Zweifel am Zensus 2022
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Über 100 Beschwerden zum Zensus 2022

Wie schon beim Zensus 2011 verlieren viele Bundesländer und Kommunen auch beim Zensus 2022 auf dem Papier Einwohnerinnen und Einwohner. Das wirkt sich auch auf ihre Finanzen aus.

Der Zensus 2022 hat für viele Bundesländer sowie Städten und Gemeinden ergeben, dass die Bevölkerung nicht so stark gewachsen ist, wie Berechnungen es hatten vermuten lassen. Baden-Württemberg kommt beim Zensus etwa auf rund 11,1 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner – rund 131.000 weniger, als die Bevölkerungsfortschreibung des Zensus 2011 annahm.

Wie kommt es zu den großen Diskrepanzen?

Auch für ganz Deutschland fallen die Zahlen geringer aus als vorausberechnet. Laut Zensus lebten 2022 82,7 Millionen Menschen in Deutschland. 1,4 Millionen weniger als erwartet. In 56 Prozent der Städte und Gemeinden deutschlandweit lebten laut Zensus am 15. Mai 2022 mindestens ein Prozent weniger Menschen als gedacht. Die Abweichungen betreffen besonders die ausländische Bevölkerung. Fast eine Million weniger Ausländerinnen und Ausländer als erwartet lebten 2022 in Deutschland. Ein Grund dafür sei, dass sich viele nicht in Deutschland abmelden, wenn sie in ein anderes Land ziehen.

Zensus 2022 kann Kommunalfinanzen negativ beeinflussen

Die neuen Zahlen haben auch Auswirkungen auf die Finanzen der Kommunen. Denn stellte sich nun durch den Zensus heraus, dass sie weniger Einwohnerinnen und Einwohner haben, als angenommen, so erhalten sie auch weniger Mittel aus dem Finanzausgleich. Ein Beispiel: Zum Stichtag des Zensus am 30. Juni 2022 hatte die Gemeinde Wittighausen nach ihrem Melderegister bereits 22 Einwohnerinnen und Einwohner mehr als im Zensus angegeben. Nun, zwei Jahre später, liegt die Differenz bei über 100 Menschen. Pro fehlende Person hätte die Gemeinde jährlich 1.670 Euro vom Land bekommen. Die Stadt Wertheim meldet zwischen Register und Zensus sogar eine Differenz von rund 500 Einwohnerinnen und Einwohnern.

Übergangslösung federt finanzielle Einbußen ab

Um finanziellen Einbrüchen durch den Finanzausgleich bei den Städten und Gemeinden vorzubeugen, gilt nun eine Übergangslösung: Im kommunalen Finanzausgleich der Jahre 2023 und 2024 werden die Einwohnerzahlen auf Basis des Zensus 2011 zugrunde gelegt. 2025 gelten 50 Prozent der Zahlen des neuen Zensus und 50 Prozent des alten. Erst ab 2026 sollen die neuen Einwohnerzahlen komplett herangezogen werden.

Rund 100 Kommunen zweifeln die Ergebnisse des Zensus bereits an

Beim Gemeindetag Baden-Württemberg haben sich seit der Veröffentlichung des Zensus am vergangenen Dienstag rund 100 Kommunen gemeldet, die Zweifel an den Ergebnissen des Zensus 2022 haben. Vertreterinnen und Vertreter der Kommunen kritisieren die Praktiken, mit denen der Zensus durchgeführt wird. Dieser rechnet anhand von Stichproben hoch. Das Statistische Landesamt, das in Baden-Württemberg für den Zensus zuständig ist, sieht das Problem hingegeben bei den Melderegistern. Hier meldeten sich die Menschen an, aber nicht wieder ab, wenn sie etwa ins Ausland ziehen oder sterben. Die Kommunen wollen die Daten des Zensus nun einer eingehenden Prüfung unterziehen.

