Der digitale Zwilling der Stadt Herrenberg
© Stadt Herrenberg

Die Stadt Herrenberg und ihr digitaler Zwilling

Wie verändert sich die Innenstadt, wenn die Straßen Fahrradspuren erhalten? Welche Schäden würde ein Hochwasser an der gewässernahen Bebauung hervorrufen? Und wie würden sich verschiedene Schutzmaßnahmen auswirken? Mit einem digitalen Zwilling können „Was wäre wenn?“-Szenarien im Stadtraum erlebbar gemacht werden. Dafür wird anhand möglichst vieler Daten einer Kommune ein digitales Abbild geschaffen. Nur wenige Städte in Deutschland haben bisher einen solchen digitalen Zwilling. Herrenberg ist eine von ihnen.

„Mein Vorgänger stand bereits mit der Uni Stuttgart in Kontakt und so hat sich die Zusammenarbeit quasi organisch ergeben“, erzählt Susanne Schreiber, Baubürgermeisterin der Stadt Herrenberg. „So hat sich die Zusammenarbeit mit dem Höchstleistungsrechenzentrum quasi organisch ergeben, als dort für ein Forschungsprojekt Modellkommunen gesucht wurden, um digitale Zwillinge zu testen.“

Modellprojekt ermöglicht digitale Zwillinge von Herrenberg und Stuttgart

Das Höchstleistungsrechenzentrum der Universität Stuttgart hat einen der leistungsfähigsten Rechner der Welt. Mit diesem haben Forscherinnen und Forscher digitale Kopien der Städte Herrenberg und Stuttgart erstellt. Ist der digitale Zwilling erst einmal aufgesetzt, ist er für die unterschiedlichsten Dinge einsetzbar. Jegliche Veränderung in der Stadt kann mit ihm im 3D-Raum visualisiert werden. „Unser Modellprojekt wurde vom Ministerium für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg gefördert“, sagt Karin Blessing, Nachhaltigkeitskoordinatorin am Höchstleistungsrechenzentrum der Universität Stuttgart (HLRS). „Dadurch hatten wir die Möglichkeit, für die beiden Städte selbst auf mehreren Begehungen und mit den verschiedensten Messungen eine Vielzahl an Daten zu sammeln, mit denen wir die digitalen Zwillinge erstellt haben.“ 

Der digitale Zwilling von Herrenberg
der digitale Zwilling von Herrenberg

Für Herrenberg war der digitale Zwilling eine große Chance. Die Verwaltung hat in der Kernstadt große Veränderungen geplant, die sie im Vorfeld für die Bürgerinnen und Bürger so gut wie möglich erlebbar machen wollte. „Bei so großen Vorhaben ist es wichtig die Bürgerschaft mitzunehmen“, sagt Schreiber. „Dafür ist der digitale Zwilling ein wirklich wertvolles Instrument. Er kann den Menschen wahrheitsgetreu zeigen, wie die Veränderung in der Stadt aussehen wird. Und das aus der menschlichen Perspektive. Das bietet eine perfekte Grundlage für Beteiligungsmodelle.“ 

Digitaler Zwilling sorgt für mehr Interesse an der Stadtplanung

Bei den Bürgerinnen und Bürgern ist der digitale Zwilling sofort gut angekommen. Und hat auch Teile der Bürgerschaft erreicht, die ansonsten für Stadtplanungsthemen schwerer zu interessieren sind. „Wir haben den digitalen Zwilling auf dem Neujahrsempfang 2019 vorgestellt und die Bürgerinnen und Bürger waren sofort begeistert“, erinnert sich die Baubürgermeisterin. „Und gerade bei den jüngeren Menschen konnten wir deutlich mehr ansprechen, als normalerweise.“

Wohlfühl-App zeigt, was der digitale Zwilling alles kann

Als erstes Projekt hat die Stadt das Wohlbefinden der Menschen im Stadtraum gemessen. „Für Herrenberg haben wir eine Art Wohlfühl-App entwickelt“, erzählt Blessing. „Interessierte konnten sich die App herunterladen und an bestimmten Stellen im Stadtraum angeben, wie sie sich dort fühlen, welches Verkehrsmittel sie gerade benutzten und ob Hindernisse sie am Vorankommen gehindert haben. So konnten wir genau sehen, wie sich das Mobilitätsverhalten darstellt, wo Angsträume sind und wo Handlungsbedarf besteht. Auch wenn Änderungen aufgrund der Daten vorgenommen wurden, konnten wir die App erkennen, ob die Änderungen zu einer Verbesserung geführt haben.“ 

Bürger-Emotionen visualisiert im digitalen Zwilling
Bürger-Emotionen visualisiert im digitalen Zwilling

