Steffen Jäger auf der Mitgliederversammlung des Gemeindetags Baden-Württemberg

Städte und Gemeinden fordern die Anpassung des Rechtsrahmens zur Zukunftsgestaltung

25. Oktober 2021
Sichere Finanzgrundlagen, eine realistische Umsetzung der Ganztagsbetreuung, mehr Eigenverantwortung der Bürgerschaft und eine Priorisierung des Allgemeinwohls - Auf der Mitgliederversammlung des Verbands macht Gemeindetagspräsident Steffen Jäger deutlich, was Städte und Gemeinden brauchen, um die Zukunft zu gestalten.

Gemeindetagspräsident Steffen Jäger zeigt sich auf der Mitgliederversammlung des Verbands erfreut, erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie wieder rund 600 kommunale Vertreterinnen und Vertreter aus den Städten und Gemeinden in Präsenz begrüßen zu dürfen. Er lobt deren Leistung während der Pandemie. „Die Kommunen haben nie pauschal gesagt: ‚Das machen wir nicht, das können wir nicht oder das wollen wir nicht!‘ Wir haben uns immer dafür eingesetzt, dass wir gemeinsam eine Lösung finden. Und wir haben uns dabei am Machbaren und an den Realitäten orientiert.“ Jäger sagt weiter, er sei stolz auf das, was die kommunale Ebene in den letzten 18 Monaten geleistet hat. Gleichzeitig dankt er der Landesregierung für die partnerschaftliche Zusammenarbeit in der Pandemie. „Das Land hat auf die Kommunen vertraut und diese haben das Vertrauen gerechtfertigt. Das ist nach unserer tiefen Überzeugung ein Modell, das nicht nur in der Krise erfolgversprechend ist.“ Angesichts der bundesweiten Krisenerfahrungen während der Pandemie und der Flutkatastrophe wirbt Jäger für eine gesellschaftspolitische Diskussion über eine politische Bedürfnispyramide.

Finanzierung der Zukunftsaufgaben gewährleisten

Die in der Gemeinsamen Finanzkommission gefundenen Vereinbarungen sowohl im Jahr 2020 als auch im Sommer 2021 waren aus Sicht des Gemeindetags zur Stabilisierung der kommunalen Haushalte dringend geboten. Doch auch für die mittelfristige Finanzplanung zeichne sich immer noch eine pandemiebedingte Delle in den kommunalen Haushalten ab. Die Themen, welche aktuell zwischen Land und Kommunen verhandelt werden, seien Themen, die sich zwangsläufig aus dem Koalitionsvertrag ergeben. „Es sind aber zugleich auch die Themen, die am Ende nur auf der kommunalen Ebene erfolgreich realisiert werden können. Und die Städte und Gemeinden sind festen Willens, diese Ziele umzusetzen. Dazu muss jedoch die Finanzierung sichergestellt und der erforderliche Rechtsrahmen gewährleistet werden.“

Finanzielle Dimension des Rechtsanspruches auf Ganztagesbetreuung stellt Umsetzung von anderen Zukunftsaufgaben in Frage

Der Gemeindetagspräsident bekräftigt für die Städte und Gemeinden: „Wir unterstützen ausdrücklich den bedarfsgerechten Ausbau von Ganztagsangeboten an den Grundschulen. Aus voller Überzeugung, mit viel Kraft und seit vielen Jahren auch mit erheblicher finanzieller Eigenleistung.“ Doch durch den beschlossenen Rechtsanspruch drohe nun die Finanzierung von Klimaschutz, Digitalisierung und Mobilität nach hinten zu rücken. Jäger weiter: „Wir erwarten, wenn wir den Menschen solche großen Versprechen machen, dass die grundsätzlichen Fragen vorab geklärt werden: Was wollen wir? Was können wir? Wie wollen wir es umsetzen? Wer soll es machen? Und mit welchem Geld kann man es bezahlen?“

„Wir brauchen wieder mehr Eigenverantwortung“

Der Rechtsanspruch sei aber ein weiteres Beispiel dafür, dass der Staat mit all seinen politischen Ebenen zunehmend aus dem Auge verliere, was er in seiner Gesamtheit zu leisten im Stande ist. Zwischenzeitlich habe sich die gefühlte Allzuständigkeit der Kommunen in eine gefühlte Haftungsfreistellung für jegliches Lebensrisiko des Einzelnen entwickelt. Jäger mahnt eindringlich: „Es ist doch weder leistbar noch im Sinne einer verantwortlichen Bürgerschaft erstrebenswert, jegliches Lebensrisiko in die staatliche Verantwortung zu übertragen. Ansonsten werden die Verantwortlichen auf der kommunalen Ebene in erster Linie bald mehr damit beschäftigt sein, Haftungsrisiken auszuschließen als Zukunft zu gestalten.“

Bürgerentscheide, Datenschutz und Landesinformationsfreiheitsgesetz behindern die kommunale Aufgabeerfüllung

Zur erfolgreichen Bewältigung der großen Zukunft sei es dringend geboten, die Frage zu beantworten, was erforderlich sei. Jäger wies in diesem Zusammenhang auf die Hürden hin, welche den Weg zu einer Lösung erschweren oder blockieren. So würden das Landesinformationsfreiheitsgesetz, die ausgeweitete Bürgerentscheidsfähigkeit und auch der zwischenzeitlich dominante Datenschutz Lösungen im Sinne des Allgemeinwohls erheblich verzögern und nicht selten verhindern. „All das sind Regelungen, bei denen ich – wenn ich die Zielstellung dieser Gesetze lese – durchaus anerkennen kann, dass man damit Gutes bewirken wollte. Aber ich will ganz offen widerspiegeln: Die erlebte Wirklichkeit in den Städten und Gemeinden ist eine andere.“ Bei ehrlicher Betrachtung müsse die Frage gestellt werden, ob die großen Zukunftsaufgaben mit dieser Rahmenstellung in der erforderlichen Zeit erreicht werden könne? „Und wenn Sie uns fragen, dann ist unsere Erfahrung im konkreten Leben in den Städten und Gemeinden: Nein, das können wir nicht.“ Jäger appelliert an die Landesregierung, die Regelungen anzupassen: „Es geht in den nächsten Jahren um das große Ganze.“ Allgemeinwohl müsse endlich wieder Vorfahrt vor Einzelinteressen haben.

Städte und Gemeinden benötigen Luft zum Gestalten und das Vertrauen von Bund und Land

Zum Abschluss seiner Rede wies Jäger auf die große Gestaltungskraft der Kommunen hin. „Die Städte und Gemeinden sind festen Willens eine gute Zukunft für die Bürgerinnen und Bürger zu schaffen.“ Doch kommunale Selbstverwaltung brauche, so der Gemeindetagspräsident, die erforderliche Luft zum Gestalten und das Vertrauen von Bund und Land.