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Paragraf 246e: Sonderregelung soll „Bauturbo“ zünden

Quo vadis, Wohnungsbau? Weiterhin gibt es beim Wohnraum eine dramatische Unterversorgung, in Deutschland und Baden-Württemberg gleichermaßen. Nun will die Bundesregierung einen „Bauturbo“ zünden und Vorschriften lockern. Die Maßnahmen klingen vielversprechend, die Reaktionen allerdings noch verhalten.

Die Bundesregierung plant mit einer Sonderregelung im Baugesetzbuch, Paragraf 246e BauGB, baurechtliche Vorgaben bis Ende 2026 zu lockern, um den Neubau von Wohnraum zu beschleunigen. Diese Regelung soll für den Bau von Gebäuden mit mindestens sechs Wohnungen sowie bei Erweiterung oder Erneuerung von Bestandsbauten gelten, wobei Umweltprüfungen und Ausgleichsmaßnahmen entfallen können.

89 Städte und Gemeinden im Südwesten wären betroffen

Konkret steht im sogenannten „Bau-Turbo-Pakt“ des Bundesbauministeriums, man wolle dafür sorgen, „dass für eine befristete Zeit in Orten mit hohem Bedarf schneller Bauvorhaben geplant und umgesetzt werden können. Damit können rasch Baulücken genutzt, Dächer bebaut oder brachliegende Flächen in Wohnraum umgewandelt werden. Zusätzlich bauen wir Bürokratie ab, damit Aktenberge in Bauämtern der Vergangenheit angehören. Damit steht nun auch beim Wohnungsbau dem neuen Deutschland-Tempo nichts mehr im Wege. Wohnungen können somit zukünftig schneller geplant und realisiert werden.“

Das Gesetz soll für Gemeinden mit angespanntem Wohnungsmarkt gelten. In Baden-Württemberg wären damit gemäß der Gebietskulisse für die Mietpreisbremse 89 Städte und Gemeinden betroffen. In diesen darf die Miete die ortsübliche Vergleichsmiete höchstens um 10 Prozent übersteigen. Dies gilt nach § 556f des Bürgerlichen Gesetzbuchs allerdings nicht für Neubauten und für umfassend modernisierte Wohnungen.

Diese Einzelmaßnahmen sind geplant

  1. Durch eine befristete Sonderregelung im Baugesetzbuch, die wir noch in diesem Jahr vorlegen, sorgen wir für mehr Tempo beim Wohnungsbau. Wenn die Gemeinde vor Ort damit einverstanden ist, kann durch die Nutzung des "Bau-Turbos" auf einen Bebauungsplan verzichtet werden. Das entlastet die Bauämter vor Ort und beschleunigt das Genehmigungsverfahren.Mit dem "Bau-Turbo" kann Bauen nicht nur schneller, sondern auch bezahlbarer werden. Denn weniger Aufwand bedeutet weniger Personal, weniger Zeit und damit auch weniger Kosten.
  2. Die Länder werden für die Genehmigungsverfahren im Wohnungsbau befristet bis 2026 eine bundesweit einheitliche Genehmigungsfiktion von drei Monaten einführen. Das bedeutet, dass die beantragte Genehmigung als erteilt gilt, wenn die zuständige Behörde nicht innerhalb dieser Frist über den Antrag entscheidet.
  3. Die Länder werden Nutzungsänderungen von Dachgeschossen zu Wohnzwecken in ihren Landesbauordnungen sowie, in der Musterbauordnung unter bestimmten Bedingungen genehmigungsfrei stellen, um so das Potenzial der Umnutzung von Dächern und der Dachaufstockung schnell und unkompliziert nutzbar zu machen.
  4. Die Länder werden Regelungen zu Kfz-Stellplatzanforderungen im Bauordnungsrecht vereinheitlichen und so anpassen, dass die Kfz-Stellplatzpflicht bei Umbauten und Aufstockungen von Wohnraum entfällt. Fehlende Parkplätze dürfen im Fall von Ergänzungen im Wohnungsbestand kein Hinderungsgrund für die Schaffung neuen Wohnraums sein. Zudem senken wir damit die Baukosten.
  5. Die Einführung eines Gebäudetyps E ("E" wie einfach) ist ein wichtiges Element, um einfacher und somit schneller zu bauen. Die Akteure aus der Bau- und Planungsbranche werden ermutigt, kreativ und kostengünstig zu planen und zu bauen.
  6. Der Bund nimmt dafür die zivilrechtlichen Aspekte im Bereich der transparenten Vertragsgestaltung und -praxis in den Blick, um den am Bau Beteiligten ein vereinfachtes Bauen rechtssicher zu erleichtern. Dafür legen wir bis Ende des Jahres eine "Leitlinie und Prozessempfehlung Gebäudetyp E" vor.
  7. Durch industrielle Fertigungsmethoden im seriellen, modularen und systemischen Bauen kann witterungsunabhängig produziert und die Baustellenzeit vor Ort erheblich verkürzt werden. Um diese Form des Bauens weiter zu befördern, werden die Länder regeln, dass bereits einmal erteilte Typengenehmigungen für das serielle, modulare und systemische Bauen bundesweite Gültigkeit erhalten. Das vereinfacht und beschleunigt die Genehmigungsprozesse.

