Fünf vor zwölf: Das neue Kommunalbarometer zeigt, wie sich die Finanzlage der Städte und Gemeinden immer stärker zuspitzt.
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Ruf nach Hilfe bei Finanzproblemen

In einer aktuellen Umfrage des baden-württembergischen Gemeindetags äußern Bürgermeisterinnen und Bürgermeister erhebliche Sorgen über die finanzielle Lage ihrer Kommunen und fordern dringende Unterstützung vom Bund. 

Der Gemeindetag Baden-Württemberg hat in den vergangenen Tagen eine breit angelegte Umfrage unter den Städten und Gemeinden durchgeführt. Am sogenannten BW-Kommunalbarometer haben sich die Oberbürgermeisterinnen, Oberbürgermeister, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus 685 Städten und Gemeinden beteiligt.

Dringender Handlungsbedarf bei Kommunalfinanzen

Laut der Umfrage sehen 81,5 Prozent der Befragten die Stärkung der Kommunalfinanzen als vorrangige Aufgabe für die neue Bundesregierung. 81 Prozent, sprich vier von fünf Kommunen, erachten es als die dringlichste Maßnahme der neuen Bundesregierung die Kommunalfinanzen zu stärken. Es brauche wirksame und schnelle Lösungen, um die dramatische Schieflage der Kommunalfinanzen zu stabilisieren. 

Fokus auf Umsetzbarkeit und Kernaufgaben

Die Umfrage zeigt auch, dass 47,6 Prozent der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister eine stärkere Ausrichtung politischer Entscheidungen an der Umsetzbarkeit vor Ort und den verfügbaren Ressourcen fordern. Nach der Stärkung der Kommunalfinanzen fordern die Städte und Gemeinden laut Kommunalbarometer als weitere Priorität, dass die Bundesregierung Entscheidungen stärker an den Ressourcen und Realitäten vor Ort ausrichtet. Kurzfristig gehe das nur durch mehr Geld für die Städte und Gemeinden. Mittelfristig brauche es eine ehrliche gesamtstaatliche Reform mit dem Ziel auf der Grundlage der verfügbaren Ressourcen erfüllbare staatliche Aufgabenbestand zu definieren. Auf Dauer können wir den Staat nicht über Verschuldung finanzieren.

Eine klare Botschaft richten die Kommunen in der Umfrage an das neue Bundesministerium für Verwaltungsmodernisierung: 93 Prozent der Kommunen sehen in Bürokratieabbau und Verwaltungsmodernisierung das drängendste Thema – noch vor Migrationspolitik (69 Prozent) und Digitalisierung (40 Prozent).

Zudem sprechen sich 84,4 Prozent der Befragten für eine Konzentration des Staates auf Kernaufgaben und die Daseinsvorsorge aus. Die befragten Kommunen halten folgende Maßnahmen für einen spürbaren Politikwechsel für erforderlich: 84 Prozent fordern, dass sich der Staat auf seine Kernaufgaben und die Daseinsvorsorge konzentriert. 67 Prozent wünschen sich eine verlässliche und klare Kommunikation mit den Bürgern. Eine Konsolidierung konsumtiver Ausgaben (60 Prozent) sowie zugleich eine hohe Priorität auf Verteidigungsfähigkeit (36 Prozent), halten die Städte und Gemeinden für dringend geboten.

Potenziell verheerende Auswirkungen auf das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat

Gemeindetagspräsident Steffen Jäger findet in Anbetracht der Umfrage deutliche Worte zur Haushaltslage der Kommunen: „Die Kommunen in Baden-Württemberg haben im Jahr 2024 ein Defizit von mehr als drei Milliarden Euro in den laufenden Haushalten erlitten. Die Vorzeichen für 2025 sind nochmals düsterer“, warnt er. Angesichts dieser Entwicklung sei die kommunale Aufgabenerfüllung ernsthaft gefährdet – mit potenziell verheerenden Auswirkungen auf das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat.

