Vorteile der Erbpacht - Kommunen berichten aus der Praxis
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Durch Erbpacht behalten Kommunen die Gestaltungshoheit

Kommunen können ihre Grundstücke verkaufen, um Geld einzunehmen. Allerdings geben sie damit Steuerungsmöglichkeiten aus der Hand. Vergeben sie Grundstücke dagegen in Erbpacht, sind ihre Mitbestimmungsrechte größer. Gleichzeitig vermeiden sie damit Spekulation mit Grund und Boden. Drei Beispiele aus Baden-Württemberg zeigen, was es mit der Erbpacht auf sich hat.

Bereits kurz nach seinem Amtsantritt als Bürgermeister der Gemeinde Neuweiler hatte Martin Buchwald die Senioren im Blick, denn die Auswirkungen des demografischen Wandels waren bereits 2007 deutlich zu erkennen. Buchwald fragte sich, wie man es älteren Menschen ermöglichen könnte, möglichst lange in ihren eigenen vier Wänden leben zu können – und welche Möglichkeiten es gibt, in Neuweiler zu bleiben, wenn das Leben zu Hause einmal nicht mehr möglich ist. Eine lange Zeit des Ausprobierens und Suchens hatte in Neuweiler ein Happy End. Zumindest ein vorläufiges, denn auch wenn die Pflegewohngruppe im Ortskern erst im Aufbau begriffen ist, gibt es doch mittlerweile ein gut durchdachtes Konstrukt, das zum langfristigen Gelingen des Projekts beitragen könnte. Da wäre zum einen die Bürgergenossenschaft Neuweiler, die seit September 2020 ins Genossenschaftsregister eingetragen ist und die als Trägerin von Tagespflegeeinrichtung, Pflegewohngruppe und Wohnungen für Senioren fungiert. In der Satzung hält die Genossenschaft fest, sich um die Versorgung der Neuweiler Bürger mit den Erfordernissen des täglichen Bedarfs kümmern zu wollen. Geplant sind neben den Senioreneinrichtungen der Betrieb eines Dorfladens mit Café, ein Geschäft und ein Dienstleistungsangebot. Ort des Geschehens wird das Areal zwischen Gaststätte „Goldenes Lamm“ und Rathaus.

Neuweiler: Bürgergenossenschaft pachtet Areal für ein neues Quartier für 99 Jahre

Und hier kommt die zweite Säule des Modells ins Spiel: das Erbbaurecht. Dies kommt nämlich in Neuweiler zur Anwendung. Was heißt das? Im konkreten Fall bedeutet es erstens, dass die Kommune als Grundstückseigentümerin der Bürgergenossenschaft dieses Grundstück für 99 Jahre verpachtet und dafür einen Erbbauzins von einem Prozent verlangt. Der absolute Betrag des Erbbauzinses, den man auch als Nutzungsgebühr für das Grundstück bezeichnen kann, richtet sich nach dem Grundstückswert. Zweitens verkauft die Gemeinde das Haus, das auf dem Grundstück steht, der Bürgergenossenschaft für 99.000 Euro. Allerdings ist die Bürgergenossenschaft dieses Geld nicht los, sondern erhält es als Einlage von der Stadt zurück. Das Vorgehen zeigt: Kommune und Bürgergenossenschaft agieren als Team, weil sie das Wohl der Bürger im Blick haben. „Es geht nur im Miteinander“, sagt Martin Buchwald im Gespräch mit die:gemeinde. Das leuchtet ein, schließlich sorgt die Bürgergenossenschaft mit ihren Projekten nicht nur für das Wohlergehen der älteren Bürger, sondern leistet mit ihrem Dorfladen auch einen wichtigen Beitrag zur Daseinsvorsorge in der Ortschaft. Letztlich sei man aber ans Recht gebunden und müsse auf dieser Grundlage entscheiden, wie weit man der Bürgergenossenschaft entgegenkommen kann und wie viel man verlangen muss, erklärt Martin Buchwald.

Rechtliche Grenzen der Erbpacht

Einen Nullzins beispielsweise habe man der Genossenschaft nicht anbieten dürfen. Ohnehin rät Buchwald, nichts ohne rechtliche Beratung zu machen – dazu sei das Thema viel zu komplex. Denn auch wenn manche Bestandteile der Erbbauverträge sich ähneln, müssen sie doch auf die Verhältnisse vor Ort maßgeschneidert sein. In Neuweiler war es das Freiburger Bauplanungsbüro sutter³, das Buchwald dazu riet, einen Erbbauvertrag aufzusetzen.

