
Ein Naturschatz für alle
Wer auf den Höhen entlang der Schwarzwaldhochstraße steht, sieht weit und breit beeindruckende Natur. Hier liegt das Herzstück des einzigen Nationalparks Baden-Württembergs. Er besteht aus einem Schutzgebiet, in dem die Natur weitgehend sich selbst überlassen bleibt.
Die Idee dazu entstand in den 1990ern, umgesetzt wurde sie erst 2014. Von Beginn an stand der Nationalpark im Spannungsfeld zwischen Naturschutz, Tourismus und den Interessen der Bevölkerung. Viele Menschen, die seit Generationen von der Holzwirtschaft lebten, fühlten sich damals bei der Einrichtung des Parks übergangen. Es bildeten sich Bürgerinitiativen, die öffentlichkeitswirksam dagegen protestierten.
Insbesondere nach einer umfassenden Aufklärung über das Vorhaben beruhigte sich der Widerstand allmählich. 2011 lehnten laut Umfragen noch 75 Prozent der hiesigen Bevölkerung den Park ab, 2024 bewerteten ihn dagegen 85 Prozent positiv.
Nationalpark Schwarzwald soll von rund 10.000 Hektar auf fast 12.000 wachsen
Vergangenes Jahr wurde die Frage der Zustimmung jedoch erneut aktuell. Seit seiner Gründung war angedacht, den Nationalpark zu erweitern. Denn der Park besteht derzeit aus zwei Teilen, dazwischen lag noch bewirtschafteter Wald. Im Oktober 2024 einigte sich die Landesregierung darauf, diesen sogenannten „Lückenschluss“ zu vollziehen. Der Nationalpark sollte von seinen bisherigen rund 10.000 Hektar auf fast 12.000 wachsen.
Man könnte annehmen, die Landesregierung habe aus den Erfahrungen der 2010er-Jahre gelernt und die lokalen Kommunen sowie die Bevölkerung frühzeitig und umfassend über die Erweiterungspläne und deren Folgen informiert. Doch ein Blick in die Gemeinden zeichnet ein anderes Bild. „Der Ministerpräsident sprach bereits früher vom Geburtsfehler der getrennten Nationalparkteile. Die Erweiterung kam für uns also nicht überraschend“, sagt Robert Stiebler. Er ist Bürgermeister von Forbach, einer Gemeinde mit rund 4.600 Einwohnern, die aus insgesamt neun Ortsteilen besteht. Bei einem davon, Hundsbach, gab es Grund zur Annahme, dass dieser wie bereits Herrenwies vom Nationalpark umschlossen werde. „Für uns stellte sich natürlich die Frage, was das konkret bedeutet“, so Stiebler weiter, „deshalb haben wir früh signalisiert, dass wir Gesprächsbedarf haben.“
Erweiterung hat konkrete Auswirkungen auf den Alltag der Anwohner
Der Landtag könne die Erweiterung ohne die Zustimmung der betroffenen Kommunen beschließen. Es gibt zwar den Nationalparkrat, ein beratendes Gremium, das sich aus Vertretern betroffener Gemeinden, Naturschutzverbänden, Tourismusorganisationen und weiteren Interessengruppen zusammensetzt. Rechtlich bindend sind seine Entscheidungen jedoch nicht, zumindest in Bezug auf die Erweiterung. Als sich die Regierung auf die Erweiterung einigte, war in Forbach keineswegs klar, was genau auf die Gemeinde zukam. „Es gab eine große Gerüchteküche, viel Hörensagen und falsche Informationen im Raum“, erinnert sich Stiebler. Natürlich wollten die Einwohnerinnen und Einwohner wissen, was die Nationalparkerweiterung für ihr direktes Umfeld bedeutet.
Zumal es sich bei dem betroffenen Wald nicht um irgendeinen Wald handelt. Er gehört der Murgschifferschaft, einer der ältesten genossenschaftlich organisierten Waldgemeinschaften Deutschlands. Sie besteht seit 1488 und prägte das Bild des Schwarzwalds mit seinen Flößern, wie man sie aus den Märchen Wilhelm Hauffs kennt. Heute hat sie ihren Sitz in Forbach. Die Schifferschaft spielte eine zentrale Rolle in den Erweiterungsplänen. Die Umsetzung war nur möglich, indem das Land der Genossenschaft einen Flächentausch mit hochwertigem Staatswald anbot. Der Prozess wurde laut des Rathauschefs von vielen als intransparent empfunden, da selbst die Murgschifferschaft nach ihrer grundsätzlichen Zustimmung zum Flächentausch lange im Unklaren über die genauen Bedingungen blieb.
