Landesergebnis Baden-Württemberg (Vorläufiges Ergebnis der Bundestagswahl 2025)
© Statistisches Landesamt Baden-Württemberg

„Kommunen auf Augenhöhe einbinden“

Die vorgezogene Neuwahl zum Bundestag hat gezeigt, dass die politischen Ränder erstarken und die Polarisierung weiter zunimmt. Die politisch Handelnden sollten darauf reagieren und besonders die Lage in den Kommunen nicht außer Acht lassen.

Wieder einmal haben die Kommunen in Baden-Württemberg die Bundestagswahl reibungslos organisiert. Das betont auch Gemeindetagspräsident Steffen Jäger: „Ich möchte für die Städte und Gemeinden allen danken, die in den letzten Wochen und Monaten an der Vorbereitung und Durchführung der vorgezogenen Bundestagswahl mitgewirkt haben, zuletzt am Wahlsonntag als Wahlhelferin und Wahlhelfer.“

6,43 Millionen Menschen gaben ihre Stimme ab

Rund 80.000 Wahlhelferinnen und Wahlhelfer waren landesweit im Einsatz. „Nur durch diese große Kraftanstrengung konnte diese Wahl trotz kürzerer Fristen gut organisiert und abgewickelt werden“, so Jäger. „Dafür herzlichen Dank und großes Kompliment an die Städte, Gemeinden und Landkreise, die diese Wahl mit großer Professionalität und hoher Sorgfalt abgewickelt haben.“

Von 7,7 Millionen Wahlberechtigten gaben in Baden-Württemberg 6,43 Millionen ihre Stimme ab – eine Wahlbeteiligung von 83,4 Prozent, die höchste seit 1983. Für den Gemeindetagspräsident ist das ein starkes Zeichen für die Demokratie. „Die historisch hohe Wahlbeteiligung hat die Bedeutung dieser Bundestagswahl unterstrichen. Es ist daher ein guter Tag für die Demokratie in unserem Land, wenn über 83 Prozent der Bürger von ihrem demokratischen Wahlrecht Gebrauch machten. Es zeigt: Die Demokratie in unserem Staat lebt.“

Verschiebung an die Ränder spiegelt gesellschaftliche Polarisierung wider

Ob das Ergebnis der Wahl für die Demokratie des Landes gut ist, darüber lässt sich streiten. Fakt ist, die Ränder des politischen Spektrums sind stärker denn je. Die AfD erreichte im Land 19,8 Prozent (1,27 Millionen Stimmen) – ein Zuwachs von 10,2 Prozentpunkten. In Hügelsheim lag ihr Ergebnis bei fast 40 Prozent. Die Linke holte 6,8 Prozent (knapp 500.000 Stimmen), ebenfalls mehr als eine Verdopplung zu 2021. Insbesondere war sie in urbanen Gebieten erfolgreich, in Freiburg lag sie bei 14 Prozent, aber auch im Ländlichen Raum holte sie oft über fünf Prozent.

Die Verschiebung an den Rändern spiegelt die gesellschaftliche Polarisierung wider. Für den Wahlforscher und Professor für Kommunikationswissenschaft der Universität Hohenheim Frank Brettschneider folgt daraus eine klare Konsequenz: „Die demokratische Mitte ist mehr denn je darauf angewiesen, untereinander Wege der respektvollen und konstruktiven Zusammenarbeit zu finden“, betont er im Gespräch mit die:gemeinde nach dem Wahlabend.

Laut Brettschneider gehe jetzt vor allem darum, Probleme ernsthaft anzugehen. „Dazu gehört auch, politische Prioritäten zu setzen.“ Der Finanz- und Personalmangel würde ohnehin zu solchen Prioritäten zwingen. Es werde sich also nicht alles, was wünschenswert ist, auch realisieren lassen. Eine Priorität sieht der Professor in der Entbürokratisierung. „Sie ist sowohl zur Verbesserung der Standortfaktoren für Wirtschaftsunternehmen nötig, als auch zur Entlastung der Verwaltungen auf Landes- und vor allem auf kommunaler Ebene“, so Brettschneider.

Auch Steffen Jäger appelliert nun an die Vernunft der im Bund politisch handelnden Personen: „Von den Gewählten erwarten viele, auch wir Kommunen, dass sich nun schnell eine stabile Regierung bildet, und die sich dann mit aller Konsequenz und losgelöst von parteipolitischen Vorfestlegungen den großen Herausforderungen der aktuellen Lage stellt.“ Deutschland müsse sich laut Jäger ehrlich machen und sich auf das Wesentliche fokussieren.

„Das gilt für Parlament und Regierung. Es darf nicht um die immerwährende Frage ‚Darfs ein bisschen mehr sein?‘ gehen, sondern um eine klare Prioritätensetzung“, betont er. Denn gerade der fürsorgende Staat habe mit einem über Jahrzehnte entwickelten staatlichen „Gemischtwarenladen“ uns über die Ebenen hinweg in eine Situation gebracht, in der nun seit Jahren die Handlungsfähigkeit, und damit auch die kommunale Gestaltungsfreiheit, existenziell gefährdet sei. „Allein die Verteidigungsfähigkeit, die Investitionen in Infrastruktur von Bund, Ländern und Kommunen oder auch der Klimaschutz werden massive Finanzmittel in den nächsten Jahren binden.“

Es gilt also für die Politik Vertrauen zurückzugewinnen. Ob es hier hilfreich ist, dass durch die neue Wahlrechtsreform nun drei Wahlkreise im Land (Stuttgart II, Tübingen und Lörrach-Müllheim) keine Direktvertreter nach Berlin senden, wird sicher künftig zu diskutieren sein.

Die demokratische Mitte muss mehr denn je respektvoll und konstruktiv zusammenarbeiten.
Frank Brettschneider, Universität Hohenheim

Brettschneider betont, dass beim Vertrauen der Bevölkerung gerade der kommunalen Ebene eine enorm wichtige Rolle zukommt. „Umfragen zeigen deutliche Unterschiede in der Wahrnehmung der kommunalen Ebene, der Landesebene und der Bundesebene. Die große Mehrheit der Menschen in Baden-Württemberg vertrauen der kommunalen Ebene am meisten – Bürgermeistern und Gemeinderäten“, so der Wahlforscher. Und sie seien mit dem Funktionieren der Demokratie auf der kommunalen Ebene am zufriedensten.

Kommunen als Partner auf Augenhöhe

„Die kommunale Leistungsfähigkeit ist jedoch nicht selbstverständlich“, sagt er. Hier spielen der Finanz- und der Personalmangel eine gravierende Rolle. „Umso wichtiger ist es, dass auf der Bundesebene keine Beschlüsse zulasten der Kommunen gefasst werden. Im Gegenteil sollten Kommunen unterstützt werden.“ Auch hier stehen laut Brettschneider Entbürokratisierung, das Absenken einiger Standards und das Setzen von Prioritäten im Mittelpunkt. Plus eine funktionierende und entlastende Digitalisierung.

Auch Steffen Jäger ist sich dem bewusst. Es gelte, die Kommunen als Partner auf Augenhöhe einzubinden und ihnen auch als solche zu begegnen. „Das beginnt bei Fragen der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, geht über die kommunale Einbindung bei der Rechtsetzung bis zu den drängenden Fragen der inneren und äußeren Sicherheit, dem Klimaschutz oder der Migrationspolitik.“