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„Wir versuchen, das Wunschbild der familienfreundlichen Stadt systematisch zu erreichen“

Einer Studie des Magazins KOMMUNAL zufolge ist Neckargemünd die familienfreundlichste Kommune in Baden-Württemberg – und belegt bundesweit den zweiten Platz. Im Gespräch mit die:gemeinde-Aktuell erklärt Bürgermeister Frank Volk, warum das so ist – und nach welchen Prinzipien Verwaltung und Gemeinderat vorgehen.

die:gemeinde:
Herr Volk, laut KOMMUNAL-Studie ist Neckargemünd die zweitfamilienfreundlichste Kommune in Deutschland. Kennen Sie die Studie? Und falls ja: waren Sie vom Abschneiden überrascht?

Frank Volk:
Im Vorfeld wussten wir nichts von der Studie. Wir haben am Tag einer Gemeinderatssitzung erfahren, dass wir auf dem zweiten Platz gelandet sind. So konnte ich dem Gemeinderat am Abend direkt davon berichten. Wir sind sehr glücklich darüber und werten es als Auszeichnung unserer jahrelangen Bemühungen um die Familienfreundlichkeit. Dass es für Platz 2 reicht hätte ich nicht unbedingt gedacht. Unter den Top 100 habe ich uns in Deutschland durchaus immer gesehen.

die:gemeinde:
Von welchen Bemühungen sprechen Sie genau?

Volk:
Wir haben in den Jahren 2002/2003 erstmals ein Stadtleitbild aufgestellt und es 2015/2016 evaluiert und weiterentwickelt. Familienfreundlichkeit ist darin ebenso wie Klimaschutz eine Querschnittsaufgabe. Das heißt: Bei allem, was wir machen, denken wir diese beiden Dinge mit.

die:gemeinde:
Wie äußert sich das?

Volk:
Neckargemünd hat 13.400 Einwohner. Wir haben aktuell 13 Kindertageseinrichtungen und eröffnen demnächst die vierzehnte. Das ist für eine Stadt unserer Größe enorm. Es gibt drei Grundschulen, ein Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ) in eigener Trägerschaft, dazu kommen zwei weitere in Trägerschaft des Landes und in privater Trägerschaft. Wir haben eine Realschule und ein Gymnasium.
Insgesamt gibt es 2.700 Schülerinnen und Schüler in Neckargemünd. Wir haben die Schulen digital sehr gut ausgestattet, was die Umstellung während Corona verhältnismäßig einfach machte. Wir haben an allen Grundschulen Hort- oder Kernzeitbetreuung. Wir haben ein Freibad, eine Musikschule und eine Volkshochschule vor Ort. Das Angebot ist also breit gefächert.

Bürgerinnen und Bürger haben das Stadtleitbild mitbestimmt

die:gemeinde:
Welche Rolle spiele Vereine?

Volk:
Insgesamt gibt es fast 200 Vereine und Organisationen in Neckargemünd, die auch für Familien tolle Angebote haben. Die Jugendorganisationen aller Hilfsdienste wie Deutsches Rotes Kreuz, Feuerwehr, THW und DLRG haben allesamt starke Jugendgruppen. Jugend und Familie haben hier also Platz – und auch Zukunft.

die:gemeinde:
2005 haben noch nicht viele Kommunen so intensiv in Kinderbetreuung investiert wie Neckargemünd. Wie kommt es, dass Sie bereits damals bewusst diesen Schritt gegangen sind?

Volk:
Wir waren schon immer gut aufgestellt. Beim ersten Stadtleitbild 2003 hatten wir bereits zehn Kitas. Dann haben wir die Notwendigkeit beim Thema Ganztag erkannt. Derzeit ist ein weiterer Kindergarten im Bau, der inklusiv sein wird. Wichtig zu wissen ist, dass das Stadtleitbild in zahlreichen Workshops von den Bürgerinnen und Bürgern entwickelt wurde. Die haben damals bereits klar gesagt: Familienfreundlichkeit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind uns wichtig! Im Stadtleitbild haben wir ungefähr 50 Aufgaben und Themen, die wir immer ins Handeln mit einbeziehen. Dadurch versuchen wir, das Wunschbild der familienfreundlichen Stadt systematisch zu erreichen.

die:gemeinde:
Die Bürgerinnen und Bürger haben Sie damals mit einbezogen. Wie gewinnen Sie heute ein Stimmungsbild? Wie identifizieren Sie, was Familienfreundlichkeit für die Einwohner bedeutet?

