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Straßenverkehrsgesetz: Reaktionen auf das Aus für die Novelle

Der Bundesrat hat die vom Bundestag beschlossene Novelle des Straßenverkehrsgesetztes (StVG) gestoppt. Eine Entscheidung über die Änderung der Straßenverkehrsordnung (StVO) ist damit erst einmal vom Tisch, beide Gesetze können nicht in Kraft treten. die:gemeinde fasst Reaktionen zusammen.

Der Kern der angestrebten Straßenverkehrsreform in Deutschland war darauf ausgerichtet, den Kommunen mehr Flexibilität und Handlungsspielraum in der Verkehrsgestaltung zu geben. So sollten sie mehr Spielraum erhalten, um Tempo-30-Zonen einzurichten, insbesondere in der Nähe von Schulen und Kindertagesstätten​​. Auch Spielstraßen und Sonderfahrspuren – also spezielle Spuren für Busse und Fahrräder – sollten Kommunen leichter einführen können. Dies würde auch die Einrichtung von Sonderspuren für Fahrzeuge mit alternativen Antrieben ermöglichen​​.

Städte und Gemeinden sollten zudem mehr Flexibilität bei der Regelung von Anwohnerparkplätzen erhalten. Die Kommunen sollten in ihren Entscheidungen nicht mehr ausschließlich die Verkehrssicherheit und das zügige Vorankommen berücksichtigen, sondern auch Aspekte des Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutzes einbeziehen​​. Doch die Reform ist erst einmal gescheitert. Während das Ergebnis vielerorts Entsetzen auslöste – vor allem beim Zusammenschluss der bundesweit mehr als 1.000 Kommunen, darunter viele aus Baden-Württemberg, der die Reform mit vorangetrieben hatte – begrüßen andere die Entwicklung.

Baden-Württemberg enthielt sich 

Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme empfohlen, dass neben den Bewohnern auch gebietsansässige Unternehmen sowie Institutionen und Organisationen für ihre betriebsnotwendigen Fahrzeuge regelhaft Parkbevorrechtigungen erhalten können. Dieser Vorschlag wurde jedoch von der Bundesregierung abgelehnt. Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann hatte vor der Abstimmung eindringlich für die Novelle geworben. Allerdings enthielt sich Baden-Württemberg bei der Abstimmung, weil sich die Landesregierung nicht auf eine Position einigen konnte.



„Wir können den über 1.000 Kommunen der Initiative nicht vermitteln, warum weiter verhindert wird, dass Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung ins Straßenverkehrsrecht aufgenommen werden“, sagteThomas Dienberg, Sprecher der Initiative „Lebenswerte Städte und Gemeinden“ und Bürgermeister für Stadtentwicklung und Bau der Stadt Leipzig. „Jetzt müssen schnell Lösungen her, damit der enttäuschende Umgang mit dem Straßenverkehrsrecht nicht seinen Teil zur Politikverdrossenheit beiträgt.“

„Die geplante Straßenverkehrsrechtsreform hätte die Forderungen der Kommunen bei weitem nicht alle erfüllt, sondern vor allem künftigen Verbesserungen den Weg geebnet. Dass gerade im Bundesrat dieser schmale Einstieg zur Veränderung keine Mehrheit findet, können die für eine Verkehrs- und Mobilitätswende und für sicheren Straßenverkehr engagierten Menschen sicher nicht verstehen“, ergänzt Frauke Burgdorff, stellvertretende Sprecherin der Initiative und Stadtbaurätin in Aachen. „Aber nun erst recht! Die Initiative wächst weiter kräftig. Wir werden uns mit der Unterstützung unserer Kommunen im Rücken künftig noch mehr ins Zeug legen, damit die Versprechungen aus dem Koalitionsvertrag bald erfüllt werden.“

ZDK: Handwerk und Gewerbe fehlen schon heute Stellplätze

So lobte der Präsident des Zentralverbands Deutsches Kraftfahrzeuggewerbes (ZDK), Arne Joswig, die Ablehnung. „Handwerk und Gewerbe wären sonst mit dieser Novelle mehr und mehr aus der Stadt verdrängt worden. Den Mitarbeitenden fehlen bereits heute ausreichende Stellplätze und die Anfahrtswege werden immer länger. Das ist kostbare Zeit, die für Kundinnen und Kunden fehlt“, sagte Joswig.

