Gemeinderäte-Studie der Hochschule Kehl zeigt positive und negative Trends
Studierende der Hochschule Kehl haben gemeinsam mit dem ehemaligen Rektor, Paul Witt, die Gemeinderäte in Baden-Württemberg unter die Lupe genommen.
© Hochschule Kehl

Studie: Wer kommt in Baden-Württemberg in den Gemeinderat?

Der Gemeinderat gestaltet politisch seine gesamte Stadt oder Gemeinde. Den Ehrenamtlichen kommt also große Verantwortung zu. Doch wer genau nimmt sich dieser Aufgabe an? Daran hat sich in den letzten 13 Jahren einiges verändert. Die Hochschule Kehl hat sich die kommunalen Parlamente einmal genauer angesehen.

Das Bild der Gemeinderäte in Baden-Württemberg ist im Wandel. Das belegt eine Studie von Studierenden der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl, die eine Befragung von Gemeinderätinnen und -räten aus den Jahren 2008 und 2021 vergleicht. Eine besonders deutliche Veränderung: Die Parteizugehörigkeiten. Während 2008 noch 39 Prozent der Ratsmitglieder der CDU angehörten, sind es 13 Jahre später nur noch 20,5 Prozent. Die Freien Wähler haben ebenfalls deutliche Verluste zu verzeichnen: 17,4 Prozentpunkte weniger im Jahr 2021. Andere Parteien, die zuvor kaum Teil der Gemeinderäte im Land waren, erhalten dafür mehr Raum. Allen voran die Grünen, die 2008 noch zu drei Prozent in den Gemeinderäten vertreten waren, 2021 bereits mit 16 Prozent. Stark zugenommen hat auch der Anteil an Gemeinderätinnen und -räten, die keiner Partei angehören. 2008 waren 61,5 Prozent der Befragten Mitglieder einer Partei, 2021 sind es noch 53,7 Prozent.

Parteizugehörigkeiten in der Gemeinderäte-Studie 2021
(c) Hochschule Kehl

Mehr Frauen jedoch weiterhin kein Gleichgewicht

Ein großes Ungleichgewicht besteht besonders in der Kommunalpolitik beim Geschlechterverhältnis. Während der Anteil der Frauen im Gemeinderat deutlich steigt, ist noch lange kein Gleichgewicht zu erkennen. Waren 2008 24 Prozent der Sitze mit Frauen besetzt, sind es 2021 32 Prozent der Sitze. Bei einem Bevölkerungsanteil von 51 Prozent Frauen in Baden-Württemberg ist eine adäquate Repräsentation hier also weiterhin nicht gegeben. 

Geschlechterverhältnis laut Gemeinderäte-Studie 2021
(c) Hochschule Kehl

Die Gemeinderäte werden älter

Der Altersdurchschnitt in den Gemeinderäten ist teils sehr hoch. Doch die Anzahl junger Gemeinderätinnen und -räte steigt. Der Anteil der unter 25-Jährigen lag 2008 bei 0,6 Prozent, nun liegt er bei 1,8 Prozent. Auch der Anteil der 25-35-Jährigen hat sich von drei auf 5,7 Prozent knapp verdoppelt. Die größten Veränderungen haben sich jedoch bei den höheren Altersgruppen ergeben. Während der Anteil der Gemeinderätinnen und -räte zwischen 45- und 55-Jahren um elf Prozentpunkt zurückgegangen ist, ist der Anteil der über 55-Jährigen um 15 Prozentpunkte auf 59,2 Prozent gestiegen. 

Weniger Selbstständige, mehr Arbeitnehmende

Auch die Berufsstrukturen innerhalb der Gemeinderatsmitglieder haben sich über die letzten Jahr verändert. Insgesamt sind 78,5 Prozent der Gemeinderätinnen und -räte erwerbstätig. Im Vergleich zu 2008 hat jedoch besonders der Anteil der selbständigen Landwirtinnen und -landwirte, sowie der selbstständigen Handwerkerinnen und -handwerker abgenommen. Gleichzeitig nimmt der prozentuale Anteil der leitenden Arbeitnehmenden und Beamtinnen und Beamten zu.

Berufstätige in der Gemeinderäte-Studie 2021
(c) Hochschule Kehl

Bedeutung der Vereine bleibt hoch

Im Vergleich zur Studie aus dem Jahr 2008 ist die Anzahl der Gemeinderätinnen und -räte deren Eltern im politisch-öffentlichen Leben aktiv waren, deutlich zurückgegangen. Dafür ist der Anteil deren Partnerin oder Partner im politisch-öffentlichen Leben aktiv war gestiegen. Die große Bedeutung von Vereinen wird auch 2021 erneut klar: Lediglich 2,2 Prozent der Befragten sind in keinem Verein aktiv. 

Wer nimmt Einfluss auf die Entscheidungen des Gemeinderats?

Die Gemeinderäte-Studie hat jedoch nicht nur nach dem Profil der Gemeinderätinnen und -räte gefragt, sondern auch nach der Arbeit im Gemeinderat. So etwa danach, welche äußeren Einflüsse die Politik vor Ort am meisten mitbestimmen. Nach Meinung der Ratsmitglieder kommt der größte Einfluss von der öffentlichen Meinung (45,2 Prozent). Einen hohen Einfluss üben außerdem die Lokalpresse und die Medien insgesamt aus (32,3 Prozent), während die Gewerkschaften mit gerade einmal 0,4 Prozent nach Meinung der Ratsmitglieder fast keinen Einfluss nehmen. Weiterhin wurde auch der Einfluss von Personen und Personengruppen auf die Beschlüsse des Gemeinderats untersucht: Es ist erkennbar, dass der/die (Ober-)Bürgermeister/in zusammen mit der Verwaltung und deren Expertinnen und Experten den größten Einfluss ausüben. Einen geringeren Einfluss auf die Beschlüsse weisen dahingegen Koalitionen und Parteiorganisationen auf.

Zunahme kommunaler Aufgaben erschwert die Ratsarbeit

Auch untersucht wurde die Frage, welche Einflüsse die Ratsarbeit erschweren. Hier sehen die Befragten die „Zunahme der kommunalen Aufgaben“ in der Gemeinderäte-Studie 2021 als deutlich wichtigeren Faktor als noch 2008 - der Wert ist um 20 Prozentpunkte gestiegen. Außerdem ist erkennbar, dass die unechte Teilortswahl in den Gemeinden deutlich abgenommen hat (2008: 63 Prozent, 2021/2022: 41,9 Prozent).

Zweiter Teil der Studie im Wintersemester 2022/23

Die Gemeinderäte-Studie 2021 und 2008 wurde jeweils von Studierenden der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl im Fachprojekt erstellt. Für die Studie mit dem Titel „Wer sind die Gemeinderät*innen in Baden-Württemberg? – Eine Studie zur Situation des kommunalen Ehrenamts“ wurden insgesamt 2.097 Gemeinderätinnen und -räte in 98 Städten und Gemeinden in den Regierungsbezirken Karlsruhe und Freiburg befragt. Die Studierenden haben dafür eine repräsentative Auswahl von Städten und Gemeinden anhand von Gemeindegrößenklassen ausgesucht. Im Jahr 2008 wurde die Studie unter der Leitung des damaligen Rektors der Hochschule Kehl, Paul Witt, erstellt. Auch die Gemeinderäte-Studie 2021 unterstützte und leitete der nun im Ruhestand befindliche Rektor. Im Wintersemester 2022/2023 wird die Studie in den Regierungsbezirken Stuttgart und Tübingen durchgeführt.