Tourismus-Boom in Baden-Württemberg ist Fluch und Segen für Kommunen
Der Tourismus in Baden-Württemberg hat sich in den letzten vier Jahrzehnten kontinuierlich entwickelt und einen neuen Rekord an Übernachtungen im Jahr 2023 erreicht. Die Coronapandemie, die den Sektor stark beeinträchtigte, scheint überwunden zu sein. Dennoch zeigt sich, dass der Erfolg auch Schattenseiten hat, insbesondere durch den Übertourismus in bestimmten Regionen.
Historische Entwicklung und aktuelle Trends
Seit 1984 hat der Tourismus in Baden-Württemberg stark zugenommen. Die Zahl der Übernachtungen stieg von 33,2 Millionen im Jahr 1984 auf 57,5 Millionen im Jahr 2023. Dieser Anstieg verdeutlicht die zunehmende Bedeutung des Tourismus für das Bundesland. Trotz einiger Rückschläge, wie in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren sowie während der Coronapandemie, setzt sich der positive Trend laut einer Bilanz des Statistischen Landesamts fort.
Ein bemerkenswerter Aspekt ist die durchschnittliche Aufenthaltsdauer, die von 3,7 Tagen im Jahr 1984 auf 2,5 Tage im Jahr 2023 gesunken ist. Diese Verkürzung der Aufenthalte deutet auf veränderte Reisegewohnheiten hin. Während der Pandemie verlängerte sich die Aufenthaltsdauer kurzfristig, was auf den Rückgang von Geschäftsreisen zurückzuführen sein könnte.
Der Aufschwung 2023
Das Jahr 2023 brachte einen neuen Höchstwert an Übernachtungen, der das Vorkrisenniveau übertraf. Trotz der Herausforderungen durch die Pandemie erholte sich der Sektor schnell. Besonders bemerkenswert ist der Zuwachs an Übernachtungen von Gästen aus dem Ausland, der fast wieder das Niveau von 2019 erreichte.
Die Zahl der Beherbergungsbetriebe ging jedoch zurück. Von 7.450 Betrieben im Jahr 1984 sank die Zahl auf 6.189 im Jahr 2023. Diese Entwicklung deutet auf eine Konsolidierung des Marktes hin, wobei größere Betriebe zunehmend dominieren.
Herausforderungen durch Übertourismus
Der Erfolg des Tourismus in Baden-Württemberg bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich. Regionen wie der Bodensee und der Hochschwarzwald leiden unter Besucherströmen, die zu Belastungen für Infrastruktur und Umwelt führen. Der Tourismusexperte Christian Buer von der Hochschule Heilbronn warnte vor Kurzem im SWR vor einem drohenden Übertourismus in manchen Regionen im Südwesten und schlug vor, die Besucherzahlen zu regulieren.
Das betreffe vor allem Ortschaften im Hochschwarzwald, am Bodensee, sowie Städte wie Heidelberg und Konstanz. Allerdings sagte Buer, Baden-Württemberg sei von Verhältnissen wie jenen in Barcelona noch weit entfernt. In der katalanischen Metropole richtet sich die Wut der Bevölkerung über den Massentourismus mittlerweile offen und mitunter handgreiflich gegen ausländische Touristinnen und Touristen. Baden-Württembergs Wirtschafts- und Tourismusministerin Nicole Hoffmeister-Kraut hält es für sinnvoll, dass die Kommunen vor Ort entscheiden, wie sie mit den Spitzenbelastungen umgehen. Sie betont, dass der Tourismus für die lokale Bevölkerung verträglich bleiben muss.
Ungleiche Verteilung der Touristenströme
Während einige Regionen unter den Besucherströmen ächzen, kämpfen andere, wie die Ostalb oder Hohenlohe, mit einem Mangel an Touristen. Die Auslastung der Beherbergungsbetriebe in diesen Regionen liegt weit unter dem Landesdurchschnitt. Verantwortliche vor Ort fordern mehr Unterstützung und Fördermittel vom Land, um ihre touristische Attraktivität zu steigern. Christian Buer argumentiert gegenüber dem SWR, dass höhere Fördermittel und eine überregionale Vermarktungsstrategie notwendig wären, um auch weniger frequentierte Regionen zu fördern.
Airbnb verschärft die Situation
Der zunehmende Trend zur Vermietung von Wohnungen über Plattformen wie Airbnb und Booking.com verschärft die Wohnraumsituation in Baden-Württemberg. Städte wie Konstanz und Heidelberg sehen die unkontrollierte Vermietung kritisch, da sie zu einer Zweckentfremdung von Wohnraum führen kann. Trotz bestehender Regelungen und Bußgelder für Verstöße ist die Kontrolle schwierig. Oft übersteigt die Anzahl der Inserate die offiziell angemeldeten Ferienwohnungen deutlich. Besonders betroffen sind beliebte Urlaubs- und Universitätsstädte, wo die Mietpreise steigen und immer weniger Wohnraum zur Verfügung steht. Auch in Barcelona, dem europäischen Epizentrum des Protests gegen Tourismus, ist das ein Hauptproblem.
Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) bestätigt, dass die steigende Zahl von Ferienwohnungsangeboten auf Plattformen wie Airbnb die Mietpreise in die Höhe treibt. Städte in Baden-Württemberg reagieren unterschiedlich auf diese Herausforderung, einige haben bereits Maßnahmen zur Regulierung ergriffen. Dennoch bleibt die Kontrolle komplex, da Plattformen wie Airbnb oft keine Kundendaten weitergeben. Experten und der Deutsche Mieterbund fordern daher strengere Gesetze und mehr Ressourcen zur Durchsetzung der Regelungen, um den Wohnraum wieder vermehrt der dauerhaften Nutzung zuzuführen.