60 Millionen für Luftfilter in den Schulen
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60 Millionen Euro für Luftfilter - Gemeindetag warnt vor Engpässen

Die vergangenen Wochen haben den Eindruck vermittelt, dass der Kampf gegen das Coronavirus so gut wie gewonnen ist. Doch angesichts der sich schnell ausbreitenden Delta-Variante stellt sich ein mulmiges Gefühl ein, verbunden mit der Frage danach, was der Herbst bringt. Um einen erneuten Schul-Lockdown zu vermeiden, wird das Land nun tätig und stellt den Kommunen für Luftfilter zur Verfügung. All das kommt reichlich spät.

Vor seiner Entscheidung am späten Montagnachmittag war der Druck auf Ministerpräsident Winfried Kretschmann stündlich gewachsen. Vor allem Gewerkschaften wie der Philologenverband und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hatten die Landesregierung zum Handeln aufgefordert. Diesem Druck hat Kretschmann nun nachgegeben. Zusätzlich zu den bestehenden Schutzmaßnahmen schlägt das Land den Städten und Gemeinden als Schulträger ein Förderprogramm von 60 Millionen Euro vor für die Anschaffung von Luftfilteranlagen zum Schutz vor dem Corona-Virus vor.

Kretschmann: Wollen Kommunen zur Hälfte unterstützen

Damit wolle man die Kommunen bei der Anschaffung mobiler Lüftungsanlagen und CO2-Ampeln zur Hälfte unterstützen, sagte Kretschmann. Nach den Vorstellungen des Ministerpräsidenten sollen die Filter vorrangig in nicht belüftbaren Klassenzimmern eingesetzt werden. Vorzug sollen Kinder der Stufen 1 bis 6 bekommen, weil sie noch nicht geimpft sind. Die Landesregierung war lange skeptisch gewesen, weil sie die Auffassung vertritt, dass Querlüften der bessere Infektionsschutz sei und mobile Lüftungsanlagen nur dort sinnvoll, wo Querlüften nicht möglich ist. Auch das Umweltbundesamt vertritt die Auffassung und spricht den Luftfilteranlagen sogar ab, effektiv zu schützen.

Entscheidung der Regierung nicht konsequent - und womöglich zu spät

Vor diesem Hintergrund wirkt die Entscheidung von Grün-Schwarz inkonsequent. Wenn man nicht an die Wirksamkeit von Luftfiltern glaubt - warum dann eine hohe Millionensumme ausgeben? Zumal die Entscheidung spät kommt, vielleicht zu spät. Das Für und Wider hatten die Akteure bereits im vergangenen Winter abgewägt, und die momentanen Lockerungen wirken trügerisch. In zwei Monaten beginnt das neue Schuljahr. Die kalte Jahreszeit mit ihrem höheren Infektionsrisiko steht vor der Tür. Die nun bereitgestellten Fördergelder müssen zunächst beantragt und abgerufen werden. Dann sind die Anlagen aber noch nicht bestellt - und auch nicht eingerichtet. All das kann dauern. Auch die Delta-Variante könnte dann in den Schulen bereits wüten. 

Jäger: "Mobile Lüftungsanlagen können das Fenster-Lüften nicht ersetzen"

Der Gemeindetag Baden-Württemberg sieht den Einzug mobiler Lüftungsanlagen in die Klassenräume kritisch. "Nach vorherrschender wissenschaftlicher Meinung ist das Lüften per Fenster mobilen Lüftungsanlagen stets vorzuziehen", sagt Gemeindetagspräsident Steffen Jäger. "Mobile Lüftungsanlagen können das Fenster-Lüften nicht ersetzen. Zudem halte ich es für illusorisch, dass die Schulträger Zehntausende solcher Geräte kurzfristig beschaffen könnten. Das wird der Markt nicht hergeben. Zudem erreichen uns Hinweise, dass Lärmbelastung und Wartungsintensität mobiler Lüftungsanlagen für deren Einsatz an Schulen kritisch hinterfragt wird. Es braucht nach unserer Einschätzung ein realistisches, erreichbares und vernünftiges Konzept, das dem Infektionsschutz Rechnung trägt. Dies kann vorrangig aus Testen, Maske und Fenster-Lüften bestehen. Der Einsatz sogenannter CO2-Ampeln kann gerade dieses Fenster-Lüften sowohl energetisch als auch tatsächlich noch weiter optimieren. In Räumen, die nicht ausreichend belüftet werden können, kommt im Einzelfall der Einsatz mobiler Anlagen in Betracht. Der Gemeindetag spricht sich dafür aus, ein etwaiges Landesförderprogramm an diesen Prämissen auszurichten."

