Stichwahl: Was, wenn Kandidaten nicht mehr wollen?
In Baden-Württemberg ist es eine weitreichende Veränderung des Wahlrechts: Bekommt eine Kandidatin oder ein Kandidat für das Bürgermeisteramt nicht die absolute Mehrheit, gab es früher eine ganz neue Wahl, zu der neue Kandidatinnen und Kandidaten zugelassen waren und Kandidatinnen und Kandidaten der vorherigen Wahl ausscheiden konnten. Diese zweite Wahl ist nun durch die Stichwahl ersetzt, wie es sie zuvor schon in vielen anderen Bundesländern gab. Es handelt sich nicht um eine neue Wahl, sondern um einen zweiten Wahlgang. Hier haben die Bürgerinnen und Bürger die Wahl zwischen den beiden höchstplatzierten des ersten Wahlgangs. Baden-Württemberg war zuvor neben Sachsen das einzige Bundesland, das die Stichwahl nicht kannte.
Kandidierende verpflichten sich für mehrere Wahlgänge
Das heißt auch: Neue Kandidatinnen und Kandidaten können nicht zugelassen werden und die beiden höchstplatzierten des ersten Wahlgangs müssen notwendigerweise zur Wahl stehen. Doch was, wenn eine Kandidatin oder ein Kandidat gar nicht mehr zur Wahl stehen möchten? So ist es nun in Großerlach gekommen.
Melih Göksu unterlag im ersten Wahlgang
Melih Göksu war im ersten Wahlgang auf 34 Prozent der Stimmen gekommen. Der 33-Jährige stammt aus Stuttgart und ist aktuell Verwaltungsangestellter des Landratsamts Rems-Murr-Kreis in Waiblingen. Mit seinen Wahlkampfzielen – wie etwa der Verbesserung der Kita- und Schulinfrastruktur oder der Sanierung der Ortsmitte – hatte er viele Wählerinnen und Wähler erreichen können.
Kandidat rechnet sich keine Chancen für Stichwahl aus
Dennoch erhielt sein Konkurrent, Kevin Dispan 49,5 Prozent der Stimmen. Nur 12 Stimmen hatten gefehlt, für den Einzug ins Rathaus. Melih Göksu sieht daher für seine Kandidatur keine Chancen mehr. Er zog sich direkt nach dem ersten Wahlgang aus dem Wahlkampf zurück. Doch: Nicht so von der eigentlichen Wahl. Denn das ist nach neuem Kommunalwahlrecht gar nicht möglich. Sein Name wird bei der Stichwahl am 18. Februar als einer der beiden Kandidaten neben dem von Kevin Dispan erscheinen.
Ob ein Kandidat, der sich bereits aus dem Wahlkampf zurückgezogen hat und beim ersten Wahlgang 15,5 Prozent zurücklag, eine Wahl gewinnen kann, scheint unwahrscheinlich. Falls er gewählt werden sollte, wird Melih Göksu sich der Wahl jedoch nicht widersetzen, sagt er.
Das sagt das neue Kommunalwahlrecht zur Stichwahl
Der Landtag von Baden-Württemberg hat am 29. März 2023 die Änderung der kommunalwahlrechtlichen und anderen Vorschriften beschlossen. Die maßgebliche Änderung des § 45 GemO ist zum 1. August 2023 in Kraft getreten. Demnach sehen die neuen Absätze 2 und 3 einen klaren Wahlablauf vor und definieren, wann eine Stichwahl nicht stattfinden (Tod oder Verlust Wählbarkeit).
Die Bewerbung, so § 10a des Kommunalwahlgesetzes, umfasst auch die Teilnahme an einer Stichwahl. Eine Rücknahme der Bewerbung nach der ersten Wahl ist nicht möglich. In der Begründung wird von einer Person, die sich für das Amt der Bürgermeisterin oder des Bürgermeisters bewirbt, erwartet, dass sie sich im Falle einer erforderlichen Stichwahl dieser Wahl stelle. Es sei Ausdruck ausreichenden Rückhalts in der Bürgerschaft, wenn er oder sie die meisten oder zweitmeisten Stimmen erhalte. Es bestehe kein Grund für Rückzug (s. LT-Drs. 17/4079, S. 21). Damit definiert der Gesetzgeber wie auch die Regierung klar die „Spielregeln“, die den Bewerberinnen und Bewerbern sowohl anhand des Gesetzestextes, als auch in der Begründung klar hervorgehoben werden.
Gleichzeitig treffen weder die Gemeindeordnung noch die weiteren kommunalwahlrechtlichen Vorschriften Regelungen zur Dynamik und Intensität mit der einzelne Bewerberinnen und Bewerber den Wahlkampf zwischen der Hauptwahl und der Stichwahl gestalten müssen. Es steht den Bewerberinnen und Bewerbern daher frei, wie sie sich bei den Wahlen engagieren und wie sie sich zum Umgang mit einem möglichen Wahlsieg äußern.
§ 45 Kommunalwahlordnung sieht vor, dass bei der Wahl der Bürgermeisterin oder des Bürgermeisters die gewählte Bewerberin oder der gewählte Bewerber aufgefordert wird, innerhalb einer Woche mitzuteilen, ob sie oder er die Wahl annimmt. Eine gewählte Bewerberin oder ein gewählter Bewerber kann damit die Annahme der Wahl ablehnen, wenngleich sie oder er nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht vor der Stichwahl „aussteigen“ kann.
Da das Wahlrecht in Baden-Württemberg erst seit wenigen Monaten gilt, gab es nach Einschätzung des Gemeindetags Baden-Württemberg bisher wenige Stichwahlen - unter anderem in Rastatt und Ulm. Ein weiterer Fall einer „zurückgezogenen“ Kandidatur ist daher nicht bekannt.