Umstrittener „Bauturbo“

Die aktuelle „Verordnung der Landesregierung zur Bestimmung der Gebiete mit Begrenzung der zulässigen Miethöhe bei Mietbeginn“ ist gültig bis 30. Juni 2025. Grundlage ist die bundesrechtliche Verordnungsermächtigung des Bürgerlichen Gesetzbuches. Der Entwurf des SPD-geführten Bauministeriums sieht ein Zustimmungsrecht der Gemeinden vor sowie eine Befristung der Regel, sie soll bis Ende 2026 gelten. Momentan beraten die Bundestagsfraktionen über die Novelle.

Ein Verbändebündnis aus dem Umwelt-, Sozial- und Architekturbereich warnt jedoch vor negativen Auswirkungen auf den Klima- und Flächenschutz. Sie befürchten, dass durch den sogenannten „Bauturbo“ das Ziel der Bundesregierung, den Flächenverbrauch zu reduzieren, nicht erreicht wird. Zudem könnten Bauten an ungeeigneten Standorten entstehen, ohne Rücksicht auf Umweltaspekte, warnen sie in einem gemeinsamen Appell.

Das sagen die kommunalen Landesverbände

In einer gemeinsamen Pressemitteilung haben sich die kommunalen Landesverbände zur geplanten Gesetzesänderung geäußert. Darin begrüßen sie grundsätzlich, dass der Bau von bezahlbarem Wohnraum vereinfacht und beschleunigt werden soll. Das mit der vorliegenden Formulierungshilfe verbundene Signal für den Wohnungsbau sei dem Grunde nach richtig und unterstützenswert. Allerdings lasse die befristete Sonderregelung des § 246e BauGB in ihrer derzeitigen Formulierung nicht erwarten, dass das Ziel damit erreicht werden kann. „Unseres Erachtens ist eine grundsätzliche Befassung mit den Regelungen des Baugesetzbuches geboten, um überkommene Regelungen zu überarbeiten oder zeitgemäße, weniger bürokratische Verfahren zu ver ankern. Eine schnellschussartige und zeitlich beschränkte Öffnungsklausel wird diesen Anfor derungen nicht gerecht, greift in das Recht der kommunalen Selbstverwaltung ein und fordert die Kapazitäten in den Kommunen erneut heraus“, heißt es in der Stellungnahme

Reaktionen von Bauindustrie und Naturschutzverbänden

Während die Bau- und Wohnungsindustrie die Ausnahmeregelungen als zu restriktiv ansieht, kritisieren andere, dass die Regelung keinen bezahlbaren Wohnraum schaffe und am tatsächlichen Bedarf vorbeigehe. Trotz des Ziels der Bundesregierung, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu bauen, bleibt die tatsächliche Fertigstellungsrate dahinter zurück. Naturschützer und andere Verbände sehen in der Sonderregelung eine Wiederholung früherer Fehler, ohne die grundlegenden Probleme im Baurecht anzugehen. Sie fordern eine stärkere Fokussierung auf den Innenbereich und die Berücksichtigung von bereits vorhandener „grauer Energie“ in Bestandsgebäuden, um die Klimaziele nicht zu gefährden.

Diese Kriterien liegen der baden-württembergischen Gebietskulisse zugrunde:

Die 89 Städte und Gemeinden mit angespannten Wohnungsmärkten, die sogenannte „Gebietskulisse“ der Verordnung, wurden in einem aufwändigen Verfahren nach landesweit einheitlichen Kriterien gutachterlich ermittelt. Dazu hatte ein Gutachterbüro umfangreiche Daten aller 1.101 Städte und Gemeinden erhoben und anhand von fünf Indikatoren ausgewertet:

  1. dem Wohnungsversorgungsgrad (Verhältnis von Wohnungsnachfrage zum Wohnungsangebot),
  2. der Wohnungsversorgung für Neubürger (Verhältnis von Wohnungsneubau zur Haushaltsentwicklung),
  3. der Mietbelastungsquote (Verhältnis von verfügbarem Nettoeinkommen zur Bruttowarmmiete),
  4. der Höhe und Entwicklung der Angebotsmieten 2012/2013 bis 2017/2018 sowie
  5. der Mietpreisdifferenz (Differenz zwischen Vergleichsmieten für Bestandsmietverträge und Angebotsmieten für Neuverträge) bzw. absoluten Höhe der Angebots- und Vergleichsmieten.

