Erstes Datenethikkonzept in Ulm
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Wie funktioniert ein ethischer Umgang mit Daten?

9. Dezember 2020
Die Stadt Ulm hat als erste Kommune in Baden-Württemberg ein eigenes Datenethikkonzept erarbeitet. Welche Ziele die Stadt damit verfolgt und wie das Konzept ausgestaltet ist, erzählen Jörn von Lucke, Lehrstuhlinhaber für Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik und Sabine Meigel, Leiterin der Geschäftsstelle „Digitale Agenda“ der Stadt Ulm.

Die Stadt Ulm engagiert sich seit vielen Jahren als Zukunftsstadt, als Zukunftskommune und als smarte Stadt. Über ihre E-Government-Aktivitäten hinaus positioniert sie sich als Vorreiter für eine verantwortungsbewusste Digitalisierung und intelligente Vernetzung im Bereich digitaler Stadt. Im Rahmen zahlreicher innovativer Vorhaben geht sie auch neuartige Wege, mit denen sie sich zum Teil in bisher ungeregelten Räumen und damit in teilweise rechtsfreien Sphären bewegen wird. Dies ist mit zahlreichen Chancen zur nachhaltigen digitalen Gestaltung des städtischen Raums verbunden. Allerdings kann dies unerwartete Risiken mit sich bringen, mit denen es angemessen umzugehen gilt. Die Frage nach dem politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Ordnungsrahmen von neuen Technologien ist so zu einer zentralen Frage unserer Zeit geworden. Dieser ist nicht nur auf der europäischen und nationalen Ebene, sondern auch dort, wo die Menschen leben und arbeiten, in den Kommunen, zu diskutieren. Aus diesem Grunde hat sich die Stadt Ulm ein kommunales Datenethikkonzept erarbeitet. Mit dem Beschluss des Ulmer Gemeinderats im Oktober 2020 positioniert sich die Stadt Ulm auch im Kontext von Datenethik als Vorreiter in Deutschland.

Sabine Meigel ist seit 2018 Leiterin der Geschäftsstelle „Digitale Agenda“ der Stadt Ulm.
Sabine Meigel ist seit 2018 Leiterin der Geschäftsstelle „Digitale Agenda“ der Stadt Ulm.

Als Selbstverpflichtung der Stadt Ulm und aller kommunalen Beteiligungen definiert es Leitlinien und Grenzen, wie und zu welchen Zwecken Daten durch die Stadt Ulm genutzt werden dürfen. Hierbei werden bestimmte Bereiche, wie der Verkauf personenbezogener Daten, generell ausgeschlossen. Damit ergänzt das Konzept die bestehenden rechtlichen Regelungen zum Datenschutz und zur IT-Sicherheit. Der Stadt Ulm ist es ein Anliegen, mit Hilfe dieser Leitlinien zur Digitalisierung das Vertrauen der Bürger in die Stadt zu stärken und der Idee eines Überwachungsstaates bewusst entgegenzutreten.

Inhaltlich werden im Datenethikkonzept neun Aspekte reflektiert. Diese umfassen die Privatsphäre und den Datenschutz, offene Daten, deren Weitergabe und deren Weiternutzung, technologische Souveränität und demokratische Kontrolle. Hinzu kommen Transparenz im Umgang mit Daten, Algorithmen und automatisierten Systemen, IT-Sicherheit, Gemeinwohl­verpflichtung, Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung sowie Evaluierungen und Sanktionen. 

Die Privatsphäre der Bürger steht an erster Stelle. Sie gilt es zu wahren und personenbezogene Daten zu schützen. Mit „Privacy by Design“ wird sichergestellt, dass bei der Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten nur die erforderlichen Daten erhoben werden und diese sicher geschützt bleiben.

Jörn von Lucke hat den Lehrstuhl für Verwaltungsund Wirtschaftsinformatik am The Open Government Institute an der Zeppelin Universität Friedrichshafen inne. Er begleitet die Stadt im Projekt Zukunftsstadt Ulm 2030+ seit 2015.
Jörn von Lucke hat den Lehrstuhl für Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik am The Open Government Institute an der Zeppelin Universität Friedrichshafen inne. Er begleitet die Stadt im Projekt Zukunftsstadt Ulm 2030+ seit 2015.

Ziel städtischen Handelns muss es sein, offene Daten transparent, barrierefrei, vollständig, maschinell abrufbar und nachhaltig bereitzustellen. Innovationen und Verbesserungen des städtischen Zusammenlebens werden durch die offene Bereitstellung aller erhobenen, nicht-personenbezogenen städtischen Daten gefördert. Offene Daten helfen der Stadt dabei, Transparenz zu schaffen, Wissen zugänglich zu machen, Bürger zu beteiligen, vorhandene Verwaltungsleistungen zu verbessern, neue Erkenntnisse durch wissenschaftliche Auseinandersetzungen auf der Grundlage von Daten zu gewinnen und neue Betriebs- und Geschäftsmodelle zu konzipieren.

