Blinder Praktikant in Gomaringen
© Toni Baur

Blinder Praktikant in der Gemeindeverwaltung Gomaringen

Der Student Toni Baur ist blind. Bei einem Praktikum in der Gemeinde Gomaringen hat er wertvolle Erfahrungen gesammelt – genauso wie die Gemeinde selbst. Was gut lief, was noch besser werden kann und was beide Seiten gelernt haben.

Blinde Mitarbeiter sind in den meisten Rathäusern eine Seltenheit. Dabei ist es gar nicht kompliziert, sie in das Tagesgeschäft einzubinden. Toni Baur beweist das. Der Public Management Student hat bereits mehrere Praktika in den Rathäusern des Landes absolviert, zuletzt in Gomaringen. 

„Ich habe den Bürgermeister begleitet, zum Beispiel bei Sitzungen des Gemeinderats oder bei Besprechungen im Landratsamt. Dabei habe ich gesehen, wie die Sitzungen ablaufen, wie man sie moderiert. Das hat mir richtig viel gebracht.“

Toni Baur, Student

Toni Baur an einer Braille-Tastatur

Darüber hinaus hat er Texte formuliert, zum Beispiel Antworten auf Anfragen von Bürgern, und war an der Vorbereitung der Bürgerbeteiligung im Rahmen eines Bauprojekts beteiligt. Die Zeit in Gomaringen war für Baur ein Gewinn. „Eine kleine Gemeinde hat den Vorteil, dass man mehr mitbekommt und die Aufgaben vielfältiger sind als in einer größeren Stadt“, findet er. Beim Abfassen der Schriftstücke arbeitet Baur mit der sogenannten Braille-Zeile, ein Computerausgabegerät, das über ein USB-Kabel an den Laptop angeschlossen ist. Ein Screen-Reader-Programm liest die Bildschirmtexte und übersetzt sie in die Blindenschrift Braille. Die technischen Möglichkeiten haben sich in diesem Bereich in den letzten Jahren für Blinde deutlich verbessert. Die Geräte und die Software erleichtern ihnen den selbstständigen Umgang mit Computern. 

Die digitale Verwaltung bedeutet neue Chancen für die Barrierefreiheit

Das papierlose Büro ist gerade für blinde Mitarbeiter ein ungemein wichtiges Unterfangen. Digitalisierung befördert somit die Inklusion. „Je digitaler, desto besser“, fasst Toni Baur zusammen. Drucksachen dagegen sind ein Problem: Es gebe zwar Apps, die beim Auslesen der gedruckten Texte helfen, doch sei der Prozess sehr mühsam, so der Student. „In der EDV, speziell was das Programm Excel angeht, hat er uns einiges vorgemacht – da ist er sehr fit. Er hat außerdem ein mathematisches Grundverständnis, das nicht jeder so hat“, sagt Gomaringens Bürgermeister Steffen Heß. Überhaupt habe er großen Respekt davor, wie Toni Baur Schule und Studium durchgezogen hat. „Da muss man sich als Blinder erst einmal durcharbeiten.“ Die Arbeit blinder Menschen in den Rathäusern sieht Heß realistisch. Im Alltag gebe es bestimmte Bereiche, die man nur als Sehender abdecken könne. In anderen wiederum könnten Blinde gut mitarbeiten.

Toni Baur gibt Gomaringen neue Denkanstöße

Bei seinen Praktika begleitet eine Assistentin Toni Baur, die ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) absolviert. Das sei vor allem in der Anfangszeit wichtig, um sich an die neue räumliche Umgebung zu gewöhnen. Auch hier seien kleine Rathäuser besser als große, sagt Baur. „Da laufe ich drei Mal durch und kenne mich aus.“ Wenn er grundsätzlich neue Wege gehen muss – beispielsweise von der Studentenwohnung zur Hochschule – greift er auf Mobilitätstrainer der Nikolauspflege zurück, die darin geschult sind, detailliert zu beschreiben, wie Blinde von A nach B kommen. Toni Baur hat in Gomaringen nicht nur Arbeiten im Tagesgeschäft des Rathauses verrichtet, sondern der Gemeinde auch hilfreiche Tipps zur Inklusion von Blinden gegeben. So begleitete er den Bürgermeister und Vertreter des Rathauses bei einer Ampelbegehung. Ampeln haben es für Blinde nämlich in sich. Zwar sind viele mittlerweile mit Tönen oder Vibrationen ausgestattet, an denen sich Blinde orientieren sollen. Doch erstens sind diese leider nicht einheitlich, jede Ampel ist anders. Andere versäumen es, wesentliche Informationen zu vermitteln, konkret, welche Farbe die Ampel anzeigt. „Durch das Klicken weiß ich zwar, wo die Ampel sich befindet, aber noch nicht, ob sie auf Rot oder Grün steht“, sagt Baur. 

Appell an andere Gemeinden

Die Begehung sei ein Aha-Moment gewesen, bestätigt Steffen Heß. „Wir dachten, wir seien bei der Planung einer neuen Ampelanlage mit unserer Anordnung auf dem richtigen Weg, was Töne und Vibration angeht. So haben wir gelernt, dass man eine Mischung aus Ton und Vibration braucht, damit Blinde wissen, ob die Ampel auf Rot oder Grün steht. Auch die Mitarbeiter des Landratsamts, die täglich mit den Ampeln zu tun haben, konnten noch einiges lernen“, sagt Heß. Insgesamt appelliert Steffen Heß an andere Gemeinden, keine Scheu zu haben, mit blinden oder sehbehinderten Menschen zusammenzuarbeiten.

Es ist eine Bereicherung für beide Seiten. Das habe ich auch im Haus gespürt. Viele Mitarbeiter waren interessiert. Denn wann hat man schon einmal Kontakt zu einem Menschen mit einer solchen Einschränkung.

Steffen Heß, Bürgermeister der Gemeinde Gomaringen

Steffen Heß über das Praktikum von Toni Baur

Während manche Dinge bereits behindertengerecht gestaltet waren – so hatte die Gemeinde am Ende der Handläufe Knöpfe installiert, an denen Menschen mit Seheinschränkung das Ende der Treppen erkennen konnten – will man anderes nun noch auf den Weg bringen. „An jedem Büro hängt ein Schild mit dem Namen der Personen, die dort arbeiten. Das wollen wir nun noch um die Blindenschrift ergänzen, so dass Blinde kurz mit dem Finger drüberfahren können, wenn sie vor der Tür stehen und lesen, wer drinsitzt und in welcher Funktion“, erklärt Heß.

Nach dem Studium am liebsten ins Rathaus

Der Bürgermeister hat eine weitere Erkenntnis gewonnen. „Man wird ein stückweit genordet dahingehend, dass man zufrieden sein sollte, wie es einem geht. Bei Gremiensitzungen dachte Herr Baur sicher oft: ‚Worüber streiten die hier eigentlich, was haben die denn für Probleme?‘ Das hat mich ein bisschen zum Nachdenken gebracht“, sagt Heß. Toni Baur wiederum freut sich auf eine spannende Zukunft, denn sein Studium hat er bald abgeschlossen. Danach würde er am liebsten direkt in einem Rathaus oder einem Landratsamt anfangen.