Binzwangen wagt die Flurneuordnung im innerörtlichen Bereich
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Von zerklüffteten Grundstücken zum attraktiven Wohngebiet

Binzwangen hat sich getraut – in einem Gebiet mit Leerstand, sanierungsbedürftigen Gebäuden und schwierigen Zugängen konnte durch eine Flurneuordnung eine positive Dorfentwicklung stattfinden. Das Ergebnis: Geräumige Grundstücke in bester Lage.

Besonders in ländlich geprägten Städten und Gemeinden gibt es häufig Gebiete, die aufgrund von zersplitterten Besitzverhältnissen nicht entwickelt werden können. Die Verwaltung kann die jeweiligen Eigentümerinnen und Eigentümer ermitteln und mit diesen über den Verkauf ihrer Grundstücke sprechen. Das ist allerdings ein langwieriger Prozess, der auf Seiten der Kommune viele Ressourcen bindet und nicht immer zum Erfolg führt. Liegen in einem solchen Gebiet land- und/oder forstwirtschaftliche Flächen, ist aber auch eine andere Lösung möglich: die Flurbereinigung beziehungsweise Flurneuordnung. 

Wie läuft eine Flurneuordnung ab?

Bei einer Flurneuordnung leitet die Flurneuordnungsbehörde, die jeweils beim Landratsamt angesiedelt ist, den Prozess. Alle Eigentümerinnen und Eigentümer schließen sich zu einer Teilnehmergemeinschaft zusammen, die von einer oder einem gewählten Vorsitzenden vertreten wird. Auch die jeweilige Kommune ist gewöhnlich in den Prozess involviert. Wird eine Flurneuordnung angeordnet, stellt die zuständige Behörde einen Flurbereinigungsplan auf. Sofern dieser von allen Akteuren angenommen wird, können Kataster und Grundbuch berichtigt werden.

Flurneuordnungen sind oft Beginn einer Entwicklungsmaßnahme

„Die Verfahren starten oft dadurch, dass die Grundstückseigentümerinnen oder -eigentümer eine Maßnahme umsetzen möchten, aber nicht im Besitz der nötigen Flächen sind“, erklärt Thomas Meyer, Geschäftsführer des Verbands der Teilnehmergemeinschaften Baden-Württemberg (VTG). „Gründe können ganz unterschiedlich sein: Biotopvernetzung, Gewässer- und Moorrenaturierung, Straßenbau, Wasserrückhaltebecken, Neugestaltung, Wiederbelebung, Begrünung oder auch die Anlage von Freizeitangeboten wie Bolzplätzen oder Kleingartenanlagen.“ Gerade in kleineren Gemeinden gibt es landwirtschaftliche Flächen auch in der Ortsmitte. In diesen Fällen kann eine Flurneuordnung der Grundstein für die Dorfentwicklung sein. 

Binzwangen wagt die innerörtliche Flurneuordnung

So war es auch in Ertringen im Ortsteil Binzwangen. In dem Ort mit circa 900 Einwohnerinnen und Einwohnern liegt das Quartier Sankt-Paula-Straße am Donauhang. Ein Gelände mit viel Potenzial, das aufgrund von gemeinschaftlichem Eigentum, Überfahrtsrechten und Überbauungen nicht entwickelt werden konnte. Die Grundstückszuschnitte waren ungünstig, die Zufahrtsmöglichkeiten bei einigen Grundstücken nicht gegeben, es gab mehrere baufällige Gebäude und Mauern, die Grenzen überbauten. Auf dem Gelände befanden sich landwirtschaftliche Gebäude – besonders viele Schuppen –, wodurch eine Flurneuordnung zur sinnvollen Option wurde. Binzwangens Ortsvorsteher Wolfgang Gaber regte deshalb den Antrag auf Durchführung einer innerörtlichen Flurneuordnung an. „Wir haben ein Innenentwicklungskonzept angestrebt, bei dem die Flurneuordnung ein essenzieller Baustein war“, sagt Ertringens Bürgermeister Jürgen Köhler. 

