Polizei verfolgt Hatespeech gegen Amtsträger und Kandidaten auf X, Tiktok & Co.
Gewaltaktionen gegen Politikerinnen und Politiker, Kandidatinnen und Kandidaten nehmen bundesweit in einer besorgniserregenden Frequenz zu. Der Gesetzgeber ist bislang weitgehend ratlos, wie er der Enthemmung begegnen kann. Viele Experten sind sich immerhin darüber einig, dass die Radikalisierung der Täter häufig in der vermeintlichen Anonymität des Internets beginnt. Umso wichtiger ist es deshalb, dass Hassrede genau dort, nämlich in den sozialen Netzwerken, konsequent verfolgt wird. Dieses Ansinnen steht hinter der Aktion „Streife im Netz“: Laut Innenministerium haben 22 Beamtinnen und Beamte am vergangenen Mittwoch die Profile von 226 Personen und politischen Institutionen auf den Plattformen Facebook, Instagram, X, Tiktok und Youtube durchleuchtet.
Im Rahmen der viereinhalb Stunden dauernden Aktion ermittelten sie dabei 22 Hasspostings zur Anzeige, entweder Bedrohungen, Beleidigungen oder Propagandadelikte. Laut Ministerium habe ein besonderer Schwerpunkt auf dem Schutz der Profile und Internetauftritte von Amts- und Mandatsträgern sowie Wahlkandidatinnen und Wahlkandidaten der diesjährigen Europa- und Kommunalwahlen. „Die Beamten haben gezielt die Profile dieser Personen aufgesucht und geschaut, ob und wer dort Hasspostings hinterlassen hat“, erklärt eine Sprecherin gegenüber die:gemeinde-Aktuell.
Strobl: Mit Hasskommentaren beginnt Radikalisierung
Solche und ähnliche Aktionen finden laut Innenministerium ein bis zweimal pro Jahr anlassbezogen statt. Eine Erhöhung der Frequenz oder eine sonstige Ausdehnung sei nicht geplant, so die Sprecherin. Die Beamtinnen und Beamten, die die Aktion durchgeführt haben, stammen zum Teil aus der auf Cybercrime spezialisierten Kriminalinspektion 5, zum Teil um Beamte ohne spezielle Ausbildung. „Alle Beamtinnen und Beamten sind gut ausgebildet und in der Lage, diese Aufgabe zu erfüllen“, so die Sprecherin. Die Aktion steht in einer Reihe von Maßnahmen des Kabinettsausschusses „Entschlossen gegen Hass und Hetze“ unter Vorsitz von Innen- und Kommunalminister Thomas Strobl. „Wir brauchen gute Präventionsangebote für politisch engagierte Demokratinnen und Demokraten und gleichzeitig eine konsequente Strafverfolgung für die Feinde der Demokratie“, sagte Strobl.
Die ‚Streife im Netz‘ sei ein Signal an alle potentiellen Täterinnen und Täter, wonach niemand annehmen solle, er oder sie sei anonym im Netz. „Es gibt keine rechtsfreien Räume – auch nicht im Netz. Die Polizei ist auch im digitalen Raum auf Streife“, sagte Strobl. Er verwies darauf, dass die Aufklärungsquote bei Hassdelikten zuletzt auf mehr als 60 Prozent gesteigert werden konnte. „Häufig sind Hasskommentare im Netz der Beginn einer Radikalisierung. Im schlimmsten Fall schwappen sie aus der digitalen Welt heraus, werden zum Nährboden und Brandbeschleuniger für Straftaten im realen Leben. Deshalb müssen wir alles daransetzen, Hass und Hetze im Internet Einhalt zu gebieten“, erklärte Strobl.
Die Fallzahlen der Hasskriminalität mit dem Tatmittel Internet haben sich seit 2019 (321) mehr als verdoppelt. So wurden im Jahr 2023 insgesamt 699 Fälle polizeilich registriert. Das politische Klima wird wenige Wochen vor der Europa-, Regional- und Kommunalwahl rauer. Zuletzt hatte es mehrere tätliche Angriffe gegen Kandidatinnen und Kandidaten und Politikerinnen und Politiker in ganz Deutschland gegeben. Die Attacken zielten dabei sowohl auf Kommunalpolitiker als auch auf Bundespolitiker. Zuletzt ist die Berliner Senatorin Franziska Giffey tätlich angegriffen worden.
