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„Das Wohnraumproblem ist ein dickes Brett, das es zu bohren gilt“

Der Wohnungsbau steckt in der Krise. Der Bedarf an neuen Wohnungen ist so hoch wie lange nicht. Zugleich wird derzeit immer weniger gebaut. Susanne Dürr von der Architektenkammer Baden-Württemberg erklärt im Interview, wie dem Problem besser begegnet werden könnte, welche Rolle die Kommunen dabei spielen – und ob die kürzlich beschlossene Novelle der Landesbauordnung am Wohnraummangel etwas verändern kann.

Der Wohnraummangel in Deutschland ist weiterhin gravierend. Die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen ist in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Im Jahr 2024 wurden insgesamt nur 215.900 Wohnungen genehmigt. Laut einer Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) müssten jedoch jährlich mindestens 320.000 neue Wohnungen entstehen, um die Wohnungsnachfrage bis 2030 zu decken. Was ist nötig, um dem Problem besser als bisher zu begegnen? Susanne Dürr, Vizepräsidentin der Architektenkammer Baden-Württemberg, erklärt im Interview, wo die größten Hemmnisse für den Wohnungsbau liegen, was insbesondere Kommunen tun können, und ob die kürzlich beschlossene Novelle der Landesbauordnung in Baden-Württemberg künftig einen Unterschied macht.

die:gemeinde: Liebe Frau Dürr, seit Jahren kommt der Wohnungsbau in Deutschland nicht in Gang. Der Bedarf wird zugleich immer höher. Was sind derzeit die größten Hemmnisse für den Wohnungsneubau?

Susanne Dürr: Das sind nach wie vor die hohen Baukosten. Seit der Corona-Krise und dem Krieg in der Ukraine sind die Preise massiv gestiegen – und sie bleiben auf diesem Niveau. Dazu kommen weiterhin hohe Zinsen, die Kredite verteuern und langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren. All diese Faktoren greifen ineinander und verschärfen die Situation. Gerade im Mietwohnungsbau ist das Problem besonders gravierend: Die Mieten, die man erzielen müsste, um die hohen Baukosten zu finanzieren, sind nicht mehr sozial verträglich. Das schreckt viele Akteure ab – von privaten Investoren bis hin zu Pensionsfonds. Selbst kommunale und genossenschaftliche Wohnungsbaugesellschaften fahren ihre Bautätigkeit zurück, weil ihnen schlichtweg die Finanzkraft fehlt.

Im kommunalen Bereich ist die finanzielle Situation schließlich auch nicht gerade die beste...

Genau, Kommunen müssen sich derzeit um viele weitere Dinge gleichzeitig kümmern. Sie müssen ihren Bestand energetisch sanieren. Gleichzeitig sehen sich Kommunen mit steigenden Personal- und Infrastrukturkosten konfrontiert, etwa durch Straßen und Versorgungsnetze. Auch die neuen kommunalen Wärmepläne müssen sie derzeit erstellen – da bleibt für den Wohnungsbau oft nichts mehr übrig. Aber auch für private Bauherrschaften wird es zunehmend schwieriger: Einfamilienhausprojekte sind mittlerweile meist weder ökologisch sinnfällig noch wirtschaftlich tragfähig. Am Ende stößt man aus jeder Perspektive immer wieder auf dasselbe Grundproblem: Die Finanzierung reicht nicht aus.

Susanne Dürr Architektenkammer Baden-Württemberg
Susanne Dürr ist Professorin für Städtebau und Gebäudelehre an der Hochschule Karlsruhe. Sie forscht zu nachhaltiger Quartiersentwicklung, gemeinschaftlichen Wohnformen und co-kreativen Planungsprozessen. Neben ihrer Forschung ist sie in Gestaltungsbeiräten, Wettbewerben und Qualitätsverfahren aktiv. Seit 2018 ist sie Vizepräsidentin der Architektenkammer Baden-Württemberg.

Das klingt nach einer ziemlich verfahrenen Situation. Wie kommen wir da wieder raus? Scheitert günstiges Bauen mitunter auch an zu vielen Regulierungen?