Dieser Erbbaurechtsvertrag regelt die komplette Beziehung zwischen Bürgergenossenschaft und Gemeinde. Der Vertrag reglt auch das ganze Drumherum: die Pflege des Grundstücks, wie die Bauverpflichtungen aussehen, welche Vorkaufsrechte bestehen, wie der Besitzübergang stattfindet, die Dauer und Höhe der Pacht und vieles mehr.“

Martin Buchwald, Bürgermeister der Gemeinde Neuweiler

Martin Buchwald über die Erbpacht

Eine Fachanwältin war Teil des Teams und stand der Gemeinde mit Rat und Tat zur Seite. Wichtige Fragen dabei sind zum Beispiel, welche Mitbestimmungsrechte die Kommune hat, wie die Genossenschaft das gepachtete Areal nutzen darf und was passiert, wenn sie die Zinsen einmal nicht mehr aufbringen kann. Buchwald betont, dass diese Regelungen kein Ausdruck von Misstrauen sind. Vielmehr sei es darum gegangen, die Beziehung zwischen Gemeinde und Bürgergenossenschaft sauber zu regeln, sagt er.

Marbach: Es kommen kaum Erbpachtverträge zustande

Nicht nur in Neuweiler setzt man auf das Modell der Erbpacht. Das Modell verfolgen auch andere Kommunen. Die einen mit mehr, die anderen mit weniger Erfolg. Die Schillerstadt Marbach zum Beispiel. „Die Stadt Marbach hat stadteigene Grundstücke ausschließlich an gemeinnützige Vereine mit Erbpacht vergeben“, sagt Bürgermeister Jan Trost im Gespräch mit die:gemeinde. Dabei habe man entweder sehr lange Laufzeiten vereinbart, nämlich die 99 Jahre, die ein Standard im Erbbaurecht sind, oder die Dauer an die Vereinsexistenz gebunden. Mit den getroffenen Arrangements ist Trost zufrieden, wenngleich man in Marbach nicht von einer Inflation der Erbbauweise sprechen kann. Im Gegenteil. „Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht. Wir werden dies in Zukunft ebenso handhaben, wobei man sagen muss, dass eine Vereinsgründung in heutigen Zeiten eine absolute Ausnahme ist und ich in den rund neun Jahren meiner Amtszeit in dieser Zeit keinen Fall hatte, in dem wir einen neuen Erbpachtvertrag abgeschlossen haben“, sagt Trost.

Tengen: Erbbaurecht im Rahmen großer städtebaulicher Vorhaben?

Auch in Tengen kommt die Erbpacht zur Anwendung. Hier betrachtet Bürgermeister Marian Schreier die Erbpacht als zukunftsfähiges Modell. Analog zum Marbacher Beispiel hat die Stadt das Erbbaurecht genutzt, um Bauvorhaben von Vereinen zu ermöglichen. „Beispielsweise haben wir vor circa zwei Jahren einen Teil unseres Festplatzes der Stadtkapelle in Erbpacht überlassen zur Errichtung eines Wirtschaftsanbaus. Der Wirtschaftsanbau wird vorrangig für das jährliche Volksfest, den Schätzele-Markt, genutzt“, sagt Schreier. Die Erfahrungen in diesem Bereich seien gut, erzählt der Bürgermeister, fügt aber mit Verweis auf „Rangrücktrittsvereinbarungen“ hinzu, dass die vertragliche und rechtliche Ausgestaltung teilweise sehr kompliziert sei. Unter dem Begriff versteht man einen Vertrag zwischen dem Gläubiger, also der Kommune, und dem Schuldner, im kommunalen Alltag also Vereine und Bürgergenossenschaften. Demnach zahlt der Schuldner seine Verbindlichkeiten aus der Erbpacht im Fall einer Insolvenz erst dann zurück, wenn er sämtliche andere Verbindlichkeiten bedient hat. Schreier prüft derzeit, ob die Stadt das Erbbaurecht bald auch im Rahmen größerer städtebaulicher Vorhaben anwenden kann. So sei zum Beispiel bei der Etablierung eines KoDorfs (die:gemeinde berichtete) die Grundstücksvergabe durch Erbbaurecht eine Option. Warum?

Eine große Rolle spielt das Argument, dass die Stadt weiterhin Eigentümerin des Grundstücks bleibt, so Steuerungsmöglichkeit besitzt und Spekulation vermieden wird. Gerade für kommunale Schlüsselgrundstücke ist dies ein guter Weg.

