Motiviert und gut vorbereitet: Die Pilotklasse des „Direkteinstieg Kita“-Programms an der Helen-Keller-Schule in Weinheim.
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Neue Perspektiven

Das Programm „Direkteinstieg Kita“ soll dem akuten Fachkräftemangel in Kitas entgegenwirken – und stößt auf wachsendes Interesse. Zwar gibt es bei manchen Trägern noch Vorbehalte gegenüber dem Quereinstieg, doch die Praxis zeigt: Viele bringen genau das mit, was Kitas brauchen.

In Kindertagesstätten in Deutschland herrscht ein gravierender Mangel an pädagogischem Personal. Laut dem Kita-Bericht 2024 des Paritätischen Gesamtverbands fehlen bundesweit über 125.000 Fachkräfte. Umgerechnet sind das im Schnitt 2,6 unbesetzte Stellen pro Einrichtung. In Baden-Württemberg steigt zudem jährlich die Zahl der zu betreuenden Kinder.

Von politischer Seite wurden Maßnahmen ergriffen, um dieser Entwicklung entgegenzusteuern. Bereits 2023 setzte das Land das Programm „Direkteinstieg Kita“ auf, das das Kultusministerium gemeinsam mit der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit ins Leben rief. Ziel: Neue Zielgruppen für die Arbeit mit Kindern gewinnen.

Direkteinstieg Kita: Neuer Weg zur sozialpädagogischen Qualifizierung

Gezielt sollten damit berufserfahrene Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger angesprochen werden, die sich beruflich neu orientieren möchten. Ein zentraler Anreiz ist, dass die berufsbegleitende Ausbildung zum Fachpersonal innerhalb des Programms nicht nur auf zwei Jahre verkürzt ist, sondern auch vergütet wird. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten eine Vergütung nach TVöD (S2, Stufe 2) und die Arbeitgeber profitieren von Förderungen über die Arbeitsagentur, etwa in Form von Bildungsgutscheinen und Lohnkostenzuschüssen.

Das Programm schuf einen neuen Weg zur sozialpädagogischen Qualifizierung: Nach einem Jahr erhalten Teilnehmende ein Zertifikat als „Schulkindbetreuer/in“, nach zwei Jahren den Abschluss als „sozialpädagogische/r Assistent/in“. Die anschließende Erzieherausbildung kann bereits im zweiten Jahr vorbereitend starten – in der Regel ist der Abschluss als „staatlich anerkannte/r Erzieher/in“ nach rund vier Jahren möglich.

Das Interesse, über diesen Weg den Beruf aufzunehmen, steigt. Mittlerweile nimmt das Direkteinsteiger-Programm Fahrt auf: Laut Zahlen der Arbeitsagentur nahmen im Schuljahr 2023/24 620 Personen daran teil, verteilt auf 24 Standorte. Ein Großteil der Teilnehmenden – nämlich 88 Prozent – war über dreißig Jahre alt. Alle verfügten bereits über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder ein Studium. Ein Jahr später, im Schuljahr 2024/25, erhöhte sich die Zahl der Standorte auf 42, darunter befanden sich 13 im ländlichen Raum. Insgesamt begannen 1.167 Personen die Ausbildung, 536 davon befinden sich bereits im zweiten Ausbildungsjahr. Die Abbruchquote nach dem ersten Jahr lag mit 13,5 Prozent recht niedrig.

Die Teilnehmenden bringen vielfältige Bildungshintergründe mit: Etwa ein Drittel hat einen Hauptschulabschluss, zwei Drittel einen mittleren Abschluss oder (Fach-)Abitur. Rund 21 Prozent verfügen über ein Studium, wobei fast die Hälfte dieser Studienabschlüsse im Ausland erworben wurde. Voraussetzung für die Teilnahme an der Direkteinstieg-Initiative ist ein Hauptschulabschluss in Kombination mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung oder einem Studium sowie ein Ausbildungsvertrag mit einem Kita-Träger. Gerade Letzteres stellt für viele Interessierte eine der größten Hürden dar. Wie Fachverbände berichten, haben Trägereinrichtungen trotz der attraktiven finanziellen Rahmenbedingungen fachliche Vorbehalte und bevorzugen es, Stellen mit vollständig ausgebildeten Fachkräften zu besetzen – obwohl diese schwer zu finden sind.