Dabei hatte die Erweiterung konkrete Auswirkungen auf den Alltag der Anwohner. Beispielsweise ist in einem Schutzgebiet das Sammeln von Beeren, Pilzen und Brennholz verboten. Zudem werden etwa zum Artenschutz Waldwege gesperrt. Auch freilaufende Hunde sind künftig untersagt. Handlungen also, die für die Menschen im Schwarzwald über Generationen selbstverständlich waren, werden damit eingeschränkt. Daneben gab es Sorgen vor steigender Waldbrand- und Hochwassergefahr sowie einem möglichen Wertverlust von Grundstücken. Viele fühlen sich bis heute durch die Nationalparkverwaltung und die Regierung fremdbestimmt.
Der Widerstand der Gemeinden im Nationalparkrat zwang die Landesregierung zum Entgegenkommen. Im Februar einigte man sich nach längeren Verhandlungen mit Umweltministerin Thekla Walker auf ein Eckpunktepapier. Darin wurde etwa festgelegt, dass das Sammeln von Waldfrüchten, die Holzlagerung und der Bezug von Brennholz zu marktüblichen Preisen für die Bevölkerung weiterhin möglich sind. Zudem wird nun ein Schutzkonzept gegen Waldbrände und Hochwasser erarbeitet, um Risiken für die Anwohner zu minimieren. Auch bleiben nun neben weiteren Zugeständnissen die breiten Waldwege zugänglich und in einem Teil des Schutzgebiets sollen gezielte Waldpflegemaßnahmen erlaubt sein.
Das Eckpunktepapier sieht auch vor, dass der Nationalparkrat mehr Mitspracherecht erhält und künftige Entscheidungen nur mit einer Mehrheit der Kommunen und Landesvertreter getroffen werden können. Auch die Bevölkerung soll stärker einbezogen werden, etwa durch regelmäßige Dialogformate und eine direkte Beteiligung an Entscheidungen, etwa zur Wegeführung.
Kommunen fordern nun in Sachen Tourismus konkrete Projekte
Ziel ist es, die Erweiterung bis Ende 2025 zu verabschieden, sodass die neuen Regelungen 2026 in Kraft treten. „Wir haben mit dem Papier eine Grundlage geschaffen, um eine Entwicklung überhaupt möglich zu machen“, erklärt Stiebler, „aber dieses Papier muss nun auch umgesetzt werden.“ Der Bürgermeister betont, ohne den Druck der Kommunen hätte es die erreichte Beteiligung von Gemeinden und Bevölkerung nicht gegeben. Auch eine Bürgerinitiative in seiner Gemeinde spielte eine Rolle.
Besonders in Sachen Tourismus sollten sich für Stiebler nun positive Effekte einstellen, da nach dem Wegfall der Holzwirtschaft eine wirtschaftliche Alternative geschaffen werden müsse. „Laut Nationalparkgesetz soll die touristische Entwicklung Hand in Hand mit dem Naturschutz gehen, doch in den letzten zehn Jahren ist kaum etwas passiert“, kritisiert er. Zwar seien Großprojekte wie das Nationalparkzentrum Ruhestein und das Nationalparkhaus in Herrenwies realisiert worden, doch eine umfassende touristische Entwicklung blieb aus.
„Spürbare Impulse für den Tourismus gab es bisher nicht, obwohl sie versprochen wurden.“ Es gebe ein umfangreiches Wegenetz, doch die Schaffung von Highlights und Anlaufpunkten liege in der Verantwortung des Nationalparks, nicht der Gemeinden. Als Vorbild nennt der Bürgermeister den Bayerischen Wald, wo Anreize durch gut gestaltete Infotafeln und Erlebnisstationen gesetzt wurden. Nun brauche es Investitionen, etwa in die touristische Attraktivität der Schwarzenbach-Talsperre. Auch weil sich immer mehr Touristen für die Region interessierten, etwa aus dem mediterranen Raum, die das gemäßigte Sommerklima schätzten. „Wer A sagt, muss auch B sagen“, mahnt Stiebler, das Land müsse nun liefern.