Tiny House-Siedlungen finden viele Interessenten
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Tiny House - Ressourcenschonend, bezahlbar, aber auch gewünscht?

Tiny Houses bieten potenziell einige Vorteile. Und das Interesse an der Wohnform übersteigt bei weitem das vorhandene Angebot. Doch gibt es in den Gemeinden auch Sorgen: Wie beeinflussen die Kleinsthäuser das Siedlungsbild? Wie fügt sich die Zielgruppe in die Bürgerschaft ein? Erste Projekte zeigen, wie man mit Bedenken umgehen kann und was sich einige Gemeinden von der Wohnform versprechen.

Es ist ein vieldiskutierter Trend: das Tiny House. Den kleinen Häusern mit einer Wohnfläche von gewöhnlich nicht mehr als 40 Quadratmetern wird ein großes Potential zugesprochen. Sie können die Flächenversiegelung verringern, im Bereich des individuellen Wohnens sind sie platzsparend sowie verhältnismäßig gut bezahlbar und auch als Zwischennutzung auf den sogenannten „Enkelgrundstücken“ könnten sie ein guter Kompromiss zwischen Grundstücksbesitzern und Kommune sein. Als Zielgruppe werden meist junge Erwachsene, die nach einem günstigen Eigenheim suchen, Minimalisten und ältere Menschen, die ihre Wohnfläche nach dem Auszug der Kinder verkleinern möchten, genannt. In Deutschland gibt es jedoch noch kaum Beispiele für Tiny House-Siedlungen. 

Kißlegg: Leuchtturmprojekt vorerst gescheitert

Ein Leuchtturmprojekt aus dem Allgäu hat die:gemeinde im letzten Jahr vorgestellt. In Kißlegg sollte eine Tiny House-Siedlung mit unterschiedlichen Grundstücksgrößen, Gebäudetypen und Gestaltungsmöglichkeiten entstehen. Über 200 Interessenten haben sich für die Tiny Houses gemeldet. Doch der Traum ist vorerst geplatzt. Während der Untersuchungen für das Bodengutachten stellte sich heraus, dass die Fläche einen anmoorigen Boden hat. „Das ist bei uns im Allgäu nicht ungewöhnlich“, sagt Bürgermeister Dieter Krattenmacher. „Leider hat uns das in diesem Fall einen Strich durch die Rechnung gemacht.“ Man habe mit der Tiny House-Siedlung die Ziele verfolgt, bezahlbaren und gleichzeitig umweltfreundlichen Wohnraum zu schaffen. Durch die Rahmenbedingungen sei beides nicht möglich gewesen. 

Ich bin weiterhin überzeugt von dem Konzept Tiny House. Gerade jetzt, wo die Grundstückspreise derart steigen, dass sich Bauherren an ihrem Traum vom Eigenheim zu verschulden drohen. Bei einem Tiny House sind die Kosten überschaubar und die Ressourcen werden geschont.

Dieter Krattenmacher, Bürgermeister der Gemeinde Kißlegg

Dieter Krattenmacher über die Tiny House-Siedlung in Kißlegg

Deshalb sucht die Gemeinde bereits nach einer neuen Fläche für die Tiny House-Siedlung. Derzeit sind verschiedene Flächen im Rennen. „Ich bin zuversichtlich, dass eine geeignete Fläche dabei sein könnte“, sagt Krattenmacher. „Ich bin seit den letzten Erfahrungen aber auch vorsichtiger geworden, was öffentliche Bekanntmachungen betrifft.“ Bei einer neuen Fläche möchte der Bürgermeister wieder mit der Landsiedlung Baden-Württemberg zusammenarbeiten. Sie sei mit viel Knowhow in das Projekt gegangen und hätte währenddessen einiges dazu gelernt. Außerdem habe sie sich als seriöser Partner gezeigt: „Nach den Ergebnissen der Bodenuntersuchung haben sie nicht versucht, ihr Vorhaben durchzusetzen, sondern gelassen und mit Weitsicht reagiert.“

Fünf Tiny Houses in Schorndorf geplant

In Schorndorf im Rems-Murr-Kreis ist derzeit eine Tiny House-Siedlung auf einer städtischen Fläche geplant. Hier sollen fünf Tiny Houses Platz finden. Die Parzellen sind bereits unter Vorbehalt an Bauherren vergeben. Über eine Online-Plattform hatten sich 800 Interessenten bei der Stadt gemeldet. Auf der gut an Nahversorgung und ÖPNV angebundenen Fläche, die zur einen Seite an Wohnbebauung, zur anderen an einen Wald grenzt, sollen Tiny Houses mit 20-30 Quadratmetern Wohnfläche entstehen. 

