
Verkehrsberuhigung und Einzelhandel: Wie ein scheinbarer Widerspruch zur gemeinsamen Chance wird
„Dann wird’s laut“ – so heißt das neue Policy Paper 5/2025 des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu), verfasst von Uta Bauer, Michaela Christ, Levke Sönksen und Louis Gabriel Pfitzinger. Der Titel ist Programm: Kaum ein Thema polarisiert so sehr wie die Verkehrsberuhigung in Städten. Und kaum eine Gruppe tritt so vehement auf wie Einzelhändlerinnen und Einzelhändler, wenn es um die Umverteilung von Straßenraum geht. Dabei ist die Lage komplex: Der stationäre Einzelhandel steckt ohnehin tief im Strukturwandel – Online-Shopping, Fachkräftemangel und der Niedergang inhabergeführter Läden setzen ihm zu.
Vor diesem Hintergrund ist die Skepsis gegenüber zusätzlichen Belastungen verständlich. Doch die Difu-Studie zeigt ein anderes Szenario auf: Die Autorinnen und Autoren behaupten, es gebe keine Belege dafür, dass Verkehrsberuhigungsmaßnahmen den stationären Einzelhandel wirtschaftlich schwächen. Ganz im Gegenteil: In vielen Fällen würden sie zur Stabilisierung oder gar Steigerung der Umsätze beitragen. Die Formel dafür ist demnach einfach: Mehr Aufenthaltsqualität plus mehr Passanten ergibt bessere Bedingungen für lokale Geschäfte.
Verzerrte Erinnerung
Die Studie zeigt außerdem: Viele Händler überschätzen den Anteil ihrer Kundschaft, der mit dem Auto kommt – und unterschätzen zugleich den Wert jener, die zu Fuß, mit dem Rad oder mit dem ÖPNV unterwegs sind. Zwar geben Autofahrer oft bei einem einzelnen Einkauf mehr aus. Doch Menschen, die ohne Auto kommen, kaufen häufiger ein und tätigen mehr spontane Käufe.
In mehreren Studien, etwa aus Berlin oder Köln, zeigt sich: In Stadtteilzentren liegt der Anteil der Autonutzer oft unter 20 Prozent. Trotzdem glauben viele Händler, das Auto sei für die Mehrheit ihrer Kunden unverzichtbar. Die Difu-Autor*innen erklären diese Fehleinschätzung mit dem sogenannten Erinnerungsverzerrungseffekt: Teure Einkäufe mit großen Tüten bleiben stärker im Gedächtnis als der tägliche Spontankauf von Snacks, Blumen oder Drogerieartikeln.
Begegnungszonen geschaffen
Die Difu-Studie hat nicht nur Befragungen und deutsche Fallbeispiele ausgewertet, sondern auch internationale Erfahrungen zusammengetragen. In Wien wurde etwa die Mariahilfer Straße – einst vielbefahren – zur Begegnungszone umgestaltet. Die Folge: höhere Passantenfrequenz, gestiegene Umsätze, eine neue Lust am Flanieren. Auch andere Einkaufsstraßen der Stadt wurden dank Public-Private-Partnerships umgestaltet, finanziert teils direkt durch die Anwohner.
In Barcelona zeigt sich der Erfolg der sogenannten Superblocks. Diese verkehrsberuhigten Quartiere bieten mehr Platz für Begegnung, Gastronomie und lokale Geschäfte – mit messbarem Effekt: mehr Fußverkehr, mehr Ladengeschäfte, mehr Spontankäufe. In Hamburg wiederum wurde die temporäre Umgestaltung in Ottensen und Eimsbüttel evaluiert: Während Passant*innen und Anwohnende die neue Aufenthaltsqualität lobten, zeigten sich die Reaktionen der Händler gemischt. Interessant: Selbst Händler, die skeptisch waren oder Umsatzrückgänge befürchteten, sprachen sich mehrheitlich für eine Fortsetzung des Projekts aus – sofern es nachgebessert wird.
Warum Kommunikation der Schlüssel ist
Die Difu-Autor*innen betonen: Entscheidend ist die Umsetzung. Verkehrsberuhigung braucht Dialog mit den Betroffenen, kluge Begleitmaßnahmen (z. B. Lieferzonen, Parkraummanagement, gute Anbindung mit ÖPNV) und transparente Kommunikation. Viele Konflikte entstehen dort, wo Händler das Gefühl haben, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Umgekehrt kann Visualisierung – etwa durch Vorher-Nachher-Grafiken – helfen, Akzeptanz zu schaffen. Das zeigen etwa Erfahrungen aus dem baden-württembergischen Ortsmittenprogramm.
Die Studie macht auch deutlich: Bisher fehlen belastbare Daten aus kleineren Städten. Die meisten Untersuchungen stammen aus Großstädten. Doch gerade in Mittel- und Kleinstädten, wo die Abhängigkeit vom Pkw höher ist, braucht es mehr Wissen, bessere Daten und differenzierte Lösungen. Kommunen sollten deshalb systematisch evaluieren – notfalls gemeinsam mit Hochschulen oder über Partnerschaften mit der IHK.