Andreas Schwarz und Manuel Hagel über ihre Ziele beim Bürokratieabbau
Andreas Schwarz: Es gilt, die richtige Balance zu finden
In Sachen Bürokratieabbau „mit mehr Tempo, notwendige Dinge angehen“. Das nahm sich die Grünen-Fraktion im Landtag bereits 2023 in einem Positionspapier vor. Andreas Schwarz spricht im Interview über konkrete Vorhaben, warnt aber zugleich davor, übers Ziel hinauszuschießen.
die:gemeinde: Ein Schwerpunkt der Kommunen im Jahr 2024 lag auf dem Abbau von Bürokratie und der Entlastung der Verwaltungen. Wie viel Bürokratie ist nötig und wo beginnt das „Zuviel“?
Andreas Schwarz: Unser Ziel ist es, Bürokratie abzubauen, Planungsprozesse zu beschleunigen und eine bürgernahe, moderne Verwaltung zu schaffen. Wir tun das, weil wir das Leben für alle einfacher machen möchten. Sei es für Bürgerinnen und Bürger bei der Steuererklärung, Investorinnen und Investoren beim Bau von Windparks, Kommunen bei der Teilnahme an Förderprogrammen oder für Zugewanderte, die in Baden-Württemberg arbeiten und leben möchten. Allerdings ist Bürokratie nicht grundsätzlich negativ zu bewerten. Sie dient dazu, Fairness und Gleichbehandlung sicherzustellen sowie Transparenz in Verwaltungsprozessen zu gewährleisten. Bei jedem Vorschlag zur Entbürokratisierung muss daher sorgfältig abgewogen werden: Einerseits sollen Verfahren effizienter und schneller werden, andererseits darf die Schutzfunktion der Bürokratie nicht verloren gehen. Es gilt die richtige Balance zwischen Vereinfachung und notwendiger Regulierung zu finden.
Welche Ansätze sehen Sie und Ihre Fraktion, um Bürokratie abzubauen?
Bürokratieabbau steht im Zentrum unserer Regierungsarbeit in dieser Legislaturperiode. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die bestehenden Regelungen und Normen des Landes kritisch zu überprüfen und eine offene Entscheidungskultur in der Verwaltung zu fördern. Diese sollte sich an Lösungen orientieren, statt nur Risiken zu minimieren. Konkret verfolgen wir mehrere Ansätze: Erstens zielt der Masterplan für die Transformation der Verwaltung auf eine grundlegende Modernisierung der Verwaltungskultur, -arbeitsweise und -organisation. Zweitens arbeiten in der Entlastungsallianz Ministerien, Verbände sowie Expertinnen und Experten gemeinsam daran, bürokratische Hürden zu identifizieren und abzubauen. Seit November 2023 wurde eine Vielzahl konkreter Maßnahmen zum Bürokratieabbau entwickelt, von denen einige bereits in der Umsetzung sind. Drittens haben wir zusätzlich erfolgreiche Initiativen ins Leben gerufen, wie den „Runden Tisch Fasnacht“, den „Runden Tisch zur Stärkung der Vereine und des Ehrenamts“ sowie das Entlastungspaket zur Vereinfachung für Genossenschaften.
Wie können Aufgaben und Standards in Baden-Württemberg verschlankt werden?
In der Entlastungsallianz führen wir gemeinsam eine umfassende Aufgabenkritik durch. Dabei gehen wir gezielt und differenziert vor, denn pauschale Lösungen greifen hier zu kurz. Wir durchforsten systematisch den Regelungsdschungel und prüfen jede Vorgabe auf ihre Notwendigkeit und Effizienz.
