Änderung der Kommunalwahlordnung soll Kandidierende schützen und Wohnungslose besseren Zugang zur Wahl gewähren
© Adobe Stock

Schutz für Kandidierende und Neuerungen für Wohnungslose

Knapp ein Jahr vor der Kommunalwahlen 2024 ändert das Innenministerium noch einmal die Kommunalwahlordnung ab. Die Änderungen sollen zum einen die Persönlichkeitsrechte der Kandidierenden besser schützen. Zum anderen werden etwa das Wahl- und Stimmrecht von wohnungslosen Menschen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Wahlgebiet haben, die Stichwahl bei Bürgermeisterwahlen und die Vorverlegung des Einreichungsschlusses für Wahlvorschläge zu den Kommunalwahlen um zwei Wochen detailliert geregelt.

Hass und Hetze gegen Kommunalpolitikerinnen und -politiker ist in den letzten Jahren immer wieder zum Problem geworden. Drohbriefe, Schmierereien an Fassaden und das Eindringen in die Privatsphäre sind unter anderem deshalb möglich, weil die Privatadressen der Politikerinnen und Politiker öffentlich einsehbar sind. Nicht nur gewählte Mandatsträgerinnen und -träger sind dieser Gefahr ausgesetzt. Auf Wahlbekanntmachungen und Stimmzetteln sind die Adressen aller Kandidatinnen und Kandidaten einsehbar.

Fünf Gewaltstraftaten in den letzten drei Jahren

Für das Jahr 2019 ergab eine Auswertung 24 Straftaten gegen kommunale Amts- und Mandatsträgerinnen und -träger in Baden-Württemberg, darunter zwei Gewaltstraftaten. Im Jahr 2020 waren es 173 Fälle, darunter eine Gewaltstraftat, im Jahr 2021 151 Fälle, darunter zwei Gewaltstraftaten und im Jahr 2022 100 Fälle, darunter eine Gewaltstraftat.

Strobl: "Hass und Hetze haben in unserer Gesellschaft keinen Platz"

Das hat das Innenministerium nun, ein knappes Jahr vor den Kommunalwahlen 2024, geändert. „Immer wieder sind Kandidatinnen und Kandidaten bei Kommunalwahlen sowie kommunale Amts- und Mandatsträgerinnen und -träger physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt“, sagt Thomas Strobl, Stellvertretender Ministerpräsident und Innenminister. „Sie werden beleidigt, bedroht oder gar angegriffen. Als Landesregierung nehmen wir das nicht tatenlos hin, wir gehen entschlossen und konsequent gegen Hass und Hetze, gegen gesellschaftliche Verrohung und gegen Ausgrenzung vor. Wir treten aktiv für das gesellschaftliche Miteinander und das friedliche Zusammenleben in unserem Land ein. Hass und Hetze haben in unserer Gesellschaft keinen Platz. Dabei wollen wir besonders auch diejenigen schützen, die mit großem Einsatz für die Gesellschaft tätig sind: Unsere kommunalen Amts- und Mandatsträgerinnen und -träger, unsere Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, unsere Gemeinderätinnen und Gemeinderäte. Sie alle leisten einen unverzichtbaren Beitrag für die Gesellschaft, für unsere Werte.“

Adressdaten von Kandidierenden werden nicht mehr veröffentlicht

Durch die Änderung der Kommunalwahlordnung wird künftig auf die Angabe der vollständigen Anschrift der Kandidatinnen und Kandidaten in Wahlbekanntmachungen und Stimmzetteln verzichtet. Anstelle der vollständigen Adresse wird bei Bürgermeisterwahlen nur noch der Wohnort angeben. Bei Gemeinderats- und Ortschaftsratswahlen wird neben dem Wohnort zusätzlich der Ortsteil angegeben, da dies für die Wählerinnen und Wähler ein maßgebliches Entscheidungskriterium darstellen kann.

Kommunalwahlordnung sieht Ausnahmen vor

In begründeten Ausnahmefällen kann auch von der Angabe von Ortsteilen abgesehen werden, zum Beispiel wenn in kleineren Gemeinden und Ortschaften eine sinnvolle innerörtliche Abgrenzung nicht möglich ist. Entsprechendes gilt auch für Kreistagswahlen und die Wahl der Regionalversammlung des Verbands Region Stuttgart in Wahlkreisen, die nur aus einer Gemeinde bestehen. Bei Wahlkreisen, die aus mehreren Gemeinden bestehen, wird dagegen nur der Wohnort der Bewerberinnen und Bewerber angegeben.

Wahlrecht für Wohnungslose nun auch bei der Kommunalwahl

Im Jahr 2021 hatte das deutsche Institut für Menschenrechte die Analyse "Wahlrecht von wohnungslosen Menschen" veröffentlicht, die zeigt, dass diese in Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Saarland und auch in Baden-Württemberg bisher nur Zugang zu den Landtagswahlen, nicht aber zu den Kommunalwahlen haben. Das Institut verlangte daraufhin, dass die entsprechenden Regelungen verbessert werden müssten. Viele Wohnungslose, auch jene, die auf der Straße leben, hielten sich für lange Zeit in ihren Gemeinden auf, hätten dort ihre Netzwerke und ihren Lebensschwerpunkt, seien lokal verwurzelt und fester Bestandteil des kommunalen Lebens. Mit der Reform des Kommunalwahlrechts im April dieses Jahres hat Baden-Württemberg auf diese Kritik reagiert. Nun regelt die Kommunalwahlordnung, wie dieses Recht genutzt werden kann. 

So beantragen Wohnungslose Aufnahme in das Wählerverzeichnis 

Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit oder Unionsbürger, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, in keiner Gemeinde in Deutschland eine Wohnung haben und sich seit mindestens drei Monaten in der Gemeinde gewöhnlich aufhalten, sind wahlberechtigt bei Gemeindewahlen und Wahlen zu sonstigen Gemeindeangelegenheiten. Im Einzelnen betrifft das die Wahlen von Gemeinderäten, Ortschaftsräten, Bezirksbeiräten sowie Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern. Außerdem besteht ein Stimmrecht bei Bürgerentscheiden und Einwohneranträgen. Betroffene werden auf Antrag in das Wählerverzeichnis der Gemeinde eingetragen, in der die Wahlberechtigung besteht. Der Antrag muss spätestens drei Wochen vor der Wahl schriftlich beim Bürgermeister eingereicht werden. Der Antrag muss den Familiennamen, die Vornamen und den Tag der Geburt und soll möglichst eine Erreichbarkeitsanschrift des Wahlberechtigten oder der Wahlberechtigten enthalten. Der oder die Wahlberechtigte hat zu versichern, dass er bei keiner anderen Stelle in das Wählerverzeichnis eingetragen ist oder seine Eintragung beantragt hat oder noch beantragen wird. Er oder sie hat nachzuweisen, dass er bis zum Wahltag seit mindestens drei Monaten seinen oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Wahlgebiet haben wird.

Wahlvorschläge müssen früher eingereicht werden

Der Einreichungsschluss für Wahlvorschläge zu den Kommunalwahlen wurden um zwei Wochen vorverlegt. Wahlvorschläge können frühestens am Tag nach der Bekanntmachung der Wahl und müssen spätestens am 73. Tag vor der Wahl bis 18 Uhr beim Vorsitzenden des jeweils zuständigen Wahlausschusses schriftlich eingereicht werden. 

Innenminister Thomas Strobl hat die Verordnung des Innenministeriums zur Änderung der Kommunalwahlordnung unterzeichnet. Die Verordnung wurde am 28. Juli 2023 im Gesetzblatt verkündet und trat am 1. August 2023 in Kraft.