Die Regulierungen und gesetzliche Vorgaben sind definitiv ein Problem. Was ursprünglich als fachliche Orientierung gedacht war, hat sich über die Jahre zu einem immer engeren Korsett entwickelt. Normen und Standards, die einst nur Empfehlungen waren, wurden durch gerichtliche Entscheidungen zunehmend zu rechtlich bindenden Vorgaben – jede Instanz berief sich auf die vorherige. So ist ein komplexes Regelwerk entstanden, das das Planen und Bauen heute erheblich erschwert.

Es wäre also eine Option, einfach günstiger zu bauen, um den Wohnungsbau wieder in Gang zu bekommen?

Einfacher zu bauen, ist durchaus eine wichtige Stellschraube. Ein zentraler Ansatz ist hier der sogenannte Gebäudetyp-e – das „e“ steht für einfach beziehungsweise experimentell. Dahinter steckt die Idee, bewusst auf überzogene Standards zu verzichten, sofern sie nicht den Schutz von Leib und Leben betreffen. Das würde weniger Vorgaben bedeuten, zum Beispiel beim Schallschutz, sofern sich Bauherrschaft und Planende gemeinsam darauf verständigen. Dieser Vorschlag der Architektenkammer Bayern wurde als Gesetzesinitiative auf Bundesebene eingebracht. Die Verabschiedung war bereits weit fortgeschritten und in den regulären Gesetzgebungsablauf eingeplant, wurde aber durch das Ende der Ampelregierung im Bund gebremst. Das Thema bleibt aber aktuell: Es findet sich sowohl im Sondierungspapier als auch in den Positionen der aktuellen Koalitionsverhandlungen wieder.

Kürzlich wurde in Baden-Württemberg die Landesbauordnung novelliert. Können die neuen Regelungen die Bautätigkeit erleichtern?

Zunächst einmal: Das ist ein 82 Seiten umfassendes Gesetz, das sich in einzelnen Passagen geändert hat. Ich würde mir übrigens einen Überblick wünschen, in dem alt und neu einander gegenübergestellt werden – damit für alle, die im Alltag damit arbeiten, schnell nachvollziehbar ist, was sich konkret geändert hat. In der Novelle sehe ich durchaus begrüßenswerte Ansätze – insbesondere beim Bauen im Bestand. Das ist aus meiner Sicht einer der wichtigsten Hebel: Wir müssen es ermöglichen, bestehende Gebäude schneller und auch haftungsbezogen machbar umzubauen. Die neue Landesbauordnung sieht hier zum Beispiel eine Fortgewährung des Bestandsschutzes vor – etwa beim Brandschutz und den Rettungswegen. Das ist eine große Erleichterung. Vorher wurde der Bestand auch deswegen nicht angefasst, weil mit dem Eingriff neue Vorschriften galten – und der Umbau wurde teuer und kompliziert. Gerade der Brandschutz war ein zentrales Hemmnis.

Mit der Frage, wie gutes Bauen bezahlbar gelingen kann, beschäftigt sich die Netzwerkkonferenz Baukultur 2025 am 7. April in Stuttgart. Die vom Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen Baden-Württemberg veranstaltete Konferenz lädt insbesondere kommunale Entscheidungsträgerinnen und -träger zum Austausch ein. Anmeldungen sind noch bis zum 30. März möglich. Weitere Informationen unter https://diegemeinde.de/neue-wege-zum-bezahlbaren-bauen



Die Novelle soll auch Bürokratie abbauen...