Für jeden Indikator wurden geeignete Grenzwerte festgelegt, bei deren Überschreitung oder Unterschreitung ein Indiz für einen angespannten Wohnungsmarkt angenommen werden kann. Sind mindestens vier der fünf Indikatoren bei einer Stadt bzw. Gemeinde erfüllt, liegt ein angespannter Wohnungsmarkt vor.

So lautet die Einschätzung des Gemeindetags:

Einschätzung Luisa Pauge, Dezernentin Gemeindetag Baden-Württemberg:

Mit Blick auf den nach wie vor hohen Wohnraumbedarf und den hieraus resultierenden Handlungsdruck, bedarf es einer kurzfristigen Schaffung von erleichterten Rahmenbedingen für den Wohnungsbau. Diese Vereinfachungen müssen alle Regelungsebenen adressieren, um den Städten und Gemeinden mehr Handlungsspielraum zu eröffnen. Folglich braucht es auch angepasste Regelungen im Bauplanungsrecht. Vor diesem Hintergrund ist das mit dem geplanten § 246e BauGB verbundene Signal einer befristeten Sonderregelung für den Wohnungsbau dem Grunde nach richtig und zu begrüßen. Es wird jedoch auf die Umsetzung im Detail ankommen.

Bei der gegenständlichen Formulierung handelt es sich – analog zur Vorbildregelung in § 246 Abs. 14 BauGB – um weitgehende Abweichungsmöglichkeiten. Da hierdurch bspw. auch Abweichungen von bestehenden kommunalen Festsetzungen in Bebauungsplänen möglich werden, muss mit dieser Möglichkeit verantwortungs- und maßvoll umgegangen werden. Gleichzeitig darf die vorgesehene Regelung nicht die Kommunale Planungshoheit konterkarieren. Insofern ist es richtig, dass es – im Unterschied zu § 246 Abs. 14 BauGB – einer tatsächlichen Zustimmung der Gemeinde zur Inanspruchnahme der Regelungen nach § 246e BauGB braucht.

Aus kommunaler Sicht muss an dieser Stelle die Planungshoheit schützende Wirkung, wonach die Gemeinde abschließend über die Zustimmung entscheidet, deutlich unterstrichen werden. Die in der Formulierungshilfe vorgesehene Geltung von § 36 Absatz 2 Satz 2 BauGB sieht ein Inkrafttreten der Zustimmungsfiktion nach zwei Monaten vor. Unter Berücksichtigung der teils komplexen und umfangreichen für die Zustimmung erforderlichen Prüfungen der Gemeinde sollte darauf hingewirkt werden, diese Fiktion idealerweise herauszunehmen – oder hilfsweise auf drei Monate zu verlängern (analog zur verlängerbaren Genehmigungsfrist für Flächennutzungspläne).

Der Entwurf sieht vor, dass die Abweichungen für die Errichtung eines den Wohnzwecken dienenden Gebäudes erst ab mindestens sechs Wohnungen möglich sind. Gerade in kleineren und mittleren Kommunen – insbesondere im Ländlichen Raum – wird ein nicht unerheblicher Teil der Wohngebäude mit weniger als sechs Wohnungen realisiert. Diese Vorhaben würden nach derzeitigem Stand nicht von den Vereinfachungen profitieren. Aus unserer Sicht darf jedoch dieses Potenzial nicht ungenutzt bleiben, sodass idealerweise ein Entfall bzw. mindestens eine Absenkung dieser Schwelle erfolgen muss.

Die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen (u.a. Wohnzweck, Würdigung nachbarlicher Interessen und öffentlicher Belange, etc.) entsprechen weitestgehend den Regelungen aus § 246 BauGB. Zusätzlich ist in § 246e BauGB-E eine Begrenzung auf eine bestimmte Gebietskulisse, konkret auf die Gebiete mit einem angespannten Wohnungsmarkt nach § 201a BauGB, vorgesehen. Diese Begrenzung muss nach unserem Dafürhalten entfallen, sodass die vorgesehenen Abweichungsmöglichkeiten grundsätzlich allen Städten und Gemeinden zur Verfügung stehen. Sollte die Begrenzung auf Gebiete nach § 201a BauGB Bestand haben, würde dies für Baden-Württemberg bedeuten, dass lediglich in 89 Städten und Gemeinden (!) von insgesamt 1.101 Städten und Gemeinden in BW von den Erleichterungen Gebrauch gemacht werden könnte. Dies wäre eingedenk des flächendeckend bestehenden Wohnraumbedarfs in ganz Baden-Württemberg schlicht nicht vermittelbar.“