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Wie die Mobilitätswende im Ländlichen Raum gelingen kann

Die Landesregierung hat sich in Sachen Verkehrswende ehrgeizige Ziele gesetzt. Die Skepsis ist jedoch groß, was ihre Umsetzbarkeit im Ländlichen Raum angeht. Dass man auf dem Land eben ein Auto braucht, um von A nach B kommen, ist eine weit verbreitete Meinung und wird selbst von umweltbewussten Menschen nicht abgestritten. Wie trotzdem mehr öffentlicher Nahverkehr in die Fläche kommen kann, hat Verkehrsminister Winfried Hermann am Freitag in der Online-Veranstaltung "Verkehrswende im Ländlichen Raum jetzt!" gesagt, einer Veranstaltung der Akademie Ländlicher Raum.

In der gut besuchten Veranstaltung - darunter viele Bundestags- und Landtagsabgeordnete - zeichnete Hermann das Bild eines  Verkehrssystems, das im aktuellen Zustand an verschiedenen Krankheiten leidet. Die starke Dominanz der Verbrenner-Autos belasteten Umwelt und Klima. Der Straßenbau habe einen großen Flächenverbrauch verursacht und sei darüber hinaus sehr teuer. Der Flächenverbrauch zeigt sich aber auch an den Straßenrändern, wo viele Autos tagelang unbenutzt im öffentlichen Raum stünden.

Baden-Württemberg: Elf Millionen Einwohner, mehr als 30 Millionen Autositze

In Baden-Württemberg gebe es fast sieben Millionen Fahrzeuge mit durchschnittlich fünf Sitzen. Hochgerechnet lande man bei gut 30 Millionen Sitzen - bei elf Millionen Einwohnern im Land. "Da stimmt etwas nicht", konstatierte Hermann. Auf dem Land gehe der Trend nicht zum Zweitauto, sondern zum Dritt- oder Viertauto. Gleichzeitig sei der Anteil des Fuß- und Radverkehrs gering. Für den öffentlichen Verkehr, Nahverkehr inbegriffen, gelte das selbe.

Hermann: Verkehrswende müsse Projekt Aller werden, um zu funktionieren

Das Land wolle bis 2040 klimaneutral sein, sagte Hermann, und damit früher als der Bund, der dieses Ziel fünf Jahre später (2045) erreichen will. Hermann unterteilte den Oberbegriff der Verkehrswende in die Antriebswende einerseits, also den Wechsel vom Verbrennermotor hin zur Batterie oder zu synthetischen Kraftstoffen. Andererseits in die Mobilitätswende: Dabei gehe es darum, die effizientesten, klimafreundlichsten Verkehrsmittel zum Zuge kommen zu lassen, und Mobilitätsmuster zu verändern. "Das wird nur funktioneren, wenn es das Projekt Aller wird", so Hermann. 

Die fünf verkehrspolitischen Ziele der Landesregierung 

Die fünf verkehrspolitischen Ziele der Landesregierung sind folgende:

  1. Bis 2030 will man die Fahrgastzahlen im ÖPNV verdoppeln
  2. Bis 2030 soll mindestens jedes dritte Auto mit klimaneutralen Technologien angetrieben werden
  3. Möglichst viele Wege sollen im Nahbereich selbst aktiv zurückgelegt werden, also zu Fuß oder mit dem Rad
  4. In den Städten sollen deutlich weniger Autos als bisher unterwegs sein
  5. Jede dritte Tonne solle klimaneutral transportiert werden

Hermann: Für Ländlichen Raum gelten andere Maßstäbe als für Ballungszentren

Freilich müsse man den Ländlichen Raum mit anderen Maßstäben bewerten als urbane Ballungsräume, räumte Hermann ein. Es brauche eine andere Analyse. "Einige Dinge sind auf dem Land doch sehr anders", so der Verkehrsminister. Er nannte die dünne Besiedlung und die daraus resultierende geringere Zahl an Menschen, die transportiert werden wollten. Siedlungen seien zerstreuter, Arbeitswege in der Regel länger. Die Versorgungsstruktur sei anders. Der öffentliche Nahverkehr oft kaum vorhanden. "Manchmal gibt es nur noch Schülerverkehr mit wenigen Ergänzungen, meist kein durchgängiges Angebot. Carsharing ist selten", so Hermann.

Stadt- und Dorfentwicklungspolitik als Teil der Mobilitätspolitik 

Deshalb müssen man bei der Stadt- und Dorfentwicklungspolitik ansetzen, die Hermann explizit als Teil der Mobilitätspolitik bezeichne. "Die Basisversorgung müsse da sein. Sonst heißt es automatisch: Ins Auto steigen und bis in die nächste Stadt fahren." Als Beispiel nannte Hermann Projekte, bei denen Bürger die letzte Gaststätte eines Ortes zu einem Laden umfunktioniert hätten, der genossenschaftlich organisiert sei.

Hermann: Kommunen brauchen mehr Möglichkeiten, sich Finanzmittel zu erschließen

Die im Koalitionsvertrag festgelegte "Mobilitätsgarantie" sei ein Leitbild für die Gemeinden. Es solle aufzeigen, dass man den ÖPNV so organisieren könne, dass man auch ohne Auto umfassend mobil sein könne. Das könne mit öffentlichen oder "para-öffentlichen" Verkehrsmitteln geschehen, so Hermann, der diesen Begriff nicht weiter erläuterte. Bis 2030 soll es auch im Ländlichen Raum einen Halbstundentakt geben. Hermann rief in diesem Zusammenhang die Kommunen auf, sich stärker zu einzubringen. Die Kommunen müssten die Möglichkeit erhalten, zusätzliche Finanzmittel zu erschließen, um den ÖPNV auszubauen. 

Mobilitätspass: Drei mögliche Varianten 

Er selbst kämpfe auf Bundesebene für mehr Gelder. So forderte Hermann, dass die Regionalisierungsmittel dringend erhöht werden müssten. Eine wichtige Weichenstellung sieht der Verkehrsminister im Mobilitätspass, für den man nun eine gesetzliche Grundlage schaffen wolle. Darunter versteht man eine Abgabe, die Kommunen und Zweckverbände von den Bürgern erheben können, um damit den Ausbau des ÖPNV zu finanzieren.

Dabei gibt es drei Möglichkeiten:

  • Kommunen und Zweckverbände erheben die Abgabe bei allen Bürgern  ("Bürgerticket")
  • Sie erheben die Abgabe von allen KfZ-Haltern ("Nahverkehrsabgabe")
  • Sie erheben die Abgaben als Maut von den Nutzern der Straßen, also auch von Pendlern

15 Kommunen oder Zweckverbände hätten sich bislang gemeldet und Interesse an der Erhebung einer solchen Abgabe bekundet, sagte Hermann. Diese ersten Bekundungen ließen darauf schließen, dass das Bürgerticket und die Nahverkehrsabgabe favorisiert würden. Hermann betonte bei der Gelegenheit, dass man den Kommunen die Höhe der Abgabe nicht vorschreiben werde. Dafür seien die Bedarfe vor Ort zu unterschiedlich.