In der Hochphase der Corona-Pandemie hatte die Stadt keine Kapazitäten, um sich mit weiteren Projekten für den digitalen Zwilling zu beschäftigen. Nun, da sich die Situation etwas entspannt hat, ist man das Thema in der Verwaltung wieder angegangen. Und hat schnell ein Folgeprojekt gemeinsam mit dem HLSR gefunden. „ Es geht darum herauszufinden, wie sich Fußgänger und Radfahrer auf unseren Straßen fühlen“, erzählt Schreiber. „Dafür werden wir Freiwillige suchen, die mit Sensoren ausgestattet durch den Stadtraum fahren beziehungsweise gehen werden. So möchten wir herausfinden, an welchen Stellen die Menschen Stress oder Angst empfinden, um unsere Stadt im Nachgang fahrrad- und fußgängerfreundlicher zu machen.“ Für das Forschungsprojekt erhält das HLRS wieder Fördergelder. „Wir freuen uns, dass wir noch einmal ein Projekt gemeinsam mit dem HLRS durchführen können“, sagt Schreiber.

Wir müssen verwaltungsintern entscheiden, wie wir mit dem digitalen Zwilling weiter verfahren. Welche Daten haben wir, die man einpflegen könnte? Wer kann die Daten für uns einpflegen? Und wie müssen wir uns finanziell ausstatten, damit das möglich ist?“

Susanne Schreiber, Baubürgermeisterin der Stadt Herrenberg

Susanne Schreiber über den digitalen Zwilling in Herrenberg

Darüber, dass man den digitalen Zwilling behalten, ausbauen und für weitere Stadtentwicklungsprojekte nutzen möchte, ist man sich in der Stadtverwaltung einig. „Das ist sehr wichtig, denn man braucht die richtige Motivation im Team, um ein solches Projekt voranzubringen“, sagt Schreiber.

Wie können kleine Kommunen ein solches Projekt umsetzen?

Während Schreiber vom Nutzen des digitalen Zwillings überzeugt ist und auch davon, dass das Instrument in der Zukunft noch viel häufiger Anwendung finden wird, sieht sie gerade für kleine Kommunen heute noch ein großes Problem bei der Umsetzung solcher Projekte: die Finanzierung. „Es war in unserem Fall leicht, Zustimmung für das Projekt zu bekommen, da die Stadt nicht in Vorleistung gehen musste“, erzählt Schreiber. Der finanzielle und personelle Aufwand lag beim HLRS, der das Projekt über eine Forschungsförderung realisiert hat. „Ich würde behaupten, wir haben hier in Herrenberg einen sehr modernen Gemeinderat, der an solchen Themen immer interessiert ist. Aber wie alle Kommunen hat Herrenberg so viele Pflichtaufgaben. Und jedes Jahr werden sie mehr. Da ist der Gemeinderat gezwungen, Aufgaben, die eher als Kür gelten, kritisch zu begutachten. Für Kommunen in der Größe von Herrenberg ist es sicherlich schwierig, ein solches Projekt aufzusetzen, wenn es keine Förderung gibt.“ Und tatsächlich gibt es bisher keine spezifischen Förderprogramme, die Städte und Gemeinden für einen digitalen Zwilling verwenden können. Trotzdem ist Karin Blessing überzeugt, dass das Instrument auch heute schon sinnvoll und bezahlbar für Kommunen sein kann. 

Für die Modellprojekte haben wir sehr umfangreiche Arbeiten ausgeführt. Wir haben alle Daten selbst gesammelt und viel Zeit investiert. Aber man kann auch deutlich kleiner starten.

Karin Blessing

Karin Blessing über den digitalen Zwilling (c)Werner Kuhnle

"Die Städte und Gemeinden haben ohnehin viele Datensätze, auf deren Grundlage wir schon einiges machen können. Weitere Daten gibt es an unterschiedlichsten Stellen, wie dem Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Je nach Projekt kann eine Kommune preislich schon mit ein paar Tausend Euro dabei sein.“ Den Kosten müsste man allerdings auch die Ersparnisse gegenrechnen, die ein digitaler Zwilling bedeuten kann: „Mit einem digitalen Zwilling können Veränderungen transparent mit der Bevölkerung kommuniziert werden, und es können Fehlplanungen vermieden werden, die in der Folge häufig zu enormen Kostenfaktoren werden.“ 

Neue Projekte mit mehr Kommunen sind bereits in Planung

Im Rahmen weiterer Forschungsprojekte ist das HLRS bereits mit weiteren baden-württembergischen Kommunen verschiedenster Größe im Gespräch. „Da geht es zum Beispiel um Hochwasser und Starkregen, Luftverschmutzung, Lärm, Nahwärmeversorgung. Wir möchten mit dem digitalen Zwilling z.B. Hochwasserschutzmaßnahmen in den Städten und Dörfern simulieren, um Lösungen aufzeigen und diskutieren zu können“, sagt Blessing.