Konversion auf der Kippe? Bundeswehr-Rückkehr wirft Fragen auf
Das Verteidigungsministerium hat für bundesweit rund 200 frühere Kasernen, Depots und Übungsplätze einen sogenannten Umwandlungsstopp verhängt. Eigentlich sollten diese Flächen in den kommenden Jahren in Wohnquartiere, Gewerbegebiete oder Bildungsstandorte umgewandelt werden. Doch durch den russischen Angriff auf die Ukraine hat sich die sicherheitspolitische Lage grundlegend verändert. Die Bundeswehr will wachsen – personell, materiell und infrastrukturell. Dafür braucht sie Platz.
In Baden-Württemberg betrifft der Stopp 26 ehemalige militärische Liegenschaften, die derzeit im Besitz der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) sind, sowie eine aktive Liegenschaft in Ulm. Betroffen sind unter anderem Flächen in Achern, Pforzheim, Rheinstetten, Schwetzingen, Heidelberg – und zwei besonders symbolträchtige Standorte: Ellwangen und Sigmaringen.
Ellwangen: Wohnträume kontra Verteidigungslogik
In Ellwangen (Ostalbkreis) sollte auf dem Gelände der ehemaligen Reinhardt-Kaserne ein neues Stadtviertel mit bis zu 1.800 Wohnungen entstehen. Die Fläche umfasst mehrere Teilbereiche: den historischen Bereich, der bereits zivil genutzt wird – etwa von Arztpraxen, einem Jugendzentrum und der Europäischen Ausbildungsakademie – sowie den sogenannten technischen Bereich und das Areal auf dem Hungerberg, auf dem sich derzeit noch die Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) für Geflüchtete befindet.
Diese LEA soll zum Jahresende 2025 geschlossen werden, danach wollte die Stadt mit dem Bau beginnen. Die Planungen sind weit fortgeschritten und bereits durch den Gemeinderat gegangen. Oberbürgermeister Michael Dambacher (parteilos) spricht von einer „Zielgeraden“. Doch nun will die Bundeswehr prüfen, ob das Gelände wieder militärisch genutzt werden kann.
Hintergrund ist, dass die Bundeswehr für Ausbildungs- und Logistikzwecke wieder mehr Flächen im Südwesten benötigt. Ellwangen gilt durch seine Lage, seine Erreichbarkeit und die vorhandene Infrastruktur als strategisch interessant. Noch in diesem Jahr will das Ministerium eine Entscheidung treffen.
Sigmaringen: Willkommen zurück, Bundeswehr
Ganz anders ist die Stimmung rund 150 Kilometer südlich, in Sigmaringen. Hier steht die ehemalige Graf-Stauffenberg-Kaserne auf der Liste der Standorte, die nicht mehr zivil genutzt werden sollen. Sie wurde 1957 errichtet, war jahrzehntelang fester Bestandteil der Stadt – und wurde 2014 im Rahmen der Bundeswehrreform geschlossen. Seitdem nutzt das Land große Teile des Geländes als Erstaufnahmestelle für Geflüchtete (LEA).
Doch die Rückkehr der Truppe wäre hier keine Belastung, sondern eine ersehnte Entwicklung. Bürgermeister Marcus Ehm (CDU) spricht offen von einer „positiven Chance für die Stadt“. Sigmaringen verfüge über hervorragende Voraussetzungen: einen Standortübungsplatz, einen Schießplatz, die Anbindung an die Bahn und freie Flächen für neue Ausbildungsgebäude. Auch die Bestandsimmobilien seien „innerhalb weniger Monate wieder herzurichten“.
Die Stadt hatte nie eine vollständige zivile Übernahme des Geländes geplant. Teile gehören der Stadt und dem interkommunalen Zweckverband IGGS, andere der BImA und dem Bund. Der Zweckverband, an dem neun Kommunen beteiligt sind, nutzt einen südlichen Abschnitt für den Industriepark Graf Stauffenberg. Eine militärische Nutzung der nördlichen Areale hält Ehm für gut vereinbar: „Industrie und Bundeswehr können nebeneinander bestehen.“
Rückenwind kommt auch aus Stuttgart: Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) erklärte bei einem Bürgerempfang im Oktober, dass das Land die Geflüchteten „an anderer Stelle unterbringen“ werde, sollte die Bundeswehr zurückkehren. Damit wäre der Weg für eine Reaktivierung frei.
Gemeindetag: Erkennen Bedarf für Flächen an
Der Gemeindetag Baden-Württemberg unterstützt den Kurs des Verteidigungsministeriums grundsätzlich. „Die Verteidigungsfähigkeit hat seit dem russischen Angriff auf die Ukraine einen anderen Stellenwert, deshalb erkennen wir grundsätzlich die Notwendigkeit für zusätzliche Flächen“, teilt der Verband in einem Statement mit. Die Kommunen unterstützten die Bundeswehr, auch bei der zivil-militärischen Zusammenarbeit. Dort, wo Planungen weit fortgeschritten seien, brauche es gemeinsame Lösungen für die betroffenen Städte und Gemeinden.
Die Beispiele zeigen, wie unterschiedlich die Perspektiven in den Kommunen sind: Ellwangen sieht in der Rückkehr der Streitkräfte eine Gefahr für seine städtebauliche Zukunft und den dringend benötigten Wohnraum. Sigmaringen dagegen verbindet mit der Bundeswehr Arbeitsplätze, Infrastruktur und lokale Wertschöpfung.
Für beide Städte steht viel auf dem Spiel – nicht nur planerisch, sondern auch symbolisch. Die jahrzehntelange Phase der Konversion, in der militärische Areale zu Orten des zivilen Lebens wurden, scheint vorerst beendet. Der Frieden, der solche Flächen frei machte, ist im Europa des Jahres 2025 längst keine Selbstverständlichkeit mehr.
