Spielerisch mit Bildern und einer Sammlung an Kinderbüchern lernen die Kinder in Leutenbach schwäbische Begriffe.
© Fabian Stetzler

Sprechen, wie die „Gosch“ gewachsen ist

Mit ihrer neuen Dialektstrategie will die Landesregierung Baden-Württemberg die sprachliche Vielfalt im Land stärken. Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigt die Gemeinde Leutenbach – dort lernen schon die Kleinsten spielerisch Schwäbisch.

Baden-Württemberg ist ein Land der Dialekte. Es werden hierzulande etliche gesprochen, von Alemannisch über Kurpfälzisch, Badisch und Fränkisch bis hin zu Schwäbisch – ganz zu schweigen von den zahlreichen regionalen Mundarten, die das kulturelle Erbe des Landes prägen. Doch Dialekte werden immer seltener gesprochen. 2022 stellte das Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen in einer Studie fest, dass im Südwesten nur noch wenige Kinder im Grundschulalter Dialekt beherrschen.

Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung von Dialekten

Mit einer neuen Dialektstrategie will Baden-Württemberg daher seine sprachliche Vielfalt gezielt schützen und fördern. Die Landesregierung hat am 8. April ein umfassendes Maßnahmenpaket beschlossen, das die historischen Mundarten wie Schwäbisch, Alemannisch und Fränkisch als Teil des kulturellen Erbes stärkt. Die Strategie basiert auf vier Säulen: Forschung und Dokumentation, Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit, Vermittlung in der Bildung sowie Stärkung der zivilgesellschaftlichen Akteure. Auch die universitäre Forschung, etwa am Ludwig-Uhland-Institut in Tübingen, ist eng eingebunden.

Ein zentrales Projekt der neuen Dialektstrategie ist der Podcast DialektLand BW – eine Zeitreise durch den Strukturwandel ländlicher Räume. Er verbindet originale Dialektaufnahmen mit Stimmen von Expertinnen und Expertinnen und zeigt, wie eng Sprache mit gesellschaftlichem Wandel verknüpft ist. Auf Grundlage historischer Interviews gibt der Podcast Einblicke in das Alltagsleben früherer Generationen und greift Themen wie Migration, Heimatgefühl und Identität im ländlichen Raum auf. Produziert wird der Podcast vom Ludwig-Uhland-Institut Tübingen.

Darüber hinaus sollen laut der Strategie Dialekte insbesondere bereits in der frühkindlichen Bildung und im Schulunterricht stärker verankert werden. Einige Kommunen setzen das bereits seit längerer Zeit um und könnten nun für andere Kommunen als Vorbild dienen. So etwa die Gemeinde Leutenbach im Rems-Murr-Kreis, deren Kindertagesstätten Kinder früh mit dem Schwäbischen vertraut machen.

In Leutenbach werden Kinder früh mit Dialekt vertraut gemacht

Der Rückgang des Dialektgebrauchs unter jungen Menschen war hier Bürgermeister Jürgen Kiesl schon vor einiger Zeit ein Dorn im Auge: „Ich bedaure seit Jahren den Rückgang des Dialekts“, sagt er. „Ich finde, Kinder sollten sowohl Hochdeutsch als auch Dialekt sprechen können, wenn sie älter sind.“ Er habe sich daher über die Initiative vom Ministerpräsident Kretschmann gefreut, der sich die Dialektförderung auf die Fahnen geschrieben hat.

„Hochdeutsch lernen Kinder heute automatisch, etwa durch Fernsehen, Internet oder Vorlesen. Das ist kein Problem mehr. Wichtiger ist, dass sie auch Dialekt sprechen und verstehen können, um ihn als Teil ihrer Identität zu bewahren“, so der Rathauschef der Gemeinde mit rund 12.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Irgendwann kam Kiesl der Gedanke, wenn Kinder schwäbisch lernen oder zumindest verstehen sollen, dann müsse damit im Kindergarten begonnen werden, wo auch alle Kinder erreicht würden. „Mein Ziel war, den Kindern ein Gefühl der Verbundenheit mit der Heimat zu vermitteln sowie dass sie das Schwäbische verstehen und wertschätzen.“

Bürgermeister Kiesl:
Fördert schon seit vier Jahren den Dialekt in seiner Gemeinde: Leutenbachs Bürgermeister Jürgen Kiesl. 

Gut für die kognitive Entwicklung

In Schulen, Kindergärten und Kitas war Dialektsprechen lange verpönt. „Ab den 1960er-Jahren wollte man Kindern in Deutschland das Dialektsprechen abgewöhnen, weil man glaubte, nur mit Hochdeutsch könne man gesellschaftlich aufsteigen“, erklärt Hubert Klausmann, ehemaliger Leiter des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen. Mittlerweile hat sich die Einstellung gewandelt, da immer mehr die Vorteile des Dialekts erkennen.