Ja, auch beim Thema Verfahrensbeschleunigung gibt es Schritte in die richtige Richtung. Die sogenannte Genehmigungsfiktion etwa: Wenn ein Bauantrag gestellt wird und nach drei Monaten keine Rückmeldung kommt, gilt er als genehmigt. Zusätzlich wurde der Widerspruch abgeschafft. Wer gegen eine erteilte Baugenehmigung vorgehen will, kann also nicht mehr zunächst Widerspruch bei der Baurechtsbehörde einlegen, sondern muss direkt Klage vor dem Verwaltungsgericht erheben. Auch die Beteiligung bestimmter Körperschaften wurde eingeschränkt – Maßnahmen, die bislang oft für Verzögerungen gesorgt haben, etwa weil betroffene Stellen wie Umwelt- oder Denkmalschutzbehörden sehr aufwendige Abstimmungsprozesse erforderten. Gleichzeitig entsteht mit der Kumulierung dieser neuen Maßnahmen aber auch eine gewisse rechtliche Unsicherheit: Es ist unklar, ob diese Beschleunigungen an anderer Stelle neue Klagewellen auslöst, die die Prozesse dann wieder verlangsamen. Hier wird man genau beobachten und gegebenenfalls nachjustieren müssen.

Wie schätzen Sie in der aktuellen Wohnungsbaudebatte die Rolle der Kommunen ein? Was können Kommunen tun, um den Wohnungsbau auf ihren Gemarkungen spürbar zu stärken?

Leider gibt es auf die Frage keine einfache Antwort. Der Ruf nach Steuererleichterungen beziehungsweise Förderung ist überall zu hören, ob das Geld vom Bund, vom Land oder von den Kommunen stammt. Denn die Differenz zwischen möglichen Mieteinnahmen und den tatsächlichen Baukosten lässt sich nicht wegdiskutieren. Ein Instrument, das auf kommunaler Ebene helfen kann, ist die Vergabe von Grundstücken in Erbpacht. Das erleichtert den Einstieg in die Finanzierung – vorausgesetzt, es gibt überhaupt noch verfügbare Flächen in Besitz der Kommunen. Zu diesem Ansatz gehört die Konzeptvergabe, also die gezielte Unterstützung gemeinwohlorientierter Bauherrschaften – wie Genossenschaften oder Baugemeinschaften. Im Rahmen des Strategiedialogs Wohnen des Landes Baden-Württemberg wird aktuell daran gearbeitet, diese Verfahren besonders in kleineren Kommunen fachlich zu unterstützen und zu verbreiten. Darüber hinaus könnten Kommunen durch vereinfachte Bauleitplanverfahren einiges bewegen. Viele veraltete Bebauungspläne verhindern etwa Aufstockungen und Nachverdichtungen, die eigentlich sinnvoll wären. Auch hier wären gesetzliche Vereinfachungen dringend nötig. Insgesamt ist es aber ein dickes Brett, dass da gebohrt werden muss.

Gibt es Beispiele von Kommunen, die besonders günstige Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau geschaffen haben und bei denen das Problem dadurch weniger gravierend ist?

In Baden-Württemberg sind die Strategien der Städte Tübingen und Ulm bemerkenswert. Beide Kommunen beschreiten seit Jahrzehnten kontinuierlich ihren jeweils eigenen Weg, und genau diese lerndende Ausdauer zahlt sich aus. In Tübingen spielt das Modell der Baugemeinschaften eine zentrale Rolle, das sich inzwischen in Richtung Genossenschaften öffnet. Damit wird dort sichergestellt, dass auch bei einem Generationswechsel kein spekulativer Verkauf zum Höchstgebot erfolgt. So sind die Bürger aktiv am Bau ihrer eigenen Stadt beteiligt. Ulm wiederum verfolgt seit über 125 Jahren eine systematische Bodenpolitik. Die Stadt kauft frühzeitig Grundstücke auf, bevor diese über Bauleitplanung erschlossen und verwertbar gemacht werden. So behält sie eine strategische Steuerungshoheit über die Stadtentwicklung. Diese langfristige Grundstückspolitik hat sich auch positiv auf den Wohnungsbau ausgewirkt.

Gilt als Beispiel für günstigen und gelungenen Umbau: Das Senioren-Wohnprojekt „Pfrondorfer Neschtle“, ein nachhaltiger Umbau im Erbbaurecht, unterstützt von der Stadt Tübingen.
Gilt als Beispiel für günstigen und gelungenen Umbau: Das Senioren-Wohnprojekt „Pfrondorfer Neschtle“, ein nachhaltiger Umbau im Erbbaurecht, unterstützt von der Stadt Tübingen. Foto: Ulrich Otto