Volk:
Ein Stimmungsbild ergibt sich bereits durch die Nachfragen der Bürgerinnen und Bürgern, die bei uns im Rathaus ankommen. Daraus geht hervor, dass das Thema Ganztagsbetreuung weiterhin wichtig ist. In diesem Bereich liegen wir bereits bei 50 Prozent und damit über dem Landesdurchschnitt. Einen Regelkindergarten gibt es bei uns gar nicht mehr, es gibt zumindest überall verlängerte Öffnungszeiten. Wir reagieren auf die Nachfragen aus der Bevölkerung. Eine Folge ist, dass es in einem städtischen Kindergarten nun eine Waldgruppe gibt. Aus einer Privatinitiative heraus ist ein Waldkindergarten entstanden. Wir optimieren also ständig das Angebot und hören an, welche Bedarfe die Bevölkerung hat.

Frank Volk: Der Gemeinderat spart zuallerletzt an Bildung, Schulen und Kitas

die:gemeinde:
Für viele Gemeinden stellt sich die Frage der Finanzierung. Kitas zu bauen kostet Geld. Dann braucht man Personal, das wegen des Fachkräftemangels immer schwerer zu finden ist. Hatten Sie auch mit solchen Herausforderungen zu kämpfen?

Volk:
Wir sind als Stadt Neckargemünd grundsätzlich eher finanzschwach. Das hat strukturelle Gründe. Aber im Gemeinderat sparen wir zuallerletzt an Bildung, an Schulen und an Kindergärten. Kinder und Jugendliche kommen an erster Stelle. Auch ein Freibad macht immer Defizite. Trotzdem kommt eine Schließung nicht infrage. Wir haben es erst 2008 zu einem Kombibad aus konventionellem Freibad und Naturbad umgebaut. Wir versuchen als Kommune stets, die Attraktivität für alle Generationen im Blick zu haben. Der Fachkräftemangel ist ein Thema, ja. Da gilt es, sich als Arbeitgeber entsprechend zu positionieren. Wir bieten den kommunalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beispielsweise ein Jobticket an. Es gibt Angebote im Gesundheitsbereich. Bewerbungen lassen wir über eine digitale Plattform laufen, durch die wir automatisch auf Jobportalen auftauchen, und werden dadurch auch besser wahrgenommen.
Derzeit haben wir eine Stelle als Kulturreferentin ausgeschrieben und haben 25 Bewerbungen. Die hätten wir nie, wenn wir nur klassisch in der Regionalzeitung inseriert hätten. Ähnlich ist es bei Fachkräften im Erziehungsbereich. Klar, es dauert manchmal auch mal etwas länger, bis eine Stelle besetzt ist. Am Ende klappt es meist ganz gut.

die:gemeinde:
Noch einmal eine Frage zur Finanzierung: Wie haben Sie den stetigen Ausbau der Betreuung denn gestemmt, wenn Sie sich selbst als grundsätzlich finanzschwache Kommune bezeichnen?