Kiesls Idee fand daher auch bei den Verantwortlichen für Kinderbetreuung in der Kommune Anklang. „Seit etwa vier Jahren versuchen wir, Schwäbisch in den Kita-Alltag zu integrieren“, sagt Eva Pyrka, Gesamtleiterin der Kindertagesstätten in Leutenbach. Es begann mit mehreren kleinen Projekten, wie etwa einem Sommerfest unter schwäbischem Motto mit traditionellen Gerichten.

Erzieherin Ines Stecher und die schwäbische Puppe Herta im Einsatz.
Erzieherin Ines Stecher und die schwäbische Puppe Herta im Einsatz.

„Mittlerweile hat jeder Kindergarten bei uns eine schwäbische Ecke mit Materialien wie Büchern auf Schwäbisch“, erklärt die Pädagogin. Es gibt auch eine schwäbische Box, aus der die Kinder im Morgenkreis mal eine Karte ziehen. „Darauf steht ein Begriff, der erklärt wird, oder ein Thema wie ‚jetzt singen wir ein Lied auf Schwäbisch‘.“

Im Kindergarten der Teilgemeinde Nellmersbach gibt es zudem die Puppe Herta, die schwäbisch spricht und von den Kindern geliebt wird – nicht nur, weil sie immer Wiebele dabei hat, eine typisch schwäbische Süßigkeit. Beim Besuch von die:gemeinde singt Erzieherin Ines Stecher mit Herta das Lied D‘Bäure hot d‘Katz verlorn (Die Bäurin hat die Katze verloren). Kinder aller Altersgruppen singen begeistert mit.

Schwäbisch in der Leutenbacher Kita: Heute gilt das Angebot als Qualitätsmerkmal

Laut Pyrka hängen die Dialektspiele von den Ressourcen der Kitas ab. Nicht alle haben schwäbisch sprechendes Personal, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen den spielerischen Unterricht nicht übernehmen. „Es soll ja authentisch rüberkommen“, betont sie. „Wenn niemand im Team Schwäbisch spricht, laden wir Eltern, Großeltern oder Nachbarn ein, die den Kindern den Dialekt näherbringen, etwa durch Vorlesen.“

Eva Pyrka setzte die Idee des Bürgermeisters gerne um, obwohl sie selbst aus Düsseldorf in die Region gezogen ist und kein Schwäbisch spricht.
Eva Pyrka setzte die Idee des Bürgermeisters gerne um, obwohl sie selbst aus Düsseldorf in die Region gezogen ist und kein Schwäbisch spricht.

Der spielerische Unterricht fördere nicht nur die Identifikation mit der Heimat, sondern auch die Sprachentwicklung. Studien zeigen, so Pyrka, dass Kinder, die Dialekt sprechen, später leichter Fremdsprachen lernen. „Der Dialekt legt dafür eine gute Grundlage, regt kognitive Prozesse an und unterstützt besonders die Phonologie“, erklärt sie. Zudem gehe es darum, die Sprache so zu nutzen, wie sie im Alltag gesprochen wird. In Leutenbach werde nun einmal Dialekt gesprochen und es könne Kinder verwirren, wenn sie in Institutionen plötzlich anders sprechen sollen.

Nicht alle Eltern waren von der Initiative überzeugt. „Einige Familien befürchten, dass ihre Kinder in der Schule, besonders beim Schreiben, Probleme bekommen könnten, wenn sie im Kindergarten Dialekt lernen“, erklärt Pyrka. Doch diese Bedenken haben sich bisher nicht bestätigt. „Wir stimmen uns regelmäßig mit den Schulen ab, und die Rückmeldungen zeigen, dass der Dialekt für die Kinder keineswegs ein Nachteil ist.“

Die Gemeinde hat das Projekt inzwischen fest in die Konzeptionen der Einrichtungen aufgenommen und als Qualitätsmerkmal schriftlich dokumentiert. „Wir nutzen es bewusst als Zusatzangebot, um die Qualität unserer Einrichtungen hervorzuheben“, betont Pyrka.

Beim Besuch erzählt Erzieherin Ines Stecher, dass ein dreijähriger Junge aus ihrer Gruppe – die Mutter ist Italienerin, der Vater ist Türke – kürzlich im Supermarkt gefragt wurde, ob er ein kleiner Italiener sei. Seine Antwort: „I bin scho au schwäbisch.“ „Das Projekt trägt also Früchte“, sagt Stecher lachend.

Weitere Informationen zur Dialektinitiative des Landes, lesen Sie auf den Seiten des Staatsministeriums Baden-Württemberg.