© Julian Horx

Fachleute: Friedhöfe sollen menschenorientierter werden

Bislang spielen Friedhöfe als Objekte von Stadtplanern fast keine Rolle. Fachleute sagen, dass sich das ändern muss. Aus ihrer Sicht haben Friedhöfe als Orte der Zuversicht und des gesellschaftlichen Wohlergehens noch viel Potenzial. Warum und wie Gemeinden es heben können.

Leerstand ist nicht nur ein Phänomen im Wohnungsbau, sondern auch auf Friedhöfen. Auch wenn man den Begriff in diesem Kontext wohl aus Pietätsgründen seltener hört, zeichnet sich der Trend seit vielen Jahren ab. Immer seltener wählen Menschen das klassische Grab, sondern entscheiden sich für Urnen, für Wald- oder Seebestattungen. In Umfragen geben bis zu zwei Drittel der Befragten an, dass Friedhöfe keine Rolle mehr in ihrer Trauerarbeit spielen. Für die Kommunen ist das eine Herausforderung, obliegt ihnen doch auch weiterhin die Pflege der Friedhöfe, von denen es bundesweit 32.000 gibt.

Doch der Trend zu alternativen Bestattungsformen ist aus Sicht von Expertinnen und Experten nur einer von vielen Aspekten, die ein Umdenken bei der Planung und Gestaltung von Friedhöfen erforderlich machen. Wie der „Friedhof der Zukunft“ aussehen soll, darüber haben sich am vergangenen Freitag Menschen aus den verschiedensten Fachrichtungen auf dem Zukunfts-Congress der Nürnberger Fachmesse Stone + tec ausgetauscht. Für sie steht fest: Friedhöfe stehen vor einem Paradigmenwechsel. Das neue Vorzeichen muss ihren Vorstellungen gemäß ein menschenzentriertes sein, eine „Caring Infrastructure“, die nicht auf Regeln und Verbote setzt, sondern den Menschen Raum lässt für Trauerhandlungen einerseits, für ungezwungene Begegnungen mit anderen Trauernden andererseits.

„Die Verortung der Trauer ist für viele Menschen unheimlich wichtig. Aber bislang sind die Friedhöfe mit deren Neuausrichtung auf die steigende Nachfrage nach pflegefreien Gräbern nicht wirklich auf diese Bedürfnisse ausgerichtet. Im Mittelpunkt stehten bislang das oft Verbote und Funktionale, die korrekten Abläufe, aber nicht die Menschen mit ihren Bedürfnissen“, sagt Max Geiger im Gespräch mit die:gemeinde. Geiger Soziologe und Projektkoordinator am Campus Vivorum in Süßen. Das von der Initiative Raum für Trauer initiierte Experimentierfeld für Friedhöfe ist vor einem Jahr eröffnet worden. Der Zulauf ist laut Geiger seither riesig – auch und gerade von Vertretern von Städten und Gemeinden, die sich Impulse für eine Neuausrichtung ihrer Friedhöfe und mit ihnen ihrer Friedhofskultur erhoffen.

Friedhöfe können sozialpolitischen Wert entfalten

Trotz des großen Interesses haben Geiger und seine Mitstreitenden noch viel Überzeugungsarbeit vor sich, denn bislang spielten Friedhöfe stadtplanerisch keine Rolle. Das habe ihm auch die Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen, Nicole Razavi, bei einem Besuch auf dem Campus Vivorum bestätigt und Handlungsbedarf erkannt. Eine verpasste Chance, findet auch Geiger, denn Friedhöfe hätten nicht nur grünpolitischen grünpolitischen oder kunsthistorischen Wert, sondern könnten auch einen großen sozialpolitischen Wert entfalten. Das sei vor allem vor dem Hintergrund der Einsamkeits-Zunahme Zunahme relevant, die die meisten hochentwickelten Industrienationen mittlerweile heimgesucht hat. Die Bundesregierung hat mittlerweile eine Strategie gegen Einsamkeit veröffentlicht und im Mai einen Einsamkeits-Barometer vorgelegt. Geiger findet: Friedhöfe müssen sich öffnen und Räume für niederschwellige Begegnungen zwischen Trauernden schaffen, um ein strukturelles Werkzeug gegen Einsamkeit zu werden.