Jäger fordert deshalb, die Gespräche über eine Reform der Finanzverfassung, eine echte Konnexität (also eine vollständige Gegenfinanzierung neuer Aufgaben durch den Gesetzgeber) sowie über eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung sofort zu beginnen. „Die Kommunen brauchen einen größeren Anteil an den Gemeinschaftssteuern – und das schnell“, so Jäger.

Besonders dringlich sei auch das Thema Verwaltungsmodernisierung: „Gerade auch für die Glaubwürdigkeit von Politik und das Wiederankurbeln der ins Stocken geratenen Konjunktur braucht es jetzt einen klaren Entbürokratisierungsplan und wirksame Maßnahmen.“ Bürokratieabbau sei die Grundlage für staatliche Handlungsfähigkeit und wirtschaftlichen Aufschwung.

Darüber hinaus mahnt Jäger einen ehrlicheren Umgang mit den politischen Realitäten an: „Die aktuell bestehenden gesamtstaatlichen Leistungszusagen übersteigen die staatliche Leistungsfähigkeit. Deutschland – und auch Baden-Württemberg – hat über Jahre, ja sogar Jahrzehnte, über seine Verhältnisse gelebt. Anspruch und Wirklichkeit müssen wieder in Einklang gebracht werden.“

Sein Fazit fällt entsprechend deutlich aus: „Dieses Barometer ist mehr als eine Stimmungsabfrage. Es ist ein Weckruf, ein ehrliches Lagebild und ein Auftrag an alle, die politische Verantwortung tragen.“

Hintergrund und Detaillierte Ergebnisse

An der Umfrage der 1.065 Mitgliedsstädte und -gemeinden im Zeitraum 6. Mai 2025 bis 9. Mai 2025 haben sich 685 Kommunen beteiligt. Unter anderem wurden folgende Fragen gestellt:

„Was sollte die neue Bundesregierung aus Sicht Ihrer Kommune als Erstes anpacken?“
(Mehrfachnennung: max. 2 Antworten)

  • Kommunalfinanzen stärken (Reform der Finanzverfassung, echte Konnexität, Investitionsfähigkeit wiederherstellen): 558 (81,46%)
  • Politische Entscheidungen wieder stärker auf Umsetzbarkeit vor Ort und verfügbaren Ressourcen ausrichten: 326 (47,59%)
  • Mehr echte kommunale Selbstverwaltung statt neuer Förderprogramme und engere Standards (Weniger Aktionismus, mehr Freiraum für kommunale Lösungen.): 313 (45,69%)
  • Planungs- und Genehmigungsprozesse beschleunigen (Vom Wohnungsbau bis zur Energie- und Wärmewende. Verfahren einfacher und schneller machen.): 134 (19,56%)
  • Andere: 12 (1,75%)

„Welche Themen sollte die neue Bundesregierung aus Sicht Ihrer Kommune als Erstes angehen?“
(Mehrfachnennung: max. 3 Antworten)

  • Bürokratieabbau und Verwaltungsmodernisierung: 638 (93,14%)
  • Migrationspolitik: 474 (69,2%)
  • Digitalisierung: 275 (40,15%)
  • Wohnungsbau: 203 (29,64%)
  • Klimaschutz und Klimawandelanpassung: 93 (13,43%)
  • Andere 52 (7,59%)

„Was sind geeignete Instrumente, um den angekündigten Politikwechsel bzw. die Zeitenwende zum Ausdruck zu bringen?"
(Mehrfachnennung: max. 3 Antworten)

  • Fokussierung des Staates auf Kernaufgaben und Daseinsvorsorge: 578 (84,38%)
  • Ehrliche Kommunikation gegenüber den Bürgern („reinen Wein“): 458 (66,86%)
  • Konsolidierung der konsumtiven staatlichen Ausgaben: 408 (59,56%)
  • Hohe Priorität auf Verteidigungsfähigkeit legen: 248 (36,20%)
  • Höhere Wochenarbeitszeit / längere Lebensarbeitszeit: 102 (14,89%)
  • Andere 29 (4,23%)
  • Steuererhöhungen: 12 (1,75%)