Das bedeutet etwa, dass wir die Verzichtbarkeit von Aufgaben prüfen. Wir identifizieren Bereiche, in denen auf bestimmte Aufgaben oder Vorhaben verzichtet werden kann oder in denen Aufgaben möglicherweise nicht mehr zeitgemäß oder erforderlich sind. Daneben geht es um die Flexibilisierung von Regelungen: Wo können wir starre Vorgaben lockern und den Kommunen mehr Entscheidungsspielraum einräumen? Zudem suchen wir nach Vereinfachungspotenzialen. Wir prüfen etwa die Einführung von Bagatellgrenzen, Genehmigungsfiktionen und digitalen Alternativen, um Prozesse zu beschleunigen. Auch unnötige Dokumentations- und Berichtspflichten werden identifiziert und nach Möglichkeit gestrichen. Und wir optimieren Zuständigkeiten: Wir arbeiten daran, Doppelzuständigkeiten zu vermeiden und Verantwortlichkeiten klar zu strukturieren.
Welche Chance hat das von Ihrer Regierung angekündigte Regelungsbefreiungsgesetz?
Nichts geht über die Erfahrung in der Praxis. Der Kern dieses Vorhabens liegt deshalb darin, den Kommunen mehr Spielraum zu geben, um die Ziele bestehender Gesetze auf alternative und möglicherweise effizientere Weise zu erreichen. Statt einer pauschalen Aussetzung von Landesgesetzen geht es um gezielte Erprobungen in einzelnen Kommunen. Dies ermöglicht es, neue Wege zu testen und deren Wirksamkeit direkt in der kommunalen Realität zu evaluieren. Potenzielle Anwendungsbereiche könnten vielfältig sein, von Verwaltungsprozessen über Bauvorschriften bis hin zu lokalen Umweltschutzmaßnahmen. Der Fokus liegt darauf, bürokratische Hürden abzubauen und gleichzeitig die Qualität der kommunalen Dienstleistungen zu verbessern. In Baden-Württemberg verfügen wir über starke und verantwortungsbewusste Kommunen. Wir vertrauen darauf, dass sie diese Freiräume verantwortungsvoll und im Sinne ihrer Bürgerinnen und Bürger nutzen werden. Dieses Gesetz könnte somit ein wichtiger Schritt zu einer flexibleren bürgernäheren Verwaltung sein und gleichzeitig als Innovationsmotor für die gesamte Landesverwaltung dienen.
Wie wollen Sie die Übererfüllung mit Standards aus dem europäischen Recht und aus Bundesgesetzen in der Umsetzung durch den Landtag von Baden-Württemberg als Landesgesetzgeber vermeiden?
Als Landesgesetzgeber haben wir stets die Verantwortung, Bürokratie auf ein notwendiges Maß zu beschränken. Dies gilt nicht nur bei der Umsetzung von EU-Recht oder Bundesgesetzen, sondern bei allen legislativen Maßnahmen. Unser Leitprinzip lautet: Verbessern unsere Regelungen tatsächlich das Leben der Bürgerinnen und Bürger? Wo möglich, vermeiden wir eine Übererfüllung von Standards, die aus europäischem oder Bundesrecht stammen. Gleichzeitig nutzen wir, wo sinnvoll, die föderalen Gestaltungsspielräume, um auf spezifische Bedürfnisse und Gegebenheiten in Baden-Württemberg einzugehen. Wir bewerten jeden Fall individuell, um die bestmöglichen Lösungen zu finden.
Wo schafft die Landesregierung konkret Entlastung für die Städte und Gemeinden?
Wir setzen uns aktiv für die Entlastung der Städte und Gemeinden ein. Im aktuellen Bürokratieabbaubericht der Landesregierung sind 36 spezifische Maßnahmen aufgeführt, die direkt oder indirekt zur Entlastung der Kommunen beitragen. In der vergangenen Legislaturperiode enthielt das Regierungsprogramm „Bürokratieabbau“ über 50 Maßnahmen, die auf eine Vereinfachung der Verwaltungsabläufe und eine Reduzierung des bürokratischen Aufwands abzielten. Die Entlastungsallianz hat bereits zwei Maßnahmenpakete vorgelegt. Das zweite Paket umfasst 100 konkrete Vorschläge zum Bürokratieabbau, von denen 56 direkt von den Kommunalen Landesverbänden eingebracht wurden.