Für Geiger steht außerdem fest, dass es mehr Raum für intime, persönliche Trauerhandlungen geben muss. Derzeit entstünden häufig Konflikte zwischen Trauernden und Verwaltung. Als typisches Szenario beschreibt Geiger den Fall, wo vertraglich vereinbart ist, dass die Gemeinde nur den Rasen am offiziell pflegefreien Grab mäht. Stellen Angehörige persönliche Gegenstände wie Kerzen, Blumen oder Plüschtiere als Akt der Trauer ab, würden sie abgemahnt. Denn aus Sicht von vielen Kommunen handelt es sich um Krempel, der Mehrarbeit verursacht. Aus psychologischer Sicht jedoch seien solche kleinen Gegenstände Gesten intimster Trauerarbeit. Sollen Friedhöfe künftig ihrer Rolle besser gerecht werden, müssten klar definierte Räume entstehen, an denen Angehörige und Freunde ihre Trauer auf ureigenste, individuelle Art und Weise mit Trauerhandlungen ausleben dürfen.

Raum für individuelle Trauer wird wichtiger

Ein Spannungsfeld entsteht, weil die meisten Menschen wenig Aufwand und Arbeit mit der Gräberpflege haben wollen und diese auch gar nicht mehr leisten können, weil sie an einem anderen Ort leben. Zumal der Klimawandel in puncto Bepflanzung Tribut fordert und diese in Zukunft noch mehr auf Resilienz und Anpassungsfähigkeit ausgerichtet wird. Andererseits gibt es ein wachsendes Bedürfnis nach individueller Trauer und nach Begegnung und Gemeinschaft auch und gerade in der Trauerphase. „Trauernde Menschen fühlen sich einsam, und Außenstehende haben Hemmungen, sie auf den Verlust anzusprechen. Beim Fußball, auf der Vernissage oder im Theater macht man das eben einfach nicht“, erklärt Geiger. Deshalb sei es wichtig, auf Friedhöfen Räume zu schaffen, die sowohl intime Trauer als auch Begegnungen und gemeinsames Trauern ermöglichen – ungezwungen, nicht aufdringlich, aber einladend.

„Diese Räume für intime Trauer einerseits und öffentliche Räume andererseits sollen sich voneinander abgrenzen, aber zwischen ihnen soll auch vermittelt werden“, erklärt Geiger. Was kompliziert klinge, sei eigentlich ganz einfach durch bewusste Busch- und Heckenbepflanzungen machbar. Begegnungen ließen sich schon dadurch fördern, dass man eine Bank oder einen Tisch aufstellt. Auf dem Campus Vivorum in Süßen könne man besichtigen, wie sich das Konzept in die Praxis umsetzen lässt. Den Campus bezeichnet Geiger als echten „Gamechanger.“ „Vorher hat man sich die Konzepte in Büchern oder bei unseren Vorträgen abstrakt vorstellen müssen. Es ist aber etwas ganz anderes, vor Ort zu erleben, wie es konkret aussehen kann.“

Gemeinde Schlat konzipiert Friedhof neu

Bislang gebe es noch wenige Beispiele und Blaupausen des Friedhofs der Zukunft. „Es gibt in Deutschland und Baden-Württemberg einige schöne Friedhöfe, die Elemente des Friedhofs der Zukunft beinhalten, wie zum Beispiel Parkfriedhöfe, wo der öffentliche Raum eine größere Rolle spielt. Zukünftig können wir dies viel aktiver gestalten – nicht durch Zufall oder Engagement einzelner – sondern als konsequente Umsetzung eines menschenorientierten Konzeptes“, sagt Geiger. Ein konkretes Projekt ist in der Gemeinde Schlat im Gange. Sie ist derzeit im Begriff, ihren Friedhof nach den Ideen und Inspirationen des Campus Vivorum neu zu konzipieren. Bürgermeisterin Karin Gansloser war bereits bei der Eröffnung des Campus vor Ort und nahm am Freitag am Zukunfts-Congress teil.

Ihre Vorstellungen formuliert sie so: „Wir sollten den Friedhof wie ein offenes Bürgerhaus zum Wohlfühlen sehen und gestalten – und ihn den Menschen als ein gemeinsam zu nutzendes Gemeindehaus ohne Konsumzwang, jedoch mit vielen privaten Räumen anbieten.“ Max Geiger ist überzeugt, dass eine Neuausrichtung der Friedhöfe und der Friedhofskultur positive Effekte für alle Beteiligten mit sich bringen wird. Für die Menschen, die ihre Trauer individueller und ungezwungener werden ausleben können. Aber auch für die Kommunalverwaltungen: „Wenn es uns gelingt, die Friedhöfe menschenorientiert zu gestalten, haben auch die Kommunen etwas davon. Denn vielerorts sind die Friedhöfe defizitär. Es geht nicht darum, Profit zu machen, sondern um einen ausgeglichenen Haushalt. Wenn der Friedhof als „Caring Institution“ im Sinne der Fürsorgeverantwortung von den Bürgern wertgeschätzt wird, werden die Friedhöfe der Zukunft steigende Belegungszahlen erreichen“, so Geiger.