gemeinde bezeichnen könnte. Diese führe den Bürgern vor Augen, was die Verwaltung in der Vergangenheit schon alles auf die Beine gestellt hat – Das würde nämlich häufig vergessen oder übersehen. „Ein Bürger sagte mir, man müsse das Freibad mal auf Vordermann bringen. Da habe ich ihn darauf aufmerksam gemacht, dass das schon vor fünf Jahren geschehen ist“, so der Bürgermeister.

Gemeindeentwicklungskonzept als Dialog zwischen Gemeinde und Bürger

Apropos Bürger: Deren Einbindung ist ein wesentlicher Bestandteil eines jeden Gemeindeentwicklungskonzepts. Je intensiver man sie einbezieht, desto größer ist später die Akzeptanz der konkreten Projekte. Die Gemeinde Linkenheim-Hochstetten habe das GEK von Beginn an als Dialog zwischen Gemeinde und Bürgern angelegt, sagt Michael Möslang. Den Anfang machte ein Workshop. Daraufhin folgte eine Gemeinderatsklausur, die die Ideen des Workshops aufgriff, und schließlich zwei Spaziergänge in den beiden Ortsteilen. Nachdem der Grobentwurf des Rahmenplans stand, wurden alle Stakeholder beteiligt und abgefragt: Gewerbetreibende, Sozialeinrichtungen, Jugendliche, aber auch Mitarbeiter der Verwaltung. „Dieser Schritt hat wirklich Fleisch an den Knochen gebracht“, erinnert sich Michael Möslang.

Generationenpark aus Gemeindeentwicklungskonzept
Der Generationenpark beim Rathaus in Bötzingen ist aus dem Gemeindeentwicklungskonzept entstanden.

In Bötzingen kamen rund 300 Menschen zu einer Einwohnerversammlung zur Vorstellung des GEK: Eine bunte Mischung, zu der auch Menschen gehörten, die gewöhnlich nicht so intensiv am Gemeindeleben teilnehmen. Während sich bei anderen Projekten hauptsächlich Bürger zu Wort meldeten, die direkt betroffen sind, könnten sich bei einem GEK alle zu allem äußern – das sei ein Pluspunkt im Hinblick auf eine breite Beteiligung, sagt Dieter Schneckenburger. Vor allem in der Anfangsphase des Prozesses sei es ungemein wichtig, „Wildwuchs“ zuzulassen, findet Michael Möslang. Damit meint er, dass man Ideen sammeln und Impulse zulassen sollte, ohne sich gleich vom Korsett der finanziellen Machbarkeit und gesetzlichen Rahmenbedingungen einschnüren zu lassen. Alle Bereiche der Gemeinde sollte man ohne Scheuklappen unter die Lupe nehmen, findet Möslang.

Gemeindeentwicklungskonzepte brauchen eine neutrale Begleitung

Ebenso wichtig wie die Bürgerbeteiligung ist eine neutrale Begleitung des Prozesses. In Bötzingen wie auch in Linkenheim-Hochstetten übernahmen erfahrene Agenturen oder Arbeitsgemeinschaften diese Aufgabe. Externe am Prozess zu beteiligen sei wichtig, weil man eine ergänzende Perspektive erhalte, sagt Michael Möslang. Zudem sei der Blick von außen wertvoll, weil die Experten Erfahrungen aus anderen Projekten mitbrächten und Vergleiche ziehen könnten. Zudem brächten sie zusätzliche Professionalität und Knowhow mit, das den Verwaltungen kleiner Gemeinden normalerweise nicht zur Verfügung stehe. Dazu komme, so Möslang, dass die Experten neutral sind und keine eigenen Interessen verfolgen.

Sie haben die Veranstaltungen vorbereitet, bei Klausurtagungen im Gemeinderat und bei Bürgerveranstaltungen und der Einwohnerversammlung haben sie moderiert. Für die Bürger war es wichtig und hilfreich zu sehen, dass nicht der Bürgermeister oder ein Amtsleiter moderiert, sondern jemand von außen.

Dieter Schneckenburger, Bürgermeister der Gemeinde Bötzingen

Dieter Schneckenburger über Gemeindeentwicklungskonzepte

Inhaltlich geht es im Gemeindeentwicklungskonzept ans Eingemachte. Alles wird auf den Prüfstand gestellt und durchleuchtet. Oft greift man dabei auf das städtebauliche Instrument der strategischen Stärken-Schwächen-Analyse (SWOT-Analyse) zurück. In Linkenheim-Hochstetten durchleuchtete man damit verschiedene Bereiche – darunter Siedlungsstruktur und -entwicklung, Wohnbauflächenpotenziale, Versorgungsangebote und Einzelhandel, Bildungs- und Betreuungsangebote oder das Verkehrsnetz. Diese Analyse förderte neben einigen bekannten Aspekten – darunter die positive Bevölkerungsentwicklung und der Mangel an bezahlbarem Wohnraum – auch neue Erkenntnisse zutage. So zeigte eine Blockanalyse einzelner Quartiere, wie viele Menschen über 65 Jahre in einem Bereich wohnen und wie die bauliche Substanz in diesem Bereich aussieht. „Was die Alteingesessenen gar nicht auf dem Schirm hatten waren Defizite der Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum“, sagt Michael Möslang.

Im Prozess ergeben sich oft Leuchtturmprojekte

Die Gewerbetreibenden wiederum hätten bemängelt, dass es keine Wirtschaftsförderung in der Gemeinde gibt – ein Manko, das mittlerweile behoben wurde. Aus einer Analyse der Finanzstruktur ergab sich wiederum der Bedarf an mehr Gewerbeansiedlung und einem damit verbundenen Anstieg der Gewerbesteuer. Auch das Thema Jugend sei intensiv diskutiert worden. Auf die Leitlinien, das städtebauliche Rahmenkonzept und das Handlungskonzept folgte eine Umsetzungsstrategie inklusive einer Maßnahmen-Priorisierung. Die Liste führt der dreispurige Ausbau der Bundesstraße 36 an, gefolgt von der Aufstellung von Bebauungsplänen für alle bislang nicht überplanten Bereiche. Auch in Bötzingen kristallisierten sich aus dem Prozess sogenannte „Leuchtturmprojekte“ heraus, deren Umsetzung Priorität hat. Einige davon sind bereits realisiert. So zum Beispiel der Park in den Rathausgärten, der als grüner Begegnungsort für Jung und Alt angelegt ist und als Projekt aus dem GEK noch vor Ostern in Betrieb genommen wurde.

Diese Beispiele zeigen: Gemeindeentwicklungskonzepte haben zwar einen langfristigen Horizont, der oft mehr als ein Jahrzehnt umfasst. Als vage Richtschnüre darf man sie deshalb keineswegs missverstehen. Die Konzepte sind verbindliche Handlungsanweisungen und beinhalten konkrete Umsetzungspläne. Grundsätzlich gilt, was Dieter Schneckenburger für Bötzingen sagt: „Alles, was wir als Leuchtturmprojekte aufgenommen haben, soll auch umgesetzt werden.“