Manuel Hagel: Dem Pragmatismus mit der Motorsäge eine Gasse schlagen
Die CDU-Fraktion im Landtag hat ein Bürokratiebefreiungsgesetz vorgelegt. Nicht zuletzt als Reaktion auf Forderung des Gemeindetags Baden-Württemberg hin. Wie der Bürokratieabbau in Baden-Württemberg weitergehen soll, erklärt Manuel Hagel im Interview.
die:gemeinde: Wie läuft der Bürokratieabbau, den sich die Landesregierung in den Koalitionsvertrag geschrieben hat, bisher?
Manuel Hagel: Ministerpräsident Winfried Kretschmann vergleicht die Bürokratie gerne mit einem Brombeergestrüpp, das man ordentlich stutzen muss. Es macht aber keinen Sinn, dieses Gestrüpp auf der einen Seite zu rasieren, nur um es auf der anderen ordentlich zu düngen. In diese Richtung sind einige Vorhaben gegangen, die unserem Koalitionspartner Herzensanliegen sind. Das sagen die Grünen selber. Denken Sie an das Landesmobilitätsgesetz oder das Antidiskriminierungsgesetz.
Natürlich halten wir uns an den Koalitionsvertrag. Aber dort steht eben auch, dass wir Bürokratie abbauen werden. Wir haben einen klassischen Zielkonflikt. Es kommt aber noch etwas ganz Entscheidendes dazu: Die Wirtschaftslage hat sich seit 2021 dramatisch verschlechtert und viele Menschen fragen sich, wie gut unser Staat eigentlich noch funktioniert.
Deshalb ist unsere Haltung recht einfach: Wer mitten in der Wirtschaftskrise neue Bürokratie schafft, der regiert total an den echten Problemen vorbei. Deshalb haben wir, etwa beim Landesmobilitätsgesetz, aber auch beim Gleichbehandlungsgesetz, weiteren Bürokratieaufbau so gut es ging verhindert.
Parallel haben wir, zum Beispiel im Vergabe- und Bauordnungsrecht, Bürokratie abgeschafft. Ich glaube fest, dass wir uns wieder darauf konzentrieren müssen, die Ziele und den Rahmen zu definieren und nicht die Wege zu den Zielen und das Rahmeninnere vorzuschreiben. Wer den Menschen, den Unternehmen und unserer Verwaltung vertraut, der braucht keine ewigen Dokumentations- und Berichtspflichten. Auf diese Einstellung von Lothar Späth und Erwin Teufel wollen wir uns wieder mit ganzer Kraft konzentrieren.
Wie geht es weiter mit dem Bürokratieabbau und der Entlastungsallianz?
Mit der Entlastungsallianz haben wir schon das eine oder andere erreicht, aber klar ist: Das reicht noch lange nicht. Nachdem die low hanging fruits geerntet sind, wird es Zeit, auf die Leiter zu steigen und sich zu strecken. Wo die Früchte hängen, hat uns der Gemeindetag mit seinem 15-Punkte-Papier gezeigt.
Wir sind von der schnellen Truppe und haben als CDU-Fraktion schon nach zwei Tagen unsere Antwort mit konkreten Umsetzungswegen vorgelegt: 13 der 15 Punkte unterstützen wir voll und ganz, da kann es wegen uns sofort losgehen. Zum Beispiel bei der Rückführung der Freistellungspflichten nach dem Landespersonalvertretungsgesetz, wo völlig unverhältnismäßig Arbeitskraft gebunden wird.