Die Stadt setzt mit dem Konzept ebenso darauf, dass die verbindliche Annahme von offenen Standards, Dokumenten- und Datenformaten sowie Kommunikationsprotokollen die Transparenz, die Koordination zwischen den städtischen Einrichtungen und die Zusammenarbeit mit Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft verbessern wird.

Erstmalig strebt die Stadt Ulm größtmögliche technologische Souveränität an. Künftig sollen alle verwendeten Dienste und Produkte durch Drittanbieter auf Grundlage von vereinbarten und offenen Standards entwickelt werden. Die Nutzung von etablierten und breit anerkannten Standards stellt sicher, dass Dienste und Produkte kontinuierlich zum besten Nutzen der Stadt weiterentwickelt werden können. Abhängigkeiten von einzelnen Unternehmen sind zu vermeiden. Zum künftigen Austausch einzelner Komponenten und Dienstleister wird auf offene Schnittstellen und Austauschformate gesetzt.

Die Coronakrise legt den erreichten Stand der Digitalisierung an vielen Stellen offen. Der Widerstand gegenüber einer zentralen Speicherung der Daten der Corona-App verdeutlicht die Notwendigkeit eines transparenten Umgangs mit neuen Technologien. Entscheidend zur Bewältigung dieser und weiterer Krisen ist die technische und organisatorische Souveränität über Daten und Dateninfrastrukturen und damit auch die demokratische Kontrolle im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung. Aus diesem Grund verfolgt die Stadt Ulm einen integrierten Ansatz mit den vier Säulen eigener Infrastrukturaufbau, Kompetenzerweiterung der Verwaltung und des Stadtkonzerns, Vertragsgestaltung und Beschaffungsregeln sowie dem Aufstellen von kommunalen Leitlinien wie dem Datenethikkonzept.

Digitale Ansätze ermöglichen in einer Demokratie mehr Bürgerbeteiligung bei der Gestaltung und Verwaltung von Städten und städtischen Dienstleistungen. Dennoch werden der Gemeinderat und seine Ausschüsse weiterhin über Zielsetzung, Entwicklung, Durchführung und Nutzung von Digitalisierungsprojekten beraten und entscheiden.

Eingesetzte Werkzeuge, Daten und Algorithmen sollen transparent und offen sein, soweit diese keinen besonderen schutzwürdigen Auflagen unterliegen. Kriterien automatisierter Verwaltungsentscheidungen sind offenzulegen. Bei der Kommunikation mit Bürgern ist von vornherein klarzustellen, wenn eine Maschine eingesetzt wird oder Entscheidungen ohne Einbezug eines Mitarbeiters einzig durch technische Systeme getroffen werden. Eine so gelebte Vorgehensweise ermöglicht es der Stadt Ulm und allen anderen, Ergebnisse und Arbeitsabläufe transparent nachvollziehbar und für Dritte reproduzierbar zu halten.

Die Stadt setzt mit dem Datenethikkonzept zudem darauf, die verwendeten technischen Systeme nach dem aktuellsten Stand der Technik und nach bestem Wissen und Gewissen vor Angriffen, Manipulation und unbefugtem Zugriff schützen. Das Entwickeln und Erproben von neuen Technologien sowie das Kombinieren, Aggregieren und Interpretieren verschiedener Datenbestände kann unerwartete und gegebenenfalls ungewollte Seiteneffekte produzieren. Deswegen muss der Digitalisierungsprozess zu jeder Zeit dem Gemeinwohl verpflichtet sein, ohne dabei Experimentierräume zu verhindern. Ziel der digitalen Umgestaltung muss eine prozessuale, soziale, ökonomische und ökologische Verbesserung der städtischen Verwaltungsleistungen und Angebote sein.

Auf Grund des technischen Fortschritts müssen ethische Folgen nach bestem Wissen und Gewissen reflektiert und die Regeln mit den demokratisch legitimierten Gremien weiterentwickelt werden. Das Datenethikkonzept und seine Einhaltung sollen regelmäßig überprüft, evaluiert und gegebenenfalls nachjustiert werden. Das Datenethikkonzept setzt künftigen Digitalisierungsvorhaben wertvolle Leitplanken. Die Umsetzung von Onlinezugangsgesetz, Open Government, Datenplattformen und Smart City-Projekten lassen sich datenethisch besser planen und realisieren. Es wurde gemeinsam mit Jörn von Lucke von der Zeppelin Universität in Friedrichshafen und seinem Team im Rahmen der Zukunftsstadt Ulm 2030+ entwickelt.