Erstwohnsitzpflicht und keine Räder erlaubt

Die Stadt hat Tiny Houses auf Rädern aus der Vergabe ausgeschlossen. „Es ging uns darum, einen Campingplatz-Charakter zu vermeiden“, sagt Svenja Beigl, die das Projekt für die Stadt begleitet. „Auch der zu erbringende Standsicherheitsnachweis ist bei Häusern auf Rädern eine Schwierigkeit.“ Zudem hat die Stadt zur Auflage gemacht, dass das Tiny House als Erstwohnsitz angemeldet wird. „Wir möchten, dass die Siedlung Wohnraum schafft“, sagt Beigl. „Es soll hier nicht um Ferienhäuser oder ausgelagerte Arbeitsplätze gehen.“ Die Bauplätze werden an die Bauherren auf zehn Jahre verpachtet. 

Nürtingen kann sich Tiny Houses auf Flachdächern vorstellen

Im nahegelegenen Nürtingen finden derzeit ähnliche Prozesse statt. Zeitlich etwas nach Schorndorf hat die Stadt sich um eine Fläche für Tiny Houses bemüht und sich in der Ausschreibung stark an dem Vorreiter Schorndorf orientiert. Die vier Parzellen in Nürtingen liegen zwar nicht am Waldrand, sondern mitten im Ortsteil Braike. Doch auch hier soll es eine Pacht auf zehn Jahre geben und auch hier werden Tiny Houses auf Rädern von der Vergabe ausgeschlossen. „Wir finden das Konzept sehr spannend und könnten uns auch weitere Verwendungsmöglichkeiten vorstellen“, sagt Bernd Schwartz vom Amt für Liegenschaften, Wirtschaftsförderung und Bürgerbeteiligung. So könne es eine gute Zwischennutzung für Enkelgrundstücke sein. Außerdem könne man prüfen, ob leichte Tiny Houses in Holzbauweise auf vorhandene Gebäude mit Flachdach gesetzt werden könnten. 

Waldbronn: Campingplatz wird eigenmächtig umgenutzt

Doch nicht überall ist man vom Trend Tiny House so begeistert, wie in Kißlegg, Schorndorf oder Nürtingen. Die Gemeinde Waldbronn im Albtal ist eine der wenigen in Baden-Württemberg, in der tatsächlich Tiny Houses stehen. Es handelt sich um eine kleine Fläche auf dem Campingplatz, die sich zunächst unbemerkt von der Gemeinde entwickelt hat. Wie kann das passieren? In den 1970er Jahren wurde der Campingplatz genehmigt. Schon damals ließ man Anmeldungen als Erstwohnsitze zu. „Da hat das Unglück seinen Lauf genommen“, sagt Jürgen Hemberger, Leiter des technischen Amtes Waldbronn. „Im Laufe der Jahre wurden viele feste Anbauten an Wohnwagen angebracht, die so nicht zulässig sind. Seither haben ein paar hundert Menschen dort ihren festen Wohnsitz.“ Auf einem Bereich, auf dem früher große Mobile Homes standen, haben sich vor fünf bis sechs Jahren die ersten Tiny House-Besitzer angesiedelt. Derzeit schätzt Hemberger, dass es sieben bis 15 Tiny Houses sein müssen. 

Weitere Tiny Houses sollen verhindert werden

Die Gemeinde ist mit der Situation nicht zufrieden. Zum einen sei der Bereich als Campingplatz geplant worden und sollte aus ihrer Sicht auch als solcher genutzt werden. Zum anderen habe der Bereich eine schwierige Zielgruppe angesprochen. „Wir gehen davon aus, dass das Aufstellen der Tiny Houses, genau wie der anderen dauerhaften Bebauung in dem Bereich, genehmigungspflichtig ist“, sagt er. „Wir könnten also Bauanträge einfordern. Doch was tun wir dann damit? Wir möchten sie ungerne bewilligen, aber wenn wir sie ablehnen, haben wir auf einen Schlag viele Obdachlose vor Ort.“ Die Gemeinde hat sich daher dazu entschieden, die aktuell bestehenden Tiny Houses zu dulden, wird jedoch mit dem Eigentümer und Betreiber eine Vereinbarung treffen, damit weitere Tiny Houses verhindert und keine weiteren Erstwohnsitze angemeldet werden.

Bad Urach: Baulückenbörse durch Tiny House-Zwischennutzung ergänzen?