Druck von Gewerkschaften war gestiegen

Die Gewerkschaften hatten die Landesregierung im Vorfeld vehement zum Handeln aufgefordert. Aus ihrer Sicht ist es angesichts der Erfahrung des vergangenen Herbsts und Winters nicht hinnehmbar, die Schulen weiter warten zu lassen. Der Vorsitzende des Philologenverbands Ralf Scholl sagte, ein zuverlässiger Schulbetrieb sei nur möglich, wenn endlich alle notwendigen Maßnahmen gegen Corona-Ansteckungen an den Schulen ergriffen würden. „Infektionsschutz gibt es nicht zum Nulltarif, und eine der effektiven Maßnahmen gegen Ansteckungen ist die Luftreinigung mit geeigneten mobilen Geräten“, so Scholl am Montag.

Philologenverband: Keine Alternative zum Präsenzunterricht

Der Philologenverband ist von der Wirksamkeit der Luftfilter überzeugt und verweist in einer Pressemitteilung auf mehrere Studien, die genau das beweisen sollen. Scholl kritisiert die Landesregierung dafür, diese Daten zu ignorieren. „Von Seiten der Verantwortlichen kam bisher entweder eine glatte Ablehnung von Raumluftreinigern, oder es wurden massive Bedenken geäußert, weil die Kosten zu hoch und der Nutzen angeblich zu gering sei – entgegen den Aussagen zahlreicher Wissenschaftler und (seit Kurzem) auch des Präsidenten des Umweltbundesamtes“, sagte Scholl. Aus dem vergangenen Jahr habe man gelernt, dass es zum Präsenzunterricht keine Alternative gebe. Man sei den Kindern und Jugendlichen schuldig, Präsenzunterricht anzubieten.

Oberbürgermeister von Schorndorf: Landesregierung muss entscheiden

Experten gehen davon aus, dass die komplette Ausstattung der Klassenzimmer im Land mit mobilen Luftfiltern 270 Millionen Euro kosten würde. Der Druck auf die Landesregierung war auch von kommunaler Seite gewachsen. Schorndorfs Oberbürgermeister Matthias Klopfer forderte am Montag im Gespräch mit dem SWR eine "klare Entscheidung durch die Landesregierung", ob für oder gegen die Luftfilter. Die Entscheidung müsse wissenschaftlich fundiert sein. Das Land müsse außerdem die Kosten für die Anlagen übernehmen, sowohl für die Anschaffung als auch für die dauerhafte Unterhaltung. Das ist nun nicht eingetroffen – wie die Kommunen auf das Angebot Kretschmanns reagieren, bleibt abzuwarten.

Städtetag: Nachteile der Luftfilter überwiegen

Der Städtetag teilt die Skepsis der Landesregierung und verweist auf eine von der Stadt Stuttgart in Auftrag gegebene Untersuchung. Demnach sind mobile Luftfilter nur dann sinnvoll, wenn aus baulichen Gründen kein Stoßlüften möglich ist. "Ansonsten überwiegen die Nachteile wie Lärmbelastung, fehlende Frischluftzufuhr und hoher Energieverbrauch", so Gudrun Heute-Bluhm, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Städtetags Baden-Württemberg.

GEW: Luftfilteranlagen sind lohnende Investition, unabhängig von Infektionsschutz

Ganz anders sieht es die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). "Wenn es um Geld für Bildung geht, wird jeder Cent mehrfach umgedreht und Entscheidungen werden seit Monaten verzögert", poltert deren Vorsitzende Monika Stein. Für Stein ist es zweitrangig, wie effektiv die Filter im Kampf gegen das Coronavirus sind. Eine lohnende Investition seien sie so oder so: Schließlich sorgten sie für bessere Luft und damit für besseres Lernen sorgen.