© Adobe Stock

Demokratie braucht Debatte, aber weder Hass noch Hetze

24. Februar 2022
Die Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg sehen mit großer Sorge, dass insbesondere durch die Corona-Pandemie Hass, Gewalt, Bedrohung und Übergriffe gegenüber kommunalpolitischen Amts- und Mandatsträgerinnen und -trägern sowie kommunalen Beschäftigten zunehmen. Aus Sicht des Gemeindetags Baden-Württemberg braucht es eine gesellschaftliche Debatte sowie weitere Maßnahmen zum Schutz und zur Stärkung kommunaler Verantwortungsträgerinnen und -trägern.

„Wir erleben in diesen Tagen vor Ort in den Kommunen eine zunehmend aufgeheizte Stimmung: Proteste gegen Corona-Maßnahmen, Aufmärsche vor Privathäusern, Morddrohungen per Post oder in sozialen Netzwerken oder Anfeindungen und Übergriffe in alltäglichen Situationen. Wir haben die ernsthafte Sorge, dass diese gesellschaftliche Entwicklung zur Gefahr für Rechtsstaat und Demokratie werden kann“, erklärt der Präsident des Gemeindetags Baden-Württemberg, Steffen Jäger, zur aktuellen Situation.

Steffen Jäger: Grundrespekt gegenüber Verantwortungsträgern ist in Teilen der Gesellschaft abhandengekommen

Die jüngsten Berichte zu Hass und Gewalt gegenüber Amts- und Mandatsträgerinnen und -trägern, nach denen 2021 bundesweit 4.458 Straftaten verzeichnet wurden, bestätigen diese Wahrnehmung, so der Gemeindetagspräsident. „Wir müssen feststellen, dass zwischenzeitlich in Teilen der Gesellschaft der Grundrespekt gegenüber jenen Menschen, die Verantwortung für unser Gemeinwesen übernehmen, abhandengekommen ist.“ Dies beschränke sich nicht nur auf Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, kommunale Gremienmitglieder und Beschäftigte des öffentlichen Diensts, sondern erstrecke sich auch auf Ehrenamtliche in den Städten und Gemeinden, beispielweise bei den Blaulichtorganisationen. Daher setzt sich der Gemeindetag mit seinen Mitgliedsstädten und -gemeinden intensiv mit diesen Entwicklungen auseinander. Das Präsidium des Gemeindetags beriet dazu in seiner Klausurtagung ein Positionspapier mit ersten Maßnahmen für Respekt statt Hass und Hetze.

Jäger: Jüngstes Urteil des Bundesverfassungsgerichts stärkt kommunalen Handlungsträgern den Rücken 

Auch das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz von Politikerinnen und Politikern stärke kommunalen Verantwortungsträgern den Rücken, betont Jäger, der auch Vizepräsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB) ist. „Wenn ein Verfassungsorgan bestätigt, dass eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft nur dann erwartet werden kann, wenn für die Verantwortlichen vor Ort ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist, ist dies eine richtungsweisende Aussage und ein Auftrag sowohl für den Gesetzgeber als auch für die Strafverfolgungsbehörden.“

„Schweigende Mehrheit“ muss laut werden

„Es braucht für die aktuelle Situation sowohl im Netz als auch vor Ort in den Städten und Gemeinden ein klares gesellschaftliches Bewusstsein. Sonst drohen langfristig die Kommunalpolitik, aber auch die Kommune als Arbeits- und Lebensort an Attraktivität einzubüßen. Wir fordern daher einen stärkeren Schutz für kommunale Verantwortungsträgerinnen und -trägern“, so Jäger weiter. Der Gemeindetagspräsident erklärt: „Die ‚schweigende Mehrheit‘ muss laut werden. Nicht erst wenn Hass und Gewalt angedroht oder ausgeübt werden, sondern bereits dann, wenn politische Diskussionen von der sachlichen auf die persönliche Ebene gezogen werden. Denn kommunale Amts- und Mandatsträgerinnen und -träger in Haupt- und Ehrenamt sind wichtige Säulen unseres demokratischen Staates. Sie bringen sich mit Haut und Haaren, mit ganzer Kraft häufig an sieben Tagen in der Woche für das Allgemeinwohl, für ein funktionierendes gesellschaftliches Zusammenleben ein. Ein Angriff auf sie ist ein Angriff auf unsere verfassungsrechtlichen Werte und letztlich ein Angriff auf uns alle. Hier muss es heißen: Null Toleranz für Hass und Hetze!“

Vertrauen in Kommunen ist groß – Grundrespekt muss wieder Richtschnur werden

Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger vertraut den kommunalen Verantwortungsträgerinnen und -träger. „Dieses Vertrauen erwächst aus einem Grundrespekt gegenüber dem Staat und seinen Institutionen. Und dieser Grundrespekt muss auch wieder Richtschnur im Alltag und insbesondere in den politischen Diskussionen online und offline sein. Unsere Demokratie braucht die Debatte, sie braucht aber weder Hass noch Hetze.“

Kabinettsausschuss und LKA-Ansprechstelle wichtige erste Maßnahmen

Jäger lobt die Bemühungen des Landes um mehr Sicherheit für Mandatsträger. Vor allem der eingesetzte Kabinettsausschuss „Entschlossen gegen Hass und Hetze“ als auch die Verstärkung der Strafverfolgungsbehörden sind wichtige erste Maßnahmen. „Mit dem ressortübergreifenden Kabinettsausschuss und dem umsichtigen Handeln des Haushaltsgesetzgebers bei den zusätzlichen Stellen der Staatsanwaltschaften geht Baden-Württemberg erste wichtige Schritte. Denn bei Hass und Hetze muss gelten: Die Strafe folgt auf dem Fuße.“

Gemeindetag: Einführung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften und spezialisierten Kammern an den Strafgerichten erwägen

Aus Sicht des Gemeindetags sollte dazu auch die Einführung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften und spezialisierter Kammern an den Strafgerichten erwogen werden. „Damit stellen wir nicht die Kompetenz der jetzigen Strukturen in Frage. Wir sind aber überzeugt, dass durch Spezialisierung ein besseres Gesamtbild und ein unmittelbareres Vorgehen ermöglicht würde. In jedem Fall sollte das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht werden, wenn es um die Mandatsausübung oder die Tätigkeit im öffentlichen Dienst geht.“ Weiter schlägt der Kommunalverband vor, im Rahmen des bestehenden Kabinettsausschusses die Situation der kommunalen Verantwortungsträgerinnen und -träger mit einer Interministeriellen Arbeitsgruppe (IMA) zu begleiten.

Jäger: "Auch im digitalen Raum muss der Staat konsequent gegen Hass und Hetze vorgehen"

„Die Zentrale Ansprechstelle für Amts- und Mandatsträgerinnen und -träger beim Landeskriminalamt, das bundesweite Onlineportal ‚Stark im Amt‘ oder auch das aktuelle bundesweite Monitoring mit dem Bundeskriminalamt und den Kommunalen Spitzenverbänden stellen weitere wichtige Schritte im Kampf gegen Hass und Hetze dar“, so Jäger. „Auch im digitalen Raum muss der Staat konsequent gegen Hass und Hetze vorgehen. Wir benötigen für die Kommunikation im Netz klare Regeln, die eingehalten und kontrolliert werden müssen. Für uns kann dies beispielsweise auch eine Klarnamenpflicht im Internet bedeuten“, betont Jäger abschließend.