Volk:
Wenn man wenig Mittel hat, muss man sie sinnvoll einsetzen. Familienfreundlichkeit ist ein wichtiger Baustein, gerade im Speckgürtel von Heidelberg. Für junge Familien – insbesondere auch für gutverdienenden Familien – macht uns das sehr attraktiv. Vor zehn Jahren haben wir in Kleingemünd ein Neubaugebiet mit mehr als 100 Bauplätzen ausgewiesen. Die waren innerhalb weniger Monate verkauft. Es geht darum, Prioritäten zu setzen. Familienfreundlichkeit, Schule und Bildung stehen für uns eben ganz vorn. Da investieren wir dann auch gern. An anderer Stelle sparen wir dann eben ein bisschen mehr. Manchmal muss man auch schnell sein: Wir waren eine der ersten Kommunen, die die Fördergelder aus dem Digitalpakt Schule komplett abgerufen haben. Deshalb sind unsere Schulen jetzt mit iPads und Whiteboards ausgestattet. In unseren Klassenzimmern gibt es kaum noch klassische Tafeln. Und deshalb gelten unsere Realschule und unser Gymnasium landesweit als Vorzeigeschulen im Bereich Digitalisierung.

Auch Verkehrsinfrastruktur ist Teil der Familienfreundlichkeit

die:gemeinde:
Es handelt sich also um eine Investition in Familienfreundlichkeit, in dem Bewusstsein, dass die Kommune als Ganzes profitiert?

Volk:
So kann man es sagen. Wir stärken damit natürlich auch die örtlichen Organisationen. Die Jugendfeuerwehren haben bei uns einen Aufnahmestopp, weil so viele Jugendliche kommen! Daran merkt man: Wenn man in Kinder und Familien investiert, kommt das übers Ehrenamt wieder zurück.

die:gemeinde:
Gibt es kommunale Angebote speziell für Jugendliche?

Volk:
Wir haben einen Jugendtreff, der allerdings während der Pandemie stark gelitten hat. Wir haben einen Prozess der Kinder- und Jugendbeteiligung eingeleitet. Mehr als 40 Kinder und Jugendliche beteiligen sich daran. Dabei ging es darum, ganz einfache Dinge umzusetzen. Der erste Vorschlag: sie wollten einen Förderratgeber für finanzschwache Familien erstellen. Man sieht: Wer die Jugend beteiligt, bekommt sehr gute Ideen. Es gibt in Neckargemünd eine Jugendbeauftragte im Rathaus, die sich diesen Aufgaben widmet.

die:gemeinde:
Welche Rolle spielt die Verkehrsinfrastruktur beim Thema Familienfreundlichkeit? Derzeit wird viel über den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs auch im ländlichen Raum gesprochen und über den Ausbau von Radwegen.

Volk:
Auch das gehört explizit zu unseren Vorstellungen. Wir haben 2014 ein Radverkehrskonzept erstellt, das wir Schritt für Schritt umsetzen. Auch den ÖPNV versuchen wir seit einigen Jahren zu verbessern. Der ist allerdings schon sehr gut, es gibt sieben Buslinien in der Stadt. Wir bieten wie bereits erwähnt auch das Jobticket an, was uns sehr wichtig ist. Auch das kostet uns viel Geld – aber ohne ÖPNV kein Klimaschutz. Busverbindungen gibt es in jedem Ortsteil, abends gibt es ein Ruftaxi-Service. Geplant ist außerdem ein Fahrradparkhaus zwischen Rathaus und Bahnhof.

die:gemeinde:
Auf Ihrem zweiten Platz im Ranking wollen Sie sich bestimmt nicht ausruhen. Was ist in Neckargemünd in Sachen Familienfreundlichkeit denn in den kommenden Jahren geplant?

Volk:
Ein zweiter Platz ist eine gute Ausgangslage, weil wir uns ja noch um einen Patz verbessern können!
Ziel des Gemeinderats und der Verwaltung ist es, das hohe Niveau zu halten und auszubauen. Und uns bei jedem Schritt weiterhin zu fragen: ist es familienfreundlich und trägt es zum Klimaschutz bei?

Im Ranking wurde neben der Vielzahl an Schulen unter anderem auch die niedrige Schulabbrecherquote erwähnt. Das kommt nicht von ungefähr: Wir haben die Schulsozialarbeit in den vergangenen Jahren kontinuierlich ausgebaut, so dass mittlerweile an jeder Schule ein solches Angebot besteht. Auch das ist ein wesentlicher Faktor, bei dem wir nicht nachlassen.