Auch in anderen Kommunen ergreifen Privatpersonen die Initiative, um Tiny Houses zu errichten. Auf der Schwäbischen Alb in Bad Urach beispielsweise sind bereits mehrere Anträge eingegangen. „Es handelt sich dabei nur um Einzelvorhaben auf privaten Flächen“, sagt Bauamtsleiter Tim Wilhelm. Gegenüber den Vorhaben habe die Stadt keine Bedenken gehabt. Auf den wenigen kommunalen Flächen, die im Stadtgebiet laut Flächennutzungsplan zur Wohnbebauung zur Verfügung stehen, könnte sich Wilhelm eine Tiny House-Siedlung jedoch nicht vorstellen: „Zum einen halten sich die Bauanträge für Tiny Houses bisher in Grenzen. Aus meiner Sicht ist das Interesse an dieser Wohnform im ländlichen Raum begrenzter als in urbanen Gebieten. Zum anderen müssen wir bei der aktuellen Wohnungsnot auf Mehrfamilienhäuser setzen.“ Sehr wohl interessant findet er das Konzept für Baulücken. Die Stadt hat eine gut laufende Baulückenbörse. „Alle Baulücken, die wir in die Börse bekommen, werden schnell verkauft und bebaut“, sagt Wilhelm. „Bisher haben wir über 50 Lücken an Bauherren vermitteln können. Doch eigentlich haben wir deutlich mehr. Der Rest sind größtenteils Enkelgrundstücke. Hier wären Tiny Houses zur Zwischennutzung eine gute Lösung.“ 

Neuler interessiert sich für Tiny House-Siedlung

In Neuler im Ostalbkreis gab es bisher einen Bauantrag für ein Tiny House – auf einer Fläche, auf der ein gewöhnliches Einfamilienhaus hätte gebaut werden können. Verwaltung, Gemeinderat und Nachbarschaft hatten gegen den Antrag keine Einwände.

Ich schiele bereits auf die Gemeinden, die entsprechende Siedlungen planen. Wir sind sehr interessiert an der Bauform. Weniger Flächenverbrauch, kleinere Bauplätze – den Trend möchten wir gerne aufgreifen.

Sabine Heidrich, Bürgermeisterin der Gemeinde Neuler

Sabine Heidrich über ihr Interesse am Tiny House-Trend

Mühlingen: Kompromiss für Tiny Houses

Ein Kompromiss konnte in Mühlingen im Landkreis Konstanz erreicht werden. Hier wollte eine Privatperson auf einem geerbten Grundstück im Ortskern vier Tiny Houses bauen. Bei der Bauvoranfrage war der Gemeinderat sehr skeptisch. „Die meisten hatten Wohncontainer mitten in der gewachsenen Wohnbebauung im Kopf“, erklärt Bürgermeister Thorsten Scigliano. Nach Vermittlung durch den Bürgermeister stellte der Bauherr seine Pläne und das Konzept noch einmal persönlich vor dem Gemeinderat vor und dieser konnte seine Wünsche äußern. So sollten Blechfassaden und Flachdächer verboten und für jede Parzelle ein Stellplatz eingeplant werden. Nachdem der Bauherr sich hierauf einließ, stimmte auch der Gemeinderat zu. „Es war nicht genau, was man sich gewünscht hat, aber wir haben einen guten Kompromiss für beide Seiten gefunden“, sagt Scigliano.  

Tiny House-Umfrage in Isny im Allgäu

Bei einer kommunal geplanten Tiny House-Siedlung in Isny im Allgäu war ebenfalls ein Kompromiss nötig. Der Ortsvorsteher der Ortschaft Großholzleute, Rainer Leuchtle, wollte zusammen mit der Stadtverwaltung vor einer konkreten Planung die Interessen der Bürger abfragen. An einer Online-Umfrage nahmen 472 Einwohner teil. Sie zeigte, dass Interessenten zu 80 Prozent alleine oder zu zweit in ein Tiny House ziehen möchten. Zudem werden Grundflächen zwischen 16 und 55 Quadratmetern gesucht.  Bei den Eigentumsverhältnissen gewann der Kauf mit 72 Prozent. Doch auch Erbpacht oder Pacht auf zehn Jahre konnten sich fast die Hälfte der Befragten vorstellen. Bei möglichen Gemeinschaftsräumen stehen Werkstatt und Lagerraum oben auf der Wunschliste. 

Isny verzichtet auf den Begriff "Tiny House"

Nach der Befragung erfolgten Überlegungen hinsichtlich geeigneter Flächen für so ein Vorhaben. „Als wir die Pläne in einer öffentlichen Sitzung vorstellten, war der Widerstand groß“, erzählt Leuchtle. „Die Sorgen der Bürger waren teils berechtigt, man kann sagen Prüfaufträge für uns, aber zu einem ganz großen Teil auf Unkenntnis zurückzuführen. Man hatte - zugespitzt formuliert - Angst vor Häusern auf Speichenrädern à la Wilder Westen.“ In der Folge sammelten Einwohner circa 150 Unterschriften gegen die Tiny Houses. „Wir werden die Bedenken ernst nehmen und alles noch einmal mit den Bürgern durchsprechen“, sagt Leuchtle. „So können wir uns hoffentlich auf gemeinsame Ziele einigen. Wir wollen kleine Häuser bauen, die ökologisch und ressourcenschonend sind. Von dem Begriff Tiny House haben wir uns verabschiedet, da er in den Köpfen einiger Einwohner negative Assoziationen hervorruft.“