Ohne Weiteres dabei sind wir zum Beispiel auch bei der Beschränkung des Informationszugangsrechts oder bei der Berechnung der Schwellenwerte im Vergaberecht. Meine Hoffnung ist natürlich, dass wir in der Entlastungsallianz entsprechende Mehrheiten organisieren können. Ich möchte aber auch eines ganz offen sagen: Diese Prozesse werden uns etwas abverlangen. Wir müssen dorthin gehen, wo es weh tut und das, was wir als richtig und wichtig erkennen, gegen Widerstände durchhalten.
All das beginnt mit dem Bekenntnis, dass der Staat nicht alles für jeden regeln kann und darf. Es beginnt mit einem echten Bekenntnis zur Eigenverantwortung der Menschen. Für uns hat das viel mit unserem Menschenbild des mündigen Bürgers und der persönlichen Selbstbestimmung zu tun. Dafür sind wir bereit, die Ärmel hochzukrempeln und gesellschaftliche Mehrheiten zu organisieren.
Wie geht es in Bezug auf das geplante kommunale Bürokratiebefreiungsgesetz weiter?
Ich bin dem Gemeindetag und seinem Präsidenten Steffen Jäger dankbar für die Kreativität und Impulse. Es ist gut, dass die Gemeinden hier im Land eine starke Stimme haben und Probleme nicht nur beschreiben, sondern aktiv Lösungsvorschläge machen.
Stand ist, dass die CDU-Fraktion den Wunsch des Gemeindetags aufgegriffen und einen konkreten Umsetzungsvorschlag gemacht hat, den wir mit dem Koalitionspartner zur Stunde abstimmen. Danach wird das nötige Gesetz über die Fraktionen in den Landtag eingebracht. Dass unser Koalitionspartner bei diesem Gesetz nicht mitmacht, kann ich mir eigentlich gar nicht vorstellen.
Können Sie kurz erklären, worum es beim Bürokratiebefreiungsgesetz geht?
Aber klar. Im Kern geht es darum, den Gemeinden und Kreisen die Möglichkeit zu geben, von Bestimmungen abzuweichen, die aus ihrer Sicht in bestimmten Fällen keinen Sinn machen. So kann man testen, ob Verwaltungsvorgänge beschleunigt, vereinfacht oder kostengünstiger gestaltet werden können.
Wenn sich in der Praxis zeigt, dass die jeweiligen Vorschriften gar nicht gebraucht werden, wird sie der Gesetzgeber abschaffen. Ich bin davon überzeugt, dass dieses Gesetz viele Ideen freisetzt. Denn sich selbst von Bürokratie befreien, andere, bessere Wege suchen und dann auch wirklich gehen, das ist doch der große Wunsch unserer Macher vor Ort. Klar ist: Wir brauchen wieder mehr Tempo und Ambition in unserem Land.
Das Gesetz war Ihnen ein persönliches Anliegen. Warum?
Seit 15 Jahren bin ich Gemeinderat bei mir zu Hause in Ehingen, seit einigen Jahren ehrenamtlicher Stellvertreter unseres Oberbürgermeisters und im Kreistag. Für mich ist das die Basis, auf der sich mein landespolitisches Wirken gründet.
In all den Jahren haben wir uns immer wieder gefragt: Warum muss das unbedingt so laufen, warum nicht einfacher? Warum muss der Zettel unbedingt diese eine Farbe haben, warum kann man einen bestimmten Nachweis nicht einfacher erbringen?
Oder: Warum können wir die IT-Spezialistin, von der wir wissen, dass sie ihren Job klasse macht, nicht besser besolden? Nur weil ihr ein bestimmter Abschluss fehlt? Künftig kann man das.
Da tut sich, um auf das Bild vom Anfang zurückzukommen, dem Pragmatismus eine Gasse durch das Brombeergestrüpp auf. Das ist eine Sache, die mir eine große Genugtuung gibt.
Deshalb ist es gut, dass nicht die Nagelschere, sondern die Motorsäge von Stihl als baden-württembergisches Qualitätsprodukt das Mittel unserer gemeinsamen Wahl ist *lacht*.