Diese Präventionsangebote gibt es bereits
Wie das Innenministerium auf Anfrage mitteilt, hat der Kabinettsausschuss hat sich in einer Sondersitzung am 19. März mit dem Thema „Angriffe auf Amts- und Mandatsträger“ befasst und in dem Zusammenhang auch die neu erstellte Broschüre „Sicherheit im Wahlkampf“ herausgegeben. Diese gibt Tipps zur Sicherung von Infoständen oder Sicherheitsaspekte im Zusammenhang mit Veranstaltungen und im Haustürwahlkampf https://praevention.polizei-bw.de/wp-content/uploads/sites/20/2024/04/LEITFADEN-Sicher_im_Wahlkampf.pdf
Das Innenministerium macht Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern folgende Präventionsangebote:
- Seit über vier Jahren berät und unterstützt die Zentrale Ansprechstelle für Amts- und Mandatstragende (ZAMAT) Menschen, die sich für unsere Gesellschaft engagieren und sich damit Beleidigungen, Bedrohungen oder sogar Angriffen ausgesetzt sehen. Seit der Einrichtung im Jahr 2019 steht sie jederzeit unter der zentralen Rufnummer 0711/5401-3003 mit einem qualifizierten Erstberatungsangebot zur Verfügung. Im Jahr 2023 wurden 20 der insgesamt über 80 Beratungen durchgeführt. Seit November 2023 haben wir das Angebot um ein psychosoziales Beratungsangebot ergänzt. Damit steht nunmehr ein umfassendes Beratungsangebot zur Verfügung, welches neben Aspekten der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung auch psychosoziale Fragestellungen qualifiziert abdeckt.
- Das beim Kompetenzzentrum gegen Extremismus in BW (konex) verortete Landesbildungszentrum Deradikalisierung bietet seit dem Jahr 2019 die Veranstaltungsreihe „Anfeindung und Drohung statt politischer Diskurs“ für kommunale Amts- und Mandatspersonen an, die seit dem Jahr 2020 fest in das Fortbildungsportfolio der Verwaltungsschule des Gemeindetags BW verankert ist.
- Auf persönlichen Wunsch der bzw. des Betroffenen beraten die Referate Prävention der regionalen Polizeipräsidien Amts- und Mandatsträgerinnen und -träger auch hinsichtlich baulich-technischer und elektronischer Sicherungsmaßnahmen an dienstlichen wie auch an privaten Gebäuden, Wohnungen und Gärten.
- Im Zusammenhang mit polizeilich bekannten Veranstaltungen und öffentlichen Auftritten von Mandatspersonen steht die Polizei zur Erstellung eines Sicherheitskonzepts sowie bei Sicherheitsfragen, die auch den privaten Bereich der Mandatsträgerinnen und -träger betreffen können, als kompetenter Ansprechpartner und Berater zur Verfügung.
- Ein online-Workshop des LKA BW ist in Vorbereitung, der für alle Kandidatinnen und Kandidaten geöffnet werden und sich ebenfalls mit sicherheitsrelevanten Fragestellungen beschäftigen soll.
- Darüber hinaus stehen Amts- und Mandatsträgerinnen und -träger Informationsmaterialen des Programms Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK) zur Verfügung.
- Durch die UKBW wurde in Kooperation mit dem LKA BW der online abrufbare „Handlungsleitfaden zur Prävention von Gewalt und Belästigung in öffentlichen Einrichtungen“ erstellt. Durch die UKBW und dem LKA BW wurden gemeinsam vielfältige Fortbildungsangebote für den öffentlichen Dienst entwickelt, die zum Beispiel präventive und organisatorische Maßnahmen am Arbeitsplatz oder den Umgang mit schwierigen Situationen beinhalten.
- Mit der am 1. August 2023 in Kraft getretenen Änderung der Kommunalwahlordnung wird bei den Kommunalwahlen auf die Angabe der vollständigen Adresse der Kandidaten auf Wahlbekanntmachungen und Stimmzetteln verzichtet. Dadurch werden Kandidaten bei den Kommunalwahlen im Jahr 2024 besser vor Hass und Hetze geschützt.