Ein Miteinander in den Ballungsräumen könne nur funktionieren, wenn Betriebe und Pendler nicht diskriminiert würden, ergänzte der ZDK-Präsident. „Aufgrund unzureichender Angebote des ÖPNVs sowie fehlender Umsteigehubs an der Peripherie sind Berufspendler auf das Automobil angewiesen. Hier werden die Kommunen völlig unzureichend in die Pflicht genommen, auch für Alternativen wie beispielsweise Park-and-Ride-Systeme zu sorgen“, kritisierte Joswig.

VCD: Unionsgeführte Länder lassen Kommunen im Stich

Eine gegensätzliche Reaktion kam erwartungsgemäß vom Verkehrsclub Deutschland (VCD). Die Bundesvorsitzende Kerstin Haarmann kritisierte, die CDU-geführten Bundesländer hätten das Gesetz aus parteipolitischen Erwägungen scheitern lassen. „Damit haben sie ein modernes Verkehrsrecht und mehr Verkehrssicherheit verhindert und lassen ihre Kommunen im Stich“, sagt Haarmann. Durch die „Blockade“ müssten Städte und Gemeinden vorerst darauf verzichten und sich weiterhin dem veralteten, obrigkeitsstaatlichen und bürokratischen Straßenverkehrsrecht aus der Kaiserzeit unterwerfen, wetterte Haarmann.

„Jetzt sollten sich vor allem die Städte mit Bürgermeister*innen von CDU und CSU an ihre Landesregierungen wenden und sie auffordern, ihren Widerstand aufzugeben und rasch eine konstruktive Lösung zu finden. Denn nur so sind Maßnahmen für mehr Klima- und Umweltschutz möglich und das Unfallrisiko für Kinder, Ältere sowie Fuß- und Radfahrende kann verringert werden. Das sollte doch auch im Sinne von CDU und CSU sein“, sagte die Bundesvorsitzende.

ADFC: Verhalten der Länder „rückständig und unverantwortlich“

Der ADFC-Bundesvorsitzende Frank Masurat bezeichnete die Entscheidung als „unfassbar“. „Sowohl das Bundesverkehrsministerium als auch der Verkehrsausschuss im Bundesrat haben sich klar dafür ausgesprochen, dass der Radverkehr mehr Platz braucht – und um Zustimmung für die Reform des Straßenverkehrsgesetzes geworben. Trotzdem haben neun Bundesländer der dringend notwendigen Reform in letzter Minute die Zustimmung verweigert“, kritisierte Masurat.

Das Verhalten dieser Bundesländer sei rückständig und unverantwortlich: „Es gefährdet die Sicherheit des Radverkehrs, es gefährdet den zügigen Ausbau der Radwegenetze, es gefährdet die Schaffung klimaresilienter Kommunen. Bund und Länder müssen jetzt im Vermittlungsausschuss schnell eine Lösung finden, wie die Reform noch umgesetzt werden kann – wie im Koalitionsvertrag vorgesehen.“

Agora Energiewende: „Schwerer Schlag für Gemeinden“

Als „schweren Schlag für Städte, Gemeinden und Kreise“ bezeichnete Christian Hochfeld, Direktor des Thinktanks Agora Energiewende, das Scheitern. Der geltende Rechtsrahmen gelte schon seit Langem als großes Hindernis für bessere Mobilität und lebenswerte Städte. Durch das Scheitern der Reform seien die Handlungsspielräume der Kommunen bei zahlreichen Vorhaben zur Verbesserung von Gemeinwohl und Lebensqualität weiterhin stark eingeschränkt, kritisierte Hochfeld weiter.