Marian Schreier, Bürgermeister der Stadt Tengen

Marian Schreier über die Erbpacht

Experten sehen einige Vorteile in der Erbpacht

In dieser Steuerungsmöglichkeit sehen Experten den großen Vorteil für Kommunen beim Erbbaurecht. Als Eigentümerinnen haben Städte und Gemeinden immer ein Mitspracherecht darüber, was auf einem Grundstück passiert – und für welche Dauer. Gleichzeitig ermöglicht die Erbpacht, eine langfristige Bodenvorratspolitik zu betreiben und das Schicksal der kommunalen Flächen immer wieder neu zu verhandeln und zu bestimmen. Im Fall eines Verkaufs ist all das nicht möglich. Rechtssicherheit haben Kommunen außerdem bei den Einnahmen durch den Erbbauzins. Wie der Präsident des Deutschen Erbbaurechtsverbands Hans-Christian Biallas in einem Artikel für KOMMUNAL betont, dürfen sie die Höhe des Zinses an die Höhe der Mieten koppeln, die auf dem Grundstück erzielt würden, und zwar auf die gesamte Laufzeit des Vertrags. Ein Urteil des Bundesgerichtshof hat das zuletzt im Jahr 2019 bestätigt. „Hierin besteht ein wichtiger Unterschied zum geförderten Wohnungsbau, bei dem die Bindungen zwangsweise zeitlich begrenzt sind“, so Biallas. 

Kommentar: Erbbaurecht sorgt für mehr Gestaltungsspielräume

Die schwierige Wohnungssituation in Baden-Württemberg hat vor Ort nicht an Brisanz verloren. Nicht nur in Ballungsräumen, sondern auch im Ländlichen Raum besteht seit Jahren – auch bedingt durch die hohe Prosperität, die starke flächendeckende Wirtschaftskraft und das Bevölkerungswachstum – eine steigende Nachfrage nach Bauland. Anstatt die Grundstücke zu veräußern, kann eine Kommune Erbbaurechte an den Grundstücken vergeben – auch in Baden-Württemberg nutzen Städte und Gemeinden vermehrt das Erbbaurecht als Instrument der Wohnbaulandbereitstellung, erklärt Luisa Pauge.

Luisa Pauge über die Erbpacht
Luisa Pauge ist Dezernentin des Gemeindetags Baden-Württemberg

Für Städte und Gemeinden liegt ein maßgeblicher Vorteil beim Erbbaurecht darin, dass das Grundstück im kommunalen Eigentum bleibt. Damit bewahren sich Kommunen ihre Einfluss- und Steuerungsmöglichkeiten auf die Nutzung des Grundstücks. Dies gilt nicht nur mit Blick auf kommunale „Filetgrundstücke“, sondern dient – angesichts weiterhin stark ansteigender Grundstückspreise – insbesondere der Vermeidung von Grundstücksspekulationen und somit dem Ziel einer langfristigen Bodenvorratspolitik.

Gerade auch für junge Familien mit Kindern kann das Erbbaurecht eine attraktive Option und einen Anreiz darstellen, um im Ort bleiben zu können oder sich in einer Gemeinde neu anzusiedeln. Denn die Finanzierung eines Grundstückskaufs bringt deutlich höhere finanzielle Belastungen mit sich als die Zahlung einer Erbpacht für die eigentumsähnliche Nutzung. Vor diesem Hintergrund verringert die Vergabe im Erbbaurecht die monatliche finanzielle Belastung für Bauwerber, insbesondere in den für die Finanzierung zumeist kritischen „ersten“ Jahren.

Insbesondere auch im Zusammenhang mit der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum kann das Erbbaurecht für Kommunen ein nützliches Instrument der Wohnungspolitik sein. Im Unterschied zum geförderten Wohnungsbau, bei dem die Bindungen zwingend zeitlich begrenzt sind, kann eine Gemeinde die Höhe des Erbbauzinses an die Höhe der Mieten koppeln, die auf dem Grundstück erzielt werden – und zwar für die gesamte Laufzeit des Vertrages. Zudem steht einer Kommune frei, die Vergabe des Erbbaurechts an Bedingungen zu knüpfen. In Betracht kommen beispielsweise Zustimmungsvorbehalte oder auch ein Vorkaufsrecht im Falle des Weiterverkaufs des Erbbaurechts. Über Wertsicherungsklauseln kann eine Kommune zudem sicherstellen, dass sich während der Laufzeit des Vertrages die absolute Einnahme an Erbbauzinsen auch noch regelmäßig steigert und darüber inflationsbedingte Mehrkosten aufgefangen werden.