© Adobe Stock

Neun-Euro-Ticket: Booster oder Boomerang für Bus und Bahn?

Der Countdown für das 9-Euro-Ticket läuft. Von Juni an können Bürgerinnen und Bürger drei Monate lang für neun Euro pro Monat durchs Land fahren. Befürworter einer Verkehrswende hin zu nachhaltiger Mobilität attestieren diesem beispiellosen Versuch großes Potenzial. Andere wie die Verbraucherzentrale sind skeptischer und warnen, das Ticket könne ein "Abschreckangebot" werden. die:gemeinde hat Meinungen von Kommunen im Land eingeholt.

Was kann das Neun-Euro-Ticket wirklich bewirken? Wird es zum Umdenken beitragen und mehr Menschen auch langfristig für den ÖPNV gewinnen? Oder werden überfüllte Busse und Bahnen genau das Gegenteil bewirken? Klar ist schon jetzt: für viele Verkehrsverbünde kam die Entscheidung der Bundesregierung überraschend, angesichts stark steigender Energiepreise den ÖPNV radikal zu vergünstigen.

Balingen über Neun-Euro-Ticket: Erwarten keine signifikanten Auswirkungen

Was prognostizieren die Verantwortlichen in den Städten und Gemeinden im Land, vor allem jene im Ländlichen Raum, wo die Bürgerinnen und Bürger weiterhin stark auf den motorisierten Individualverkehr, sprich aufs Auto, setzen? In Balingen glaubt man nicht an wesentliche Effekte des Neun-Euro-Tickets. "Da im ländlichen Raum das ÖPNV-Angebot naturgemäß hauptsächlich auf den Schülerverkehr ausgerichtet ist und die Schüler ja bisher schon zum größten Teil mangels Führerschein oder Fahrzeug mit dem ÖPNV unterwegs sind, rechne ich mit keinen signifikanten Auswirkungen auf den Individualverkehr", sagt Jürgen Luppold, persönlicher Referent von Bürgermeister Emilio Verrengia.

Überlingen über Neun-Euro-Ticket: Begrüßen die Einführung, aber...

Allerdings, so Luppold, könnte es im Stadtverkehr zu einer stärkeren Nutzung der Busse kommen, die seit Kurzem im Halbstundentakt fahren. Das sei wünschenswert, so der Referent. Die Stadt Überlingen begrüße die Einführung des Tickets grundsätzlich, sagt Sprecherin Andrea Winkler auf Anfrage gegenüber die:gemeinde. Allerdings müsse man den langfristigen Effekt verbunden mit der Umsetzung kritisch hinterfragen. Was meint sie damit? 

Überlingen: Bestehende Förderkapazitäten müssen steigende Nachfrage abdecken

"Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen die Ukraine hat sehr schnell die globalen Auswirkungen am Energiemarkt offengelegt. Nun soll der schnelle Preisanstieg bei den Brenn- und Kraftstoffen durch die Einführung von Sofortmaßnahmen gemildert werden. Bezogen auf den Nahverkehr wird sich nur dann eine Verringerung des motorisierten Individualverkehrs einstellen, wenn sich keine Verschlechterung an den Beförderungsmöglichkeiten und der -qualität ergibt. Sollte der Zuwachs durch die bestehenden Förderkapazitäten nicht benutzerfreundlich abgedeckt werden können, wird das Sparticket keinen langfristigen Erfolg einfahren", führt Winkler aus.

Überlingen: Gesetzgeber hat regionale Nahverkehrsbetriebe nicht frühzeitig eingebunden

Ihr konkreter Vorwurf: Der Gesetzgeber habe versäumt, die regionalen Nahverkehrsbetriebe frühzeitig mit ins Boot zu nehmen. "Für den Nahverkehr innerhalb von Überlingen wird sicherlich ein Anstieg der Fahrgastzahlen zu verzeichnen sein. Dort jedoch, wo die Taktfrequenz lückenhaft oder unterdurchschnittlich ist, unter anderem bei Linien von unterschiedlichen Nahverkehrsverbünden, kann mit einem Anstieg wohl kaum gerechnet werden", sagt Winkler. Langfristig, glaubt Winkler. würden die Auswertungen zeigen, inwieweit eine Vergünstigung eine Umkehr beim Mobilitätsverhalten der Bürgerinnen und Bürger hervorruft. "Wünschenswert wäre damit ein Anschub für das viel diskutierte 365-Euro-Jahresticket verbunden", so die Sprecherin.

Verkehrsminister Hermann: Bund muss mehr Geld für ÖPNV-Ausbau bereitstellen 

Auch Verkehrsminister Winfried Hermann sieht Defizite. Das Ticket sei zwar ein "hochattraktives saisonales Angebot, das mehr Menschen zum Umstieg vom Auto auf den Öffentlichen Personennahverkehr bewegen kann", so Hermann. Gleichwohl habe man die Sorge, dass nach Ablauf des Sonderangebots aufgrund steigender Energiekosten die Ticketpreise durch die Decke gingen. Der Verkehrsminister befürchtet also den jähen Absturz nach der kurzen Euphorie. Um diesen zu verhindern, müsse der Bund mehr Geld für den Ausbau des ÖPNV und im regionalen Bahnverkehr. "Was bisher von Seiten des Bundes vorliegt, reicht nicht, um dieses Ziel zu erreichen. Im Entwurf der Bundesregierung für eine Änderung des Regionalisierungsgesetzes fehlt die notwendige Erhöhung", klagt Hermann.

Verbraucherzentrale: Fehlende Kapazitäten könnten zu Engpässen führen 

Verbraucherschützerin Jungbluth warnte mit Blick auf die operative Umsetzung, gerade im Sommer könnten fehlende Kapazitäten zu Engpässen führen, wenn Verbraucher Ausflugsfahrten vom Auto auf Busse und Bahnen verlagern - und diese in den Sommermonaten und an Wochenenden sowieso schon mehr als voll seien. „Das Schnupperangebot könnte also zum Abschreckungsangebot werden.“ Die Mobilitätsexpertin des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, Marion Jungbluth, befürchtet, dass das Ticket zum "Abschreckangebot" werden könnte. Der dpa sagte sie, dass im Sommer fehlende Kapazitäten zu Engpässen führen könnten. Trotzdem glaubt die Expertin, dass das Ticket zum "Booster für Bus und Bahn" werden könne. Ein Grund dafür sieht sie in seiner Einfachheit, die sich von dem oft schwer zugänglichen Tarifdschungel der Verkehrsverbünde absetzt.