Der Gemeindetag Baden-Württemberg äußert sich dazu folgendermaßen:

„Seit Veröffentlichung der Zensusergebnisse haben sich zahlreiche Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg gemeldet, die Veränderungen von mindestens -1% nach dem Zensus haben werden. In den ersten beiden Tagen nach der Veröffentlichung stand der Gemeindetag zu Methodik, Inhalt und Schrittfolge bereits mit rund 100 Kommunen im Austausch. Bundesweit weichen die Bevölkerungszahlen nach den Daten des Statistischen Bundesamts insbesondere in den Städten und Gemeinden in der Gemeindegrößenklasse unter 10.000 Einwohner ab (-2,1%), in Baden-Württemberg liegt die Abweichung in dieser Größenklasse bei -1,8%. Insgesamt gilt es zu berücksichtigen, dass Baden-Württemberg laut der Pressemitteilung des Statistischen Landesamts vom Dienstag durchschnittlich bei -1,2% und damit geringer als im Bundesschnitt (-1,6%) liegt. Gleichwohl gibt es bei einer wahrnehmbaren Zahl an Kommunen auch in Baden-Württemberg doch erhebliche Unterschiede. Den Experten des Statistischen Bundesamts zufolge kann ein Grund der größeren Abweichung bei den Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohner darin liegen, dass bei diesen nun erstmals auch das sogenannte Stichprobenverfahren zur Anwendung kam. In Baden-Württemberg werden voraussichtlich 640 Städte und Gemeinden im September einen Feststellungsbescheid vom Statistischen Landesamt erhalten, der eine Korrektur auf Basis des Zensus 2022 beinhaltet, von mindestens -1%. Insgesamt jede fünfte Kommune in Baden-Württemberg verliert sogar mindestens -3% seiner Bevölkerung. Besonders betroffene Kommunen signalisieren uns, dass eine solch erhebliche Korrektur für sie in vielen Fällen weder plausibel noch nachvollziehbar ist. Sie erwarten daher zurecht, dass das Statistische Landesamt den Gemeinden die maßgeblichen Grundlagen für die Korrektur der Einwohnerzahl im weiteren Verlauf so umfassend offenlegt, dass vor Ort eine Plausibilitätsprüfung vollzogen werden kann. Denn letztlich muss es bei der Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahl darum gehen, ein Ergebnis zu erzielen, das möglichst nahe an die tatsächliche Einwohnerzahl herankommt.“

Widerspruch und Klage gegen den Zensus 2022

Zum Zensus 2022 erhalten die Kommunen im September den Feststellungsbescheid mit der amtlichen Einwohnerzahl. Nach der Zustellung können Städte und Gemeinden einen Monat lang Einspruch einlegen. Bis Ende Januar 2025 ist eine schriftliche Begründung einzureichen. Wenn die Begründung beim Statistischen Landesamt eingegangen ist, erhält die Kommune wiederum einen Widerspruchsbescheid und kann dann innerhalb eines Monats Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht einreichen. 

Klagen gegen den Zensus 2011 erfolglos

Schon beim Zensus 2011 war die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner vieler Kommunen geschrumpft. Einige Kommunen - unter ihnen Berlin und Hamburg - hatten 2011 gegen den Zensus geklagt. Keine der Klagen führte zum Erfolg. Damals wurde die Volkszählung erstmalig über eine Befragung eines Zehntels der Bevölkerung und statistische Daten durchgeführt. Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass diese neue Methode des Zensus verfassungskonform ist. Keine Methode könne eine bis auf den letzten Einwohner oder die letzte Einwohnerin genaue Einwohnerzahl für alle Kommunen gewährleisten. Es gehe, besonders in Hinblick auf den Bund-Länder-Finanzausgleich, vor allem darum, möglichst genaue und im ganzen Bundesgebiet vergleichbar genaue Zahlen zu ermitteln.

Zensus gibt Aufschluss über Heizmethoden der baden-württembergischen Haushalte

Der Zensus hat aber auch über andere Fakten zu baden-württembergischen Haushalten Aufschluss gegeben: In Baden-Württemberg werden fast drei Viertel der Wohnungen noch mit fossilen Brennstoffen beheizt – knapp 46 Prozent mit Gas, 28 Prozent mit Öl. Energiequellen wie Holzpellets oder Wärmepumpen, die als erneuerbare Heizenergien gelten, liegen gemeinsam bei 11 Prozent. Bei neu gebauten Häusern liegt der Anteil deutlich höher. Bei Wohnungen, die seit 2016 gebaut wurden, bei 42 Prozent.

Alle Daten des Zensus 2022 finden Sie hier