Flurneuordnung in Binzwangen
Flurneuordnung in Binzwangen

Bürgermeister Köhler: "Ohne die Pufferflächen hätte die Flurneuordnung nicht funktioniert"

Nach der ersten Bürgerversammlung gingen das  Flurneuordnungsamt und die Verwaltung auf alle Eigentümerinnen und Eigentümer zu, um sie von dem Verfahren zu überzeugen. „Es waren viele Gespräche nötig und die Expertise von Amtsleiter Helfern und den Mitarbeitenden des Flurneuordnungsamtes war für den Prozess sehr wichtig“, erinnert sich Jürgen Köhler. „Der wichtigste Punkt für das Gelingen war, die Menschen abzuholen und mitzunehmen.“ Sobald Eigentümerinnen und Eigentümer von dem Projekt überzeugt waren, konnte die Flurneuordnung angeordnet werden. Für die Neuordnung selbst ist die Gemeinde in Vorleistung gegangen. „Wir haben viele kleine Flächen aufgekauft, die bei der Neuordnung als Puffer genutzt werden konnten“, erzählt Köhler. „Das war zum Beispiel eine alte Hofstelle. Ohne diese Pufferflächen hätte die Neuordnung nicht funktioniert.“ Nach vielen Gesprächen konnte ein Flurbereinigungsplan erstellt werden, der von allen Akteuren akzeptiert wurde. Es muss dabei jeder Eigentümerin und jedem Eigentümer ein wertgleiches Grundstück zugewiesen werden. Ein Anrecht auf Zuteilung in gleicher Lage gibt es dagegen nicht. Das erleichtert die Neuordnung. 

Thomas Meyer: "Verfahren können in einem Jahr abgeschlossen werden, aber auch 20 Jahre dauern"

Umso klarer die Pläne wurden, desto größer sei das Interesse der Eigentümerinnen und Eigentümer, aber auch der anderen Menschen in Binzwangen geworden. Auch jüngere Menschen hätten sich für die neuen Grundstücke interessiert. „Jetzt haben wir attraktive Grundstücke in der Ortsmitte in wunderschöner Hanglage“, freut sich der Bürgermeister. „Es freut mich richtig, wenn ich das Resultat sehe. Das wäre ohne die Flurbereinigung nicht möglich gewesen.“ Die Flurneuordnung habe eine Wertsteigerung für alle Parteien bedeutet: Das Ortsbild wurde verschönert, der Wert der Grundstücke gesteigert, die Zufahrten vereinfacht und die Gemeinschaft in Binzwangen gestärkt. Vom Antrag bis zur Bereinigung von Kataster und Grundbuch hat der Prozess in Binzwangen sechs Jahre gedauert. „Das ist je nach Größe des Gebiets und Menge der Eigentümerinnen und Eigentümer sehr unterschiedlich“, sagt Thomas Meyer vom VTG. „Ein Verfahren kann in einem Jahr abgeschlossen werden, kann aber auch 20 Jahre dauern, wenn es um mehrere tausend Hektar Land geht.“ 

Der Verband der Teilnehmergemeinschaften (VTG)

Die Teilnehmergemeinschaft besteht bei einer Flurneuordnung aus allen Eigentümerinnen und Eigentümern. Da Flurneuordnungsverfahren mit vielen Terminen verbunden sind, können nicht alle Eigentümerinnen und Eigentümer an allen Gesprächen teilnehmen. Deshalb wird ein Vorstand gewählt. Diesem fallen auch Aufgaben zu, wie etwa die Buchführung, die Überwachung von Arbeits- und Datenschutz und vieles mehr. Hierfür fehlt den ehrenamtlichen Vorständen jedoch in den meisten Fällen die Expertise und/oder die Zeit. Deshalb wurde 1994 der Verband der Teilnehmergemeinschaften gegründet, der stellvertretend für den Vorstand diese Aufgaben übernehmen kann. Der Verband hat eigene Bauleiterinnen und Bauleiter, die von Anfang an bei der Planung anwesend sind und die Flurbereinigungsverwaltung unterstützen können. Sie können zudem Ausschreibungen und Auswahlverfahren übernehmen und die Besitzeinweisungen vornehmen. Die Kosten, die beim VTG unter anderem für Löhne und Versicherungen anfallen, werden anteilig gezahlt und vom Verband jährlich abgerechnet.