Lebenserfahrung wird geschätzt

Auch Sabrina Delker hat von der Problematik gehört. Die 44-jährige Herrenbergerin ist eine der Direkteinsteigerinnen. Sie macht ihre Ausbildung im Kinderhaus Dätzweg in Rottenburg. „Man braucht einen Träger, der einen aktiv unterstützt. Bei mir war das zum Glück der Fall“, erzählt sie. „Zuerst habe ich dort als Hilfskraft gearbeitet und danach habe ich darum gebeten, die Ausbildung machen zu dürfen. Sie haben mich in diesem Wunsch bestärkt und alles in die Wege geleitet.“

Delker besucht derzeit die Hilde-Domin-Berufsschule in Herrenberg. Aktuell befindet sie sich im zweiten Jahr in der Ausbildung zur sozialpädagogischen Assistentin. Fachliche Zweifel bei den Direkteinsteigenden kann sie nicht wirklich nachvollziehen. Der Anspruch, der in der Schule an die Teilnehmenden gestellt wird, sei sehr hoch. „Die schulische Ausbildung ist nur sehr komprimiert. Normalerweise dauert die Ausbildung zur Assistentin drei Jahre – bei uns ist sie in verkürzter Form in einen kompakten Bildungsweg integriert.“ Gerade weil viele in ihrer Klasse älter seien, sei das durchaus anspruchsvoll. Aber dadurch, dass viele bereits zuvor Ausbildungen und schulische Herausforderungen gemeistert haben, kämen die meisten gut klar.

Direkteinsteigerin Sabrina Delker (re.) wird von Kitaleiterin Annette Mock (li.) im Kinderhaus Dätzweg in Rottenburg sehr geschätzt.
Direkteinsteigerin Sabrina Delker (re.) wird von Kitaleiterin Annette Mock (li.) im Kinderhaus Dätzweg in Rottenburg sehr geschätzt.

Gerade ihre Lebenserfahrung ist etwas, das in ihrer städtischen Kita besonders geschätzt wird. Delker war über 25 Jahre im Einzelhandel tätig, in diesem Bereich hat sie auch ihre Ausbildung abgeschlossen. Doch der Wunsch nach Veränderung wuchs – vor allem durch ihre Erfahrungen als Mutter. Die Arbeit mit Kindern, als sie in Krabbelgruppen, Sportkursen und später im Kindergarten ehrenamtlich aushalf, weckte in ihr den Wunsch, beruflich neu anzufangen. Als sich die Möglichkeit eines praxisintegrierten Quereinstiegs bot, nutzte sie die Chance. „Ich habe gemerkt, wie viel Freude mir die Arbeit mit Kindern macht“, sagt sie rückblickend. Doch mit ihrer Rolle als Mutter, Ehefrau, einem schulpflichtigen Kind und einem finanziell notwendigen Nebenjob sei es für sie unmöglich gewesen, eine reguläre gering vergütete Ausbildung in Vollzeit zu absolvieren. „Dieses neue Programm war daher genau das Richtige – es passte perfekt zu meiner Lebenssituation“, unterstreicht Delker.

Verkürztes Anerkennungsjahr auf dem Weg zum staatlich geprüften Erzieher

In der Kita Dätzweg ist man sehr froh, sie im Team zu haben – auch wegen ihrer wertvollen Muttererfahrung. Zugleich hat sich mit ihr dort die personelle Situation entspannt. Personal und Gruppengrößen seien in einem vorbildlichen Verhältnis. „Ich habe eine tolle Einrichtung, ein großartiges Team und eine engagierte Leitung. Ich arbeite dort wirklich gern“, sagt sie. Da sie zuvor im Einzelhandel bereits als Führungskraft tätig war, möchte sie sich künftig auch zur Erzieherin weiterbilden.

Direkteinsteiger Klaus Daniel befindet sich bereits auf diesem Weg. Er hat die zweijährige sozialpädagogische Assistenz bereits erfolgreich abgeschlossen und ist nun im verkürzten Anerkennungsjahr auf dem Weg zum staatlich geprüften Erzieher. Der 57-Jährige lebt in Edingen im Rhein-Neckar-Kreis. Seine Ausbildung absolviert er an der Helen-Keller-Schule in Weinheim, begleitet durch die praktische Tätigkeit im Montessori-Zentrum in Heidelberg. Aktuell besucht er zwei Tage pro Woche die Schule und arbeitet drei Tage pro Woche in der Einrichtung.

Vom IT-Beruf in die Pädagogik: Klaus Daniel ist auf dem Weg zum staatlich geprüften Erzieher.
Vom IT-Beruf in die Pädagogik: Klaus Daniel ist auf dem Weg zum staatlich geprüften Erzieher.

Bevor Klaus Daniel den Weg in die Pädagogik einschlug, arbeitete er viele Jahre als IT-Berater. Ursprünglich ist er Maschinenbauer mit Schwerpunkt Elektrotechnik. Erst ein gesundheitlicher Einschnitt – „ein Vorfall im Nackenbereich“, wie er erzählt – zwang ihn zur beruflichen Neuorientierung. In der Reha erinnerte er sich an das, was ihn schon in seiner Jugend begeistert hatte: die Arbeit mit Kindern, besonders im sportpädagogischen Bereich als Fußballtrainer. „Ich habe immer nebenher mit Kindern gearbeitet – sei es in Vereinen, an Ganztagsschulen oder mit Freiwilligendienstleistenden“, berichtet Daniel.

Wer mit ihm spricht, merkt sofort: Fachlich ist er versiert – etwa wenn er verschiedene frühkindliche Bildungsansätze erklärt. Auch er fand die Ausbildung anspruchsvoll. „Da muss man schon Eigeninitiative ergreifen. Aber ich sag mal, für mich war das unproblematisch, weil ich wissbegierig bin und mich auch mit Pädagogik auseinandersetzen wollte“, erklärt er. Er „schnupperte“ bereits in seiner Reha-Phase mit Praktika in pädagogische Einrichtungen hinein und arbeitete in einem Naturkindergarten als Hilfskraft. Als es dann den Direkteinstieg gab, war für ihn und die damalige Einrichtung – mittlerweile ist er nach Heidelberg gewechselt – klar, diesen Weg will er nehmen. „Das Programm hat dazu geführt, dass man dort überhaupt in Betracht gezogen hat, mit mir noch stärker zusammenzuarbeiten.“ Daniel war dann gleich bei dem ersten Modellversuch des Landes dabei.

Sein Arbeitgeber sei nun sehr froh, dass er da ist. Der Quereinstieg über das Pilotprojekt habe nicht nur für ihn neue Perspektiven eröffnet, sondern auch in der Einrichtung die Personaldecke spürbar verbessert. Sein Alter war weder für ihn noch für die Einrichtung je ein Hindernis. „Ich glaube, dass gerade meine Lebenserfahrung in diesem Beruf ein großer Vorteil ist.“ Da er von Anfang an Teil des Programms war, konnte Klaus Daniel miterleben, wie sich die Ausbildung entwickelte. Er ist überzeugt: Fachlich wurde hier ein sehr solides Niveau erreicht. Auch für die Ausbilder sei es eine neue Erfahrung gewesen, nicht wie üblich mit Teenagern oder jungen Erwachsenen zu arbeiten, sondern mit älteren Quereinsteigern. Die Lebenserfahrung kam dort laut Daniel auch überwiegend positiv an. „Bei solchen Modellversuchen muss man anfangs natürlich einiges justieren und Dinge verändern“, sagt er. „Aber am Ende ist etwas sehr Positives entstanden – was man jetzt auch sehen kann: Unheimlich viele Leute interessieren sich dafür, diesen Weg zu gehen.