Wird der Zensus 2022 vielleicht verschoben?
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Krieg in der Ukraine und Corona-Pandemie - Sollte der Zensus 2022 verschoben werden?

14. März 2022
Die Corona-Pandemie belastet die Verwaltungen in Städten und Gemeinden. Nun kommt die Hilfe für und die Aufnahme von Flüchtenden aus der Ukraine hinzu. Aus verschiedenen Richtungen kommt daher die Forderung den Zensus 2022, der für einen großen Verwaltungsaufwand sorgen würde, zu verschieben.

Der Zensus ist ein wichtiger Vorgang - er bedeutet jedoch auch einen großen Verwaltungsaufwand und kann weitreichende Folgen für die kommunalen Finanzen nach sich ziehen. Der in diesem Jahr geplante Zensus kommt dabei zu einer schwierigen Zeit für die Städte und Gemeinden: Nicht nur die Corona-Pandemie strapaziert die Verwaltungen, auch die Aufnahme der Flüchtenden aus der Ukraine braucht einige Ressourcen. Zudem stellen die teils nur vorübergehend aufgenommenen Flüchtenden eine weitere Schwierigkeit bei der Zählung dar. Deshalb hat die CDU-Faktion im Landtag eine Verschiebung des Zensus vorgeschlagen. Gemeindetag und Landkreistag Baden-Württemberg unterstützen dieses Vorhaben.

Auch die Städte, Gemeinden und Landkreise in Baden-Württemberg treibt die Frage um, ob die Bevölkerungs- und Wohnungszählung Zensus im Moment in die Zeit passt. Die Auswirkungen des brutalen Angriffskrieges in der Ukraine stellen die Landratsämter und Rathäuser, aber auch uns als Gesellschaft vor kaum gekannte Herausforderungen. Die täglich größer werdende Zahl geflüchteter Menschen verlangt von uns eine klare Prioritätensetzung. Und hier gilt: Die Hilfe gegenüber den Geflüchteten hat oberste Priorität.

Ob in einer solch außergewöhnlich herausfordernden Zeit eine Volkszählung mit der erforderlichen Sorgfalt durchgeführt werden kann, erscheint mehr als fraglich. Hinzu kommt, dass sich derzeit noch gar nicht abschätzen lässt, wie lange die Menschen, die nun in großer Zahl aus der Ukraine nach Deutschland kommen, bleiben werden. Das Ergebnis der Volkszählung ist aber für zehn Jahre die statistische Grundlage für die Finanzverteilung nach dem Finanzausgleichsgesetz. Es darf deshalb jetzt nicht heißen ‚Augen zu und durch‘, sondern ‚bedenke das Ende‘. Es ist daher richtig, jetzt nochmals ernsthaft zu hinterfragen, ob das Jahr 2022 wirklich der richtige Zeitpunkt für eine Volkszählung ist. Aus unserer Sicht gibt es gute Gründe für eine nochmalige Verschiebung.

Steffen Jäger, Präsident des Gemeindetags Baden-Württemberg

Steffen Jäger über eine potentielle Verschiebung des Zensus 2022

Was ist der Zensus 2022?

Der Zensus 2022 dient als erneute Bestandsaufnahme der Einwohnerzahl. Auf die Dauer von zehn Jahren bilden die durch den Zensus ermittelten Einwohnerzahlen die Grundlage für die Einwohnerzahlenfortschreibung. Für die Kommunen ergibt sich die Relevanz der Zensus-Ergebnisse daraus, dass die amtliche Einwohnerzahl unter anderem für die Zuweisung von Mitteln im Rahmen des Bund-Länder-Finanzausgleichs maßgeblich ist und als Bemessungsgrundlage für den kommunalen Finanzausgleich (FAG) dient. Mit dem Zensus 2022 kommt die Bundesrepublik ihrer unionsrechtlichen Verpflichtung nach, wonach die EU-weite Zensusrunde seit 2011 alle zehn Jahre stattfinden soll. Der für 2021 geplante Zensus war aufgrund der Corona-Pandemie in das Jahr 2022 verschoben worden – Stichtag ist bislang der 15. Mai 2022.

Wie wird der Zensus 2022 durchgeführt?

Wie bereits beim Zensus 2011 kommt beim Zensus 2022 ein registergestütztes Verfahren zum Einsatz. Im Unterschied zu einer traditionellen Volkszählung – die zuletzt 1987 stattfand – werden aber nicht alle Bürger befragt, sondern bereits bestehende Verwaltungsdaten genutzt (etwa vom Einwohnermeldeamt). Damit besteht der Zensus 2022 – wie bereits 2011 – aus insgesamt drei Erhebungen: einer Haushaltsbefragung auf Stichprobenbasis, einer Vollerhebung an Anschriften mit Sonderbereichen (Wohnheimen und Gemeinschaftsunterkünften) sowie einer Gebäude- und Wohnungszählung (GWZ). Bei der Haushaltebefragung in Baden-Württemberg sind circa 1,6 Millionen Menschen auskunftspflichtig.

Änderungen gegenüber dem Zensus 2011

Obwohl der Zensus 2021 somit inhaltlich auf dem Zensus 2011 aufbaut, gibt es aufgrund der Erkenntnisse des Zensus 2011 Änderungen. Dies betrifft insbesondere die Korrekturstichprobe zur Ermittlung der Einwohnerzahl in Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern. Beim Zensus 2011 waren unterschiedliche Verfahren zur Anwendung gekommen, um die Angaben aus den Melderegistern zu überprüfen und zu korrigieren. Für Kommunen mit mindestens 10.000 Einwohnern galt damals die Besonderheit, dass die aus Registern stammenden Daten mithilfe einer Stichprobe bereinigt wurden. Grundlage dieser Stichprobe war die persönliche Befragung von Personen an zuvor ausgewählten Anschriften (sogenannte „Korrekturstichprobe“). Im Nachgang stellte sich allerdings infolge der Ergebnisse des Zensus 2011 und deren Evaluierung heraus, dass der tatsächliche festgestellte Korrekturbedarf des Zensus 2011 wohl deutlich höher war, als vorab aufgrund des Zensustests 2001 erwartet. Beim Zensus 2022 wird die Korrekturstichprobe zur Ermittlung der Einwohnerzahl daher in allen Kommunen – unabhängig von ihrer Größe – zur Anwendung kommen. Umso wichtiger ist es für die baden-württembergischen Städte und Gemeinden, dass die 103 Erhebungsstellen in Baden-Württemberg gut besetzt und ausgestattet sind. Insbesondere müssen auch ausreichend geeignete Interviewer für die persönliche Befragung gefunden werden: Benötigt werden rund 12.000 Interviewer.