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Ganztagsbetreuung in Grundschule: Tausende Lehrer fehlen

Gesetzgeber ohne Sinn für Realitäten? Dem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in Grundschulen steht ein struktureller Mangel gegenüber - nicht nur an Fachkräften, sprich Lehrerinnen und Lehrern, sondern auch an Plätzen in den Schulen. Eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung zeigt die Ausmaße anhand von Zahlen.

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft in diesem Fall keine Lücke, sondern ein meterbreiter Spalt. Die Rede ist vom Anspruch auf Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern. Bekanntlich ist diese gesetzlich beschlossen und gilt ab 2026. Der Fachkräfte-Radar für Kita und Grundschule der Bertelsmann-Stiftung zeigt nun, wie weit Baden-Württemberg noch davon entfernt ist, den Ansprüchen gerecht zu werden. Wenn jedes Grundschulkind einen Ganztagesplatz erhalten soll, fehlen derzeit 12.000 Fachkräfte im Südwesten, so die Prognose der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung stellt Land vor große Probleme 

Die Fachleute konstatieren deshalb das Offensichtliche: nämlich dass der Rechtsanspruch das Land vor erhebliche Herausforderungen stelle. "Baden-Württemberg muss gemeinsam mit allen Verantwortlichen sofort eine langfristige Fachkräfteoffensive auf den Weg bringen, damit zumindest im nächsten Jahrzehnt ein ausreichendes Personalangebot verfügbar ist", sagte Kathrin Bock-Famulla, Expertin für frühkindliche Bildung der Stiftung. Laut Prognose sollten nur fast 3.000 Fachkräfte bis 2030 zusätzlich verfügbar sein.

Laut Radar nutzen im Südwesten 45 Prozent der Kinder im Grundschulalter ein Ganztagsangebot, 16 Prozent ein sogenanntes Über-Mittags-Angebot, das bis etwa 14.30 Uhr zur Verfügung steht. In den ostdeutschen Bundesländern zum Beispiel liegt der Schnitt der Teilhabequote deutlich höher, nämlich bei 86 Prozent. Die Wissenschaftler sagen, dass 9.100 Fachkräfte fehlen, wenn dieser Standard auch in Baden-Württemberg gelten soll. Und selbst wenn weiterhin ein Teil der Kinder die kürzere Über-Mittags-Betreuung in Anspruch nähme, läge der Personalmangel immer noch bei 6000.

Es fehlt auch an Plätzen in den Schulen 

Doch es kommt noch schlimmer. Neben der Fachkräftelücke, die in allen möglichen Szenarien erheblich ist, gibt es auch noch einen Mangel an Plätzen: Soll bis 2030 für jedes Kind im Grundschulalter ein Platz zu haben sein, müssten fast 190 000 Plätze neu geschaffen werden, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Studie. Und selbst bei einer ostdeutschen Quote wären es laut Studie immer noch mehr als 130 000. Die Informationslage über die Angebote der ganztägigen Förderung durch die Schulen sei aber sehr lückenhaft, schränken die Fachleute ein. Es fehlten Angaben über den zeitlichen Umfang und die Personalausstattung, kritisierten sie.

Gemeindetag: Rechtsanspruch aus heutiger Sicht nicht zu erfüllen

„Die Bertelsmann-Studie belegt nun, was der Gemeindetag schon seit Langem sagt. Die Schrittfolge bei diesem Rechtsanspruch war falsch. Es wird zunächst ein gesetzlicher Anspruch festgelegt, es ist aber völlig ungeklärt, ob und wie dieser erfüllt werden kann. Politik muss aber beim Betrachten der Realität beginnen. Die benötigten Fachkräfte fehlen heute schon an den Kitas", sagt Gemeindetagspräsident Steffen Jäger.

Der Rechtsanspruch an Ganztagsschulen drohe diesen Mangel nun erheblich zu verschärfen, so Jäger weiter. "Zugleich gibt es – trotz zugesagter Mittel – aktuell keine Möglichkeit für die Schulträger, eine Investitionsförderung zu erhalten. Auch diesbezüglich wird ein Anspruch ab 2026 angesichts des heute nochmals bestätigten Platzbedarfs zwischen 130.000 und 190.000 Plätzen kaum vorzubereiten sein. Gerade nach der Zeitenwende müssen politische Zusagen konsequent am Möglichen ausgerichtet werden. Die Erfüllung des Rechtsanspruches erscheint aus